Autoren-Tipp: Der Countdown als Mittel der Suspense – und wie Sie ihn noch fieser machen

Prüfungen, Examina, Tests, Klausuren, Vorstellungsgespräche – man muss sie einfach lieben. Ach, das tun Sie nicht? Welches war die unangenehmste Prüfung Ihres Lebens? Versetzen Sie sich in die Situation zurück. Was war das Problem? Was ging schief? Hatten Sie womöglich nicht genug Zeit, die Aufgaben zu lösen?

Zeitbegrenzung ist ein hervorragendes Mittel, wie Sie dem Helden das Lösen eines Problems erschweren können. Mit einer klaren Zeitbegrenzung zwingen Sie den Protagonisten dazu, ein Problem schneller zu lösen. Ein schwieriges Problem zu lösen, ist, nun ja, schwierig. Ein schwieriges Problem in kurzer Zeit zu lösen ist schwieriger. Ein schwieriges Problem zu lösen, wenn sich dabei die Zeit sicht- und spürbar verknappt, ist die Hölle. Und das ist genau der Ort, wo Sie Ihren Protagonisten haben wollen.

Beim Countdown wird die Zeit selbst zu einem weiteren Gegenspieler. Das hat die für den Leser angenehme, für den Helden weniger schöne Folge, dass für die Problemlösung immer weniger Zeit bleibt – und die Lösung damit umso dringender wird.

Der entscheidende Unterschied zu einer reinen Zeitbegrenzung (»Sie haben 48 Stunden, das Geld zu beschaffen, sonst stirbt Ihre Schwiegermutter – nicht.«): Beim Countdown spielt die Zeit mit, permanent und spürbar für den Leser. (»Wie entscheiden Sie sich, Baxter? Sie haben zehn Sekunden, dann schieße ich.« – »Ich …« – »Neun.« – »Warten Sie, John. Lassen Sie uns das regeln wie zivilisierte …« – »Sechs, fünf, vier.« – »John, bitte …« – »Zwei.« …)

Der Countdown kann alles, was eine Zeitbegrenzung kann – und noch mehr. Zurück zu Ihrer Lieblingshorrorprüfung. Erinnern Sie sich? Je näher das Ende rückte, desto hektischer, fahriger, ängstlicher wurden Sie – und desto weniger geeignet, die Aufgabe gut zu lösen.

Anders gesagt: Je näher das Ende rückt, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Ihnen auf Günter Jauchs Stuhl noch einfällt, wie Ally McBeals Jugendliebe und Kollege heißt, a) Tommy, b) Eddie, c) Jimmy, d) Billy.

Dem Helden Ihres Romans ergeht es nicht anders. Der Sekundenzeiger des Countdowns ist auch ein Kolben – jede Sekunde verstärkt den Druck. Parallel steigen die subjektiven Einsätze, also was auf dem Spiel steht. War die Million bei der Sechzehntausend-Euro-Frage noch ein theoretisches, ziemlich abstraktes Konstrukt, ist sie auf einmal konkreteste Realität. War das Sterben im Raumschiff bei Anlaufen des Selbstzerstörungscountdowns noch etwas Vages, wird es mit jeder Minute manifester, greifbarer.

Und noch eine psychologische Falle macht es Ihrem Romanhelden schwerer: Je länger er das Problem nicht löst, aus dem Raumschiff zu fliehen, desto größer erscheint die Wahrscheinlichkeit, zu scheitern. Nutzen Sie diese Falle in Ihrem Roman aus!

Was sind weitere Folgen des wachsenden Drucks?

Der Heldin Ihres Romans zittern die Finger mehr und mehr, je weniger Zeit ihr bleibt, den magischen Faden durchs magische Nadelöhr zu zwängen. Erst wenn sie das geschafft hat, kann sie den Riss im Stoff der Zeit zunähen, durch den die Kreaturen der Hölle in unsere Welt dringen wollen. Wieder und wieder rutscht ihr der Faden weg, die blöde Öse scheint enger und enger zu werden.

Und dann begeht sie einen Fehler. Denn Druck macht fehleranfälliger. Das ist in Prüfungen so und in Romanen nicht anders.

Die Heldin legt die Nadel kurz beiseite, um sich zu sammeln. Schwupps, kommt eine Mauselfe aus einem Wandloch, stibitzt die Nadel und verschwindet damit in der nächsten Bodenritze.

O-oh.

Die Uhr tut indes so, als hätte sie nichts von all dem mitbekommen und tickt munter weiter.

Überhaupt Uhren und die Zeit.

  • Zeigen Sie dem Leser immer wieder, wie viel Zeit verstrichen ist und wie viel noch bleibt. Das kann tatsächlich der Blick des Charakters zu seiner Uhr sein. Oder ein anderer Charakter, der die Zeit mitzählt.
  • Machen Sie Uhren und Zeit zu Mit-Bösewichten. Personalisieren Sie sie, lassen Sie Ihren Helden den Countdown verfluchen, die Uhr anspucken, die Zeit zum Teufel wünschen.

Wichtige Sekunden, in denen die Heldin ihr eigentliches Problem vernachlässigt – und der Druck sich weiter erhöht.

  • Und hier noch ein extra fieser Tipp: Lassen Sie etwas mit der Uhr geschehen. Vielleicht fällt sie um und der Held kann aus seiner Position vor der Bombe die Zeit nicht mehr erkennen. Oder die Uhr bleibt stehen und die Heldin weiß nicht, ob damit auch der Countdown erledigt ist (natürlich nicht). Oder dieser blöde Mauself schleppt auch noch die Uhr in sein Mauseloch. Wo sie ganz fies weitertickt. Äh, wie viel Zeit hab ich noch?

Aber nicht nur Uhren können einen üblen Countdown noch übler machen …

  • Bauen Sie andere Charaktere ein, die die Situation erschweren. Das kann der Gegenspieler sein, der hinter einer Wand aus bombensicherem Glas den Helden verspottet. Oder ein Verbündeter der Heldin spornt sie vermeintlich an, verschlimmert aber alles nur, indem er den Druck erhöht: »Nun mach schon, mach! Oder hast du vergessen, dass zehntausend Menschen sterben und deine Oma, wenn du den falschen Draht abklemmst?«

Lassen Sie sich von Ihrer Schul- und Studienzeit inspirieren. Welches Verhalten hat Sie damals am nervösesten gemacht? Was hat am sichersten dazu geführt, dass Sie in Panik ausgebrochen sind und unnötige Fehler gemacht haben? Wie ließe sich das zu einem Element Ihres Romans machen?

Und dann gibt es die Prüfungen, wo das Warten auf die Prüfung schon die Hölle ist. Mit Grausen erinnere ich mich an meine mündliche Diplom-Prüfung im Fach »Organisation« (BWL). Ich saß draußen vor der Tür des Prüfungszimmers mit zwei Kommilitonen und wartete darauf, dass die Prüflinge auf der anderen Seite der Tür herauskamen und uns hineinschickten. Die Zeit tat etwas Verrücktes: Sie lief zugleich schneller und langsamer. Ich wollte endlich drankommen – und ich wollte nie drankommen. Ich verwünschte jede Sekunde und wünschte mir doch noch eine mehr dazu. Und noch eine. Noch eine. Nur nicht da hinein.

Zeit gibt einem Zeit, sich Schrecken auszumalen. Ich stellte mir das Grauen vor, das mich auf der anderen Seite der Tür erwartete. Natürlich fabrizierte mein Hirn Dinge, die die banale Realität locker in den Schatten stellten.

In Ihrem Roman können Sie diesen Zeitfaktor wunderbar nutzen. Gibt es ein unangenehmes Ereignis in naher Zukunft, das Ihr Protagonist nicht abwenden kann? Geben Sie ihm die Zeit, sich den Horror, der ihn erwartet, im Detail auszumalen. Wenn das reale mit dem vorgestellten Grauen nicht mithalten kann, macht das gar nichts. Lassen Sie einfach etwas eintreffen, das anders als erwartet ist. Der Held muss nicht zum Zahnarzt, den er sich so sadistisch ausgemalt hatte – man nimmt ihm stattdessen den entzündeten Blinddarm heraus. Falls der Krankenwagen schnell genug in der Klinik ist …

Versetzen Sie sich in die zweitunangenehmste Prüfung Ihres Lebens. Was ging schief? Was hätte noch schiefgehen können, um sie mit Abstand zur schlimmsten Prüfung Ihres Lebens zu machen? Bombardieren Sie Ihren Protagonisten damit!

Übrigens: Die fiesesten Wanduhren in Schulen, Unis und anderen Lehranstalten sind die mit Sekundenzeiger. Tick, Tack, Tick, Tack …

Stephan Waldscheidt

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Als John Alba schreibt Waldscheidt eine Reihe von Mystery-Thrillern, deren erster Roman jetzt erschienen ist: »Zwinger«