Autoren-Tipp: So nutzen Sie die Kraft der Bilder – auch bei Verneinungen

Denken Sie jetzt nicht an einen tanzenden Bär inmitten Ihres Schlafzimmers!

Na, hatten Sie Erfolg? Haben Sie es geschafft, sich keinen Bär vorzustellen? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich tanzt der Bär vor Ihrem inneren Auge munter weiter, während Sie das hier lesen. Natürlich kennen Sie den Effekt. Aber haben Sie ihn schon einmal in Ihren Texten angewendet? Oder bewusst vermieden?

Unsere Sprache hat Bildern zumindest etwas voraus: Verneinungen sind in der Sprache gang und gäbe, in Bildern aber sind sie praktisch unmöglich. Versuchen Sie doch mal, in einem Bild unmissverständlich und eindeutig zu zeigen, wie jemand nicht ein Haus betritt. Oder kein Marmeladenbrot isst.

Bilder, die wir mit unseren Texten erzeugen, haben indes besonders starke Wirkungen auf den Leser: Konkretes, Bildhaftes wird deutlich besser erinnert als Abstraktes und Unspezifisches. Beispiel für etwas Konkretes: Ein Ferkel wühlt mit seiner kleinen Schnauze in einem Haufen Kartoffelsalat. Beispiel für etwas Abstraktes: Ein Tier steckt einen Teil des Gesichts in etwas Essbares.

Falsch eingesetzt wirken solche Verneinungen anders, als vom Autor gewünscht. Das passiert sogar Ken Follett, wie ein Beispiel aus »Edge of Eternity« /dt. »Kinder der Freiheit« (MacMillan 2014; eigene Übersetzung) zeigt. Einer der Protagonisten, Jasper, hat eine schreckliche Nachricht erhalten. Die Stadt, die er normalerweise so liebt, erscheint ihm auf einmal hässlich. So will es zumindest der Autor …

Er ging noch einmal nach draußen. Normalerweise liebte er die Straßen von New York: die Hochhäuser, die mächtigen Mack Trucks, die extravagant designten Autos, die glitzernden Auslagen in den Schaufenstern der berühmten Läden. Heute war ihm das alles sauer geworden.

Follett beschreibt den positiven Blick Jaspers und findet dafür (einigermaßen) eindringliche Bilder. Dann versucht er, im letzten Satz, Heute war ihm das alles sauer geworden, diese Eindrücke zu negieren. Leider hat er dabei die Psychologie missachtet. Im Leser erschafft er nichts weiter als ein positives Bild. Der letzte Satz, zumal abstrakt und damit emotional schwach, ändert daran nichts. Was im Leser nach Lektüre dieses Absatzes bleibt, ist vor allem Jaspers alter, da noch positiver Eindruck. Follett hat sein Ziel, eine trübe Szene zu schreiben und den Leser diese Emotion spüren zu lassen, nicht erreicht.

Diese zunächst so paradox scheinende Wirkung von verneinten Bildern können Sie nicht nur vermeiden – Sie können sie sich sogar zunutze machen. Und zwar sowohl direkt auf die Geschichte bezogen als auch auf den Leser.

Denken Sie an die Vernehmung eines Zeugen. Der raffinierte Zeuge, Miller, will den Verdacht von sich ablenken und jemand anderen, seinen Kumpel Benson, belasten. Und das auf eine Weise, die dem vernehmenden Polizisten nicht auffällt. Also erzählt er beispielsweise: »Ich kann nicht sagen, dass ich gesehen hätte, wie Benson das Messer aus der Tasche riss. Kann sein, er hatte die Hand schon in der Tasche und am Griff, als ich mich zu ihm umdrehte, ich weiß es nicht. Es ging alles so schnell. Im nächsten Moment hockte Benson schon neben der Leiche und hatte das blutige Messer in der Hand. Er könnte es aufgehoben haben, wie er sagt, oder er hat es dem armen Kerl entschlossen und brutal zwischen die Rippen gerammt. Ich habe es nicht gesehen.«

Zeuge Miller entlastet Benson scheinbar. Durch seine bildhaften Worte aber belastet er Benson, ohne dass ein weniger raffinierter Polizist bemerken würde, wie Miller sein Unterbewusstsein manipuliert.

Dem Leser können Sie diesen Manipulationsversuch vor Augen führen, etwa indem Sie ihn an Millers Gedanken und Absichten teilhaben lassen. Auf diese Weise machen Sie ihn zu einem Mitwisser von Miller.

Oder Sie lassen den Leser im Unklaren über Millers Versuch und hoffen darauf, dass auch der Leser sich, wie schon der Polizist, unterbewusst manipulieren lässt, dass er also Benson für schuldig hält und Miller, den eigentlichen Täter, für unschuldig. Umso größer später Ihre überraschende Enthüllung,

Selbst in Sachtexten können Sie Ihre Leser mit solchen Bildern lenken. Etwa, wenn Sie in einem biografischen Stück eine Zukunft für die porträtierte Person ausmalen, die hätte sein können. Wenn er nicht das Verbrechen begangen / die falsche Entscheidung getroffen hätte.

(Eindringliche) Bilder haben eine weitere Wirkung: Das Lesergehirn schmückt sie automatisch aus. Mein imaginierter Bär trägt ein Tutu. Warum auch immer. Ach ja, und ein rosa Sonnenschirmchen. Außerdem balanciert er auf einem Ball. Auf einmal sind auch Robben mit im Schlafzimmer … Und alles nur, weil ich mir etwas nicht vorstellen sollte.

Was Sie sich merken sollten: Starke (Sprach-)Bilder bleiben dem Leser im Gedächtnis. Ob Sie das wollen oder nicht, ob Sie sie negieren oder es lassen. Vermeiden Sie ungewünschte Wirkungen. Machen Sie sich stattdessen die Kraft der Bilder zunutze, auch dann, wenn sie (so) in Ihrer Geschichte oder in Ihrem Sachtext gar nicht vorkommen.

Stephan Waldscheidt

 

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