“Das wird man doch wohl noch sagen dürfen”: Autoren und Sprache

Als ich vor gefühlt ewiger Zeit nach Bayern gezogen bin, habe ich mich als Preuße (das ist man, sobald man von jenseits des Weißwurst-Äquators kommt) hier zunächst einmal etwas ausgeschlossen gefühlt. Kein Wunder, meine neue Nachbarin sprach mich an, und ich habe kein Wort verstanden und nur genickt. Ein halbes Leben später kann ick zwar noch janz jut balinern, wenn ick will, doch falls ich mich im bayerischen Dialekt versuche, werde ich bloß ausgelacht. Aber ich verstehe die Leute, fast immer. Und das “Grüß Gott” als Gruß fühlt sich ganz normal an, selbst für einen alten Heiden wie mich.

Ich hüte mich aber bei einem Besuch in Berlin, diesen Gruß zu verwenden. Zum einen, weil ich die einschlägigen Entgegnungen inzwischen alle kenne (manchmal rutscht es eben doch raus). Vor allem aber, weil das “Grüß Gott” für den Berliner eine andere Bedeutung hat als für den Bayern. Während beim “Tschüss” der religiöse Bezug (Herkunft von adios = “[geh] mit Gott”) vergessen wurde, liegt er beim “Grüß Gott” auf der Hand, zumindest für den Norddeutschen. Sprache verändert sich eben, mit der Region, in der sie gesprochen wird, aber auch mit der Zeit.

Das gilt auch für Worte wie “Neger” oder “Zigeuner”.

Diese Begriffe werden von den damit angesprochenen Menschen als abwertend betrachtet. Das war nicht immer so. Astrid Lindgren hat den Vater von Pipi Langstrumpf noch als Negerkönig beschrieben, vor 70 Jahren. Aber heute ist es so. Wer das nicht glaubt, frage doch einfach mal einen der so bezeichneten Menschen. Es ist nicht bloß “politisch unkorrekt”, “Neger” oder “Zigeuner” zu sagen oder auch damit Zusammensetzungen wie “Negerkuss” zu bilden. Es ist eine Beleidigung, nichts anderes als “Arschloch” oder “Pissnelke”, nur dass damit nicht nur ein einzelner Mensch gemeint ist, sondern gleich eine große Gruppe von Menschen. Das ist, man verzeihe den drastischen Ausdruck, nicht “unkorrekt”, sondern Scheiße.

Aber natürlich kann man das trotzdem denken und sogar sagen. Es ist ein Verdienst unserer Demokratie, dass niemand dafür  eingesperrt wird. Aber auch die Gedanken der anderen sind frei. Wer durch die Verwendung dieser Begriffe bewusst Menschengruppen beleidigt, den können und dürfen andere Menschen als Rassisten betrachten. In die Köpfe kann man ja nicht sehen. Vielleicht ist dieser Mensch auch nur unsensibel, womöglich fehlt es ihm an Empathie, oder er leidet an spätpubertärem Infantilismus oder ist nie aus der Trotzphase herausgekommen (“ich will aber!” – kenne ich sehr gut von meinen Kindern, als sie vier waren). Kann sein. Auch dann möchte man mit diesem Menschen unter Umständen nicht so viel zu tun haben. Die am nächsten liegende Annahme ist aber der Rassismus-Vorwurf. Sich dann darüber zu wundern ist – seltsam und schwer nachvollziehbar.

Ich bin ja ein naiver Mensch. Ich glaube an das Gute im Anderen, bis diese Person (und nicht irgendwer anders) mir eindeutig das Gegenteil bewiesen hat. Und selbst danach manchmal noch. Vielleicht war ich deshalb bisher der Meinung, gerade Autorinnen und Autoren wären diese Zusammenhänge bekannt. Wer täglich kunstvoll mit Wörtern jongliert, kann sich doch der Bedeutungsveränderung eines Begriffes nicht verschließen? Aber das geht. Sich rassistisch zu äußern und AutorIn zu sein, scheint sich nicht auszuschließen. Naiv wie ich bin, hoffe ich natürlich, dass letztlich im Kopf solcher Menschen doch kein Rassismus steckt, sondern nur Empathie fehlt, zumindest auf manchen Ebenen. Mir fehlt auch manchmal Empathie, auf anderen Ebenen. Und dann bin ich dankbar, wenn mir jemand sagt, was Sache ist.

(Bild oben: Rassiastisches Wahlplakat von den Gouverneurswahlen in Pennsylvania 1866, bei der das Wahlrecht für Schwarze Thema war)