Entfesseln Sie die Power, die in jedem Ihrer Sätze steckt: So führen Sie das innere Auge Ihres Lesers

(Bild: deposit

Um einen möglichst flüssigen Text zu schreiben und eine entsprechend nahtlos zu lesende Geschichte zu erschaffen, sollten Sie auch jeden einzelnen Ihrer Sätze seinen Teil dazu beitragen lassen. Das gelingt Ihnen dann am besten, wenn Ihre Sätze einer inneren Logik folgen. Neben einer kausalen Logik, etwa bei Wenn-dann-Konstruktionen, sind das vor allem der Bildlauf einer räumlichen und die Chronologie einer zeitlichen Logik.

1. Die räumliche Logik Ihrer Sätze

Sehen wir uns ein Beispiel an. Es stammt aus C. C. Fischers Roman »Erlösung« (Blessing 2011):

Die Scheinwerfer des Mercedes erfassten die halb zerfallene Steinmauer des Friedhofs und ein Eisenkreuz und dahinter die Kapelle auf dem Hügel am Ende des morastigen Feldwegs. 

Stellen Sie sich vor, Sie wären der Kameramann, der den Film im Kopf des Lesers aufzeichnet. Jeder Fehler, den Sie begehen, bedeutet, dass der Film im Leserkopf reißt. Der Autor des Textauszugs hat an dieser Stelle einen solchen Riss verursacht. Denn er führt das Leserauge in die Irre.

Am Anfang ist noch alles bestens: Als Leser sehen wir die Steinmauer und (vermutlich dahinter) ein Eisenkreuz. Dann aber sehen wir die Kapelle und erst danach den Hügel, auf dem die Kapelle steht, und erst am Ende den Feldweg. Die Scheinwerfer, die uns die Szenerie zeigen, werden aber nach dem Kreuz den morastigen Feldweg enthüllen. Danach wandern sie weiter einen Hügel hinauf, und erst oben, auf dem Hügel und am Ende des Wegs angelangt, erscheint im Lichtkegel die Kapelle.

Da die Handlung sich in der Kapelle fortsetzt, wäre die Kapelle auch dramaturgisch der bessere Abschluss für den Satz aus Fischers Roman.

2. Die zeitliche Logik Ihrer Sätze

Bevor Philipp den Toaster anstellte, setzte er Wasser auf und schaltete das Radio ein.

Was geschieht hier im Leser? Sie zeigen ihm Philipp beim Anstellen des Toasters. Dann aber gehen die Ereignisse nicht weiter. Stattdessen reißen Sie Philipp aus der Erzählgegenwart (wie es scheint, das Anstellen des Toasters) und katapultieren ihn zurück in die Erzählvergangenheit. Dort zeigen Sie dem Leser Philipp beim Wasser aufsetzen und beim Einschalten des Radios. Im Kopf des Lesers verursacht das einen chronologischen Knoten. Je häufiger Sie das tun, desto zerstückelter wirkt Ihre Erzählung.

Die einfachste Alternative ist in solchen Fällen meistens die beste:

Philipp setzte Wasser auf, schaltete das Radio ein und stellte den Toaster an.

Die eingehaltene Chronologie sorgt für einen nahtlosen Erzählfluss.

Die Chronologie durchbrechen können Sie dann, wenn Sie ein Ereignis herausheben möchten. Wie das Georg M. Oswald in seinem Roman »Unter Feinden« (Piper 2012) hier tut:

Im Stadtteil Milbertshofen brannte ein ganzer Straßenzug, nachdem ein Holzlager in Flammen aufgegangen war.

Sicher, das könnten Sie umstellen zu »Nachdem ein Holzlager in Flammen aufgegangen war, brannte im Stadtteil Milbertshofen ein ganzer Straßenzug.« Sie könnten es aber auch so lassen wie Oswald. Der Autor gibt der Betonung der Wichtigkeit den Vorzug gegenüber der Chronologie gegeben. Die ergibt sich aus dem Kontext. Es geht um Proteste und Ausschreitungen. Das Wichtige hierbei ist der brennende Straßenzug und nicht, wo dieser Brand seinen Anfang genommen hat.

Im Beispiel mit dem Toaster könnte Sie die Variante mit dem bevor wählen, wenn der Toaster eine besondere Rolle spielt, etwa ein Feuer auslöst.

Als Faustregeln können Sie sich merken:

(1) Erzählen Sie immer chronologisch. Durchbrechen Sie die Chronologie nur dann, wenn Sie einen guten Grund dafür haben.

(2) Je unmittelbarer ein Text wirken soll, desto eher sollten Sie die Chronologie einhalten. Beim szenischen – also dramatischen – Erzählen sind die dargestellten Ereignisse unmittelbarer als beim epischen Erzählen.

Stephan Waldscheidt

 

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