Kampf gegen Kindle-Unlimited-Betrug erreicht Deutschland – mit Kollateralschäden

Bei der E-Book-Flatrate Kindle Unlimited bezahlt Amazon Autorinnen und Autoren nach den insgesamt in ihren E-Books gelesenen Seiten. Es hat nicht lange gedauert, bis findige Betrüger das als Einnahmequelle erkannt haben: Sie lassen ihre Werke durch von ihnen beauftragte Nutzer “lesen” (ein schnelles Durchblättern reicht; genau genommen genügt es, zum Ende des Buches zu springen). In der App-Welt ist so etwas schon länger gang und gäbe; man kann für x Euro tausende Downloads einer App “kaufen”, die dann in den Charts entsprechend nach oben schießt. In der Welt von Kindle Unlimited funktioniert das sogar noch besser, denn die Fake-Leser schaffen es, gleichzeitig durch ihre “Ausleihe” den Rang eines Buches zu verbessern und das Konto ihres Auftraggebers zu füllen.

Das besonders Fiese daran: Es gibt bei KindleUnlimited keinen festen Betrag pro Seite. Stattdessen wird ein von Amazon definierter Fonds unter allen Schreibenden aufgeteilt. Der Anteil, den die Betrüger mit ihren dreisten Methoden erwirtschaften, geht den ehrlichen Autorinnen und Autoren verloren.

Solche “Klickfarmen” existierten lange nur für den großen US-Markt. Inzwischen ist die Methode auch in Deutschland angekommen. Darauf deuten zum einen immer wieder aus dem Nichts in den Charts auftauchende, schlecht übersetzte E-Books von unbekannten Schreiberlingen (hier passt diese abwertende Bezeichnung wirklich) hin. Zum anderen jedoch beginnt Amazon nun auch auf deutschem Boden mit Verteidigungsmaßnahmen. Details verrät das Unternehmen wie stets nicht, aber das Vorgehen ist relativ klar: Man versucht, die Manipulationen ausfindig zu machen. Wenn in einem Account zum Beispiel in kurzer Zeit mehrere E-Books komplett gelesen werden, ist das ein Indiz für eine versuchte Manipulation. Ein Algorithmus schreitet dann ein, wenn eine bestimmte Schwelle überschritten wurde. Den betroffenen E-Books werden die Tantiemen für illegitime Lese- oder Ausleihaktivitäten abgezogen und die Verfasser der Titel erhalten zunächst eine Warnung, dann wird ihr Account gelöscht.

So weit, so positiv. Allerdings sind natürlich auch die Betrüger nicht dumm. Damit der Algorithmus nicht merkt, dass ihr Buch X von einer Klickfarm gepusht wurde, streuen sie auch zufällig ausgewählte andere Titel darunter. Diese erhalten nun ebenfalls Fake-Klicks, obwohl ihre Verfasser das gar nicht wollten. Verhindern lässt es sich nicht.

Das Ergebnis kann ein großer Schreck sein. Plötzlich erhalten Sie eine E-Mail:

“Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir bei Ihren Büchern Lese- oder Ausleihaktivitäten von Konten erkannt haben, die versuchen, die Kindle-Services zu manipulieren. Diese Konten könnten mit dem Marketingservice eines Drittanbieters in Verbindung stehen, den Sie verwendet haben. Sie erhalten keine Tantiemen für illegitime Lese- oder Ausleihaktivitäten.

Auch wenn wir die Anstrengungen unserer Verlage und Verleger unterstützen, ihre Bücher zu bewerben, nehmen wir Aktivitäten, die eine positive Benutzererfahrung unserer Leser und Autoren gefährden, sehr ernst. Wir empfehlen Ihnen, die Werbestrategien, mit denen Ihre Bücher beworben werden, genau unter die Lupe zu nehmen und zu überwachen. Sie müssen sicherstellen, dass die zum Bewerben Ihrer Bücher eingesetzten Strategien weder die Kindle-Veröffentlichungsdienste noch Kindle-Programme manipulieren.  Eine weitere Verletzung unserer Richtlinien kann Einschränkungen in Ihrem Konto oder sogar die Schließung Ihres KDP-Kontos zur Folge haben.

Wir können Ihnen keine Ratschläge zu Marketingservices oder Details zu unseren Untersuchungen bereitstellen. Sollten Sie andere Fragen haben, können Sie uns jedoch gern unter… eine E-Mail senden.”

Mir sind mehrere Fälle bekannt, in denen glaubwürdig versichert wurde, dass keinerlei illegale (bzw. in der Regel gar keine) Marketing-Dienste genutzt wurden. Eine entsprechende Anfrage bei der in der Nachricht angegebenen Adresse führt jedoch nur zu einer weiteren Standard-E-Mail.

“Wir haben Ihr Konto nochmals überprüft und entschieden, an unserer Entscheidung festzuhalten. Sie erhalten keine Tantiemen für illegitime Lese- oder Ausleihaktivitäten. Wie bereits erwähnt können wir Ihnen keine Ratschläge zu Marketingservices oder Details zu unseren Untersuchungen bereitstellen. Sollten Sie andere Fragen haben, können Sie uns jedoch gern unter… eine E-Mail senden.”

An dieser Stelle ist der sich unschuldig wähnende KDP-Nutzer zwar frustriert, aber es ist ja noch kein Schaden entstanden. Amazon zieht einen Teil der Tantiemen ab, die man ohne die ungebetene Hilfe der Betrüger nie bekommen hätte.

Leider eskaliert der Prozess jedoch, wenn die Betrüger weiterhin ungefragt das eigene Buch pushen (was sich, wie gesagt, gar nicht verhindern lässt). In diesem Fall haben Sie dann eine solche Nachricht im Postfach:

“Wir haben Sie bereits darüber informiert, dass wir Lese- oder Ausleihaktivitäten von Konten erkannt haben, die versuchen, die Kindle-Services zu manipulieren. Da wir trotz unseres Hinweises erneut illegitime Aktivitäten feststellen mussten, haben wir Ihr Konto gesperrt, um unsere Verlage und Leser zu schützen. Unternehmen Sie die erforderlichen Schritte, um diese Aktivitäten zu unterbinden. Sie sollten alle Marketingservices prüfen, die Sie genutzt haben. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Strategien zum Bewerben Ihrer Bücher unseren Geschäftsbedingungen entsprechen. Senden Sie anschließend eine E-Mail mit der Erklärung, dass Sie alle genutzten Marketingservices geprüft und die Verwendung der Services eingestellt haben, die für diese Aktivitäten verantwortlich sein könnten, an … Nach Eingang dieser Bestätigung reaktivieren wir Ihr Konto. Bitte seien Sie sich bewusst, dass das erneute Auftreten illegitimer Aktivitäten zu einer Auflösung Ihres Kontos führen kann. Sollten wir nach 14 Tagen keine solche Erklärung von Ihnen erhalten haben, schließen wir Ihr Konto.”

Falls der Empfänger nun mit dem Schreiben seinen Lebensunterhalt verdient, ist eine solche Nachricht ein extremer Schlag in die Magengrube. Es ist, als hätte jemand ein Kilogramm Drogen in Ihrem Wohnzimmer versteckt, und Sie müssten nun in Untersuchungshaft. Nur dass in einem solchen Fall die Polizei nachweisen muss, dass SIE und niemand anders die Drogen besorgt haben. Amazon dreht hier mal eben die Unschuldsvermutung um; Sie müssen beweisen (bzw. erklären), dass Sie das, was Sie nie getan haben, in Zukunft nie wieder tun werden. Wobei eine solche Erklärung eigentlich gar nicht möglich ist, denn die Betrüger verraten natürlich nicht vorher, dass Sie Ihr Buch noch einmal zur Ablenkung einsetzen wollen.

Auch wenn der Zweck eigentlich positiv ist – immerhin schaden die Betrüger ja nicht einmal Amazon, sondern “nur” den ehrlichen Autoren – geht eine solche Vorgehensweise doch einen Schritt zu weit.

Die gute Nachricht zum Schluss: In den mir bekannten Fällen ist es nach Eingang der geforderten Erklärung jeweils zu einer Reaktivierung des Kontos gekommen. Was aber passiert, wenn die betroffenen Autorinnen im nächsten Monat wieder Opfer der Betrüger werden? Ich wage keine Vorhersagen.

Wie Sie bei einer solchen Nachricht reagieren sollten

  1. Geben Sie sofort die gewünschte Erklärung ab – zusammen mit der Erklärung, dass Sie nie solche illegalen Dienste in Anspruch genommen haben.
  2. Falls Sie sichergehen wollen, nie wieder eine solche Warnung zu erhalten, hilft nur eines: Nehmen Sie Ihre E-Books aus KDP Select heraus. Der KDP-Support reagiert in solchen Fällen dem Hörensagen nach schnell und entlässt sie auch vor Ablauf der 90 Tage.
  3. Möglicherweise könnte es helfen, das Verbreitungsgebiet Ihrer E-Books auf die deutschsprachigen Länder zu beschränken. Dann ist die Gefahr, Opfer einer auf die USA spezialisierten Klickfarm zu werden, wesentlich geringer. Deutschsprachige Leser anderswo können Ihre E-Books dann nicht mehr lesen, das ist ein weiterer Kollateralschaden.