Schreib-Tipp: Richtig umgehen mit dem Elefanten im Raum

Marek hat ein Problem. Seine Freundin Val nimmt regelmäßig und heimlich irgendwelche Pillen. Die Packungen sind ohne Aufschrift. Er findet heraus, dass Val seit Jahren an einer Psychose leidet, sogar mehrfach in eine Nervenklinik zwangseingewiesen wurde. Ein guter Freund, Asta, wurde unter ungeklärten Umständen ermordet.

Dann bekommt Val Besuch von ihrer alten Freundin Jenni. Am nächsten Abend findet Marek eine verstörte Val – und die offenbar ermordete Jenni in Vals Bad. Val erzählt Marek daraufhin von den Schnellen, mysteriösen Wesen, die immer dann auftauchen, wenn Val ihre Pillen nicht genommen hat. Die Schnellen sind böse, sie drohen ihr, Val macht sie für den Tod ihres Freundes Asta verantwortlich.

Marek weiß nicht, was er tun soll. Er will Val helfen und lässt sich halbwegs davon überzeugen, dass es die Schnellen tatsächlich geben könnte. Val ist sehr überzeugend.

Während all dem sitzt ein dicker, fetter Elefant im Raum. Weder Marek noch Val – die dem Leser in jeweiligen Ich-Perspektiven den Roman näherbringen – sehen den Dickhäuter.

Der Leser aber sieht ihn sehr wohl. Und eben das zerstört Zoran Drvenkars Thriller »Du bist zu schnell« (J. G. Cotta 2003) komplett und unwiederbringlich.

Der Roman ist ein realistischer Thriller. Dass es die Schnellen als Wesen mit fantastischen Fähigkeiten außerhalb von Vals Psychose gibt, ist also ausgeschlossen. Marek und, später, auch Jennis Lebensgefährte Theo gehen auf Vals Wahnvorstellungen ein, wissen nicht so recht, was sie glauben sollen. Auch bei Asta muss es wohl so gewesen sein. Doch niemand, weder Marek noch Theo, in dessen Ich-Perspektive der Leser sich über weite Strecken befindet, noch Asta und noch nicht einmal Val, die vom Autor ebenfalls eine eigene Ich-Perspektive zugestanden bekommt, keiner von ihnen spricht den Elefanten an, der doch seinen fetten Hintern so unübersehbar mitten im Raum des Romans parkt.

Der Elefant: Dass Val die Mörderin von Asta, Jenni und später auch Theo sein könnte.

An keiner Stelle des Romans wird das auch nur als vage Idee von einem der Beteiligten in den, ja, Raum gestellt. Dass Val selbst es nicht sieht, würde ja noch funktionieren. Dass aber niemand sonst auf diese mehr als naheliegende Idee kommt, nein, das kauft der Leser dem Autor nicht ab. Die Figuren, und die Handlung gleich mit, verlieren ihre Glaubwürdigkeit. Die Auflösung, die vermutlich als Überraschung geplant war – ja, Val ist tatsächlich die Mörderin –, entlockt dem Leser nicht mal mehr ein Gähnen. Sondern nur noch Ärger darüber, was der Autor hier abgezogen hat.

Das Einzige, was man Drvenkar zugute halten kann: »Du bist zu schnell« ist sein erster Roman.

Hätte Drvenkar den Thriller retten können? Natürlich. Und genau so können auch Sie das Problem mit dem Elefanten lösen und einen überzeugenden Roman schreiben.

1. Sprechen Sie den Elefanten im Raum möglichst früh an. Es ist ein Elefant, Herrgott, die Leser können ihn gar nicht übersehen. Darum sollten es auch Ihre Charaktere nicht tun, wenn sowohl Sie als Autor als auch Ihre Geschichte glaubhaft bleiben soll.

Im Beispiel hätte Marek gleich zu Anfang die Befürchtung haben müssen, dass Val Jenni in ihrem Wahn umgebracht haben könnte.

2. Der Elefant ist jetzt da und alle sind sich einig darüber.

Im Beispiel verdächtigt der Leser die psychotische Val, und er tut das über einen Stellvertreter, Marek. Der Leser ist zufrieden, dass außer ihm auch einer der Charaktere die so offensichtliche Frage nach Vals Schuld stellt.

3. Sie tun so, als trieben Sie den Elefanten aus dem Raum. Tatsächlich verstecken Sie ihn nur im Kleiderschrank. Ja, es ist ein großer Kleiderschrank.
In unserem Beispiel finden Sie Gründe, wieso Val doch unschuldig ist. Dass die Gründe falsch sind, macht überhaupt nichts.

4. Am Ende lassen Sie den Elefanten aus dem Kleiderschrank.

Im Beispiel enthüllen Sie Val als die Täterin und erklären, warum die aufgeführten Gründe nicht zutreffen, etwa weil Marek sich geirrt hat oder eine falsche Information über Vals Alibi bekam oder er Gründe zu der Annahme hatte, die Schnellen würden existieren, allerdings (innerhalb der Logik des realistischen Romans) als reale Menschen und nicht als reine Auswüchse der Psychose.

Am Ende hat der Elefant Ihren Roman nicht plattgemacht, sondern ihn verbessert. Vergessen Sie nie: Das einzige Tier, das nachtragender ist als ein Elefant, ist der Leser.

Stephan Waldscheidt

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