Schreib-Tipp: Was Sie bei der Veränderung Ihres Helden niemals vergessen dürfen

Ein erster Schritt zum Verstehen von Veränderungen Ihres Helden im Roman: Machen Sie sich bewusst, dass es äußere und innere Veränderungen gibt. Eine äußere Veränderung ist beispielsweise der Wandel von einer Anfängerin in den magischen Kräften hin zu einer Großmeisterin der Zauberei. Eine innere Wandlung ist zum Beispiel die von einem vehementen Verfechter der Todesstrafe hin zu einem aktiven Gegner dieser Strafe.

In einem guten Roman bedingen sich beide Formen von Veränderungen laufend gegenseitig. In unserem Beispiel könnte das bedeuten, dass die Heldin mit immer tieferen Einblicken in die magischen Künste das Wichtige und Kostbare am Leben erst erkennt – und darum nach und nach von diesem absoluten Verfechten einer Strafe abrückt, die dieses Kostbare missachtet.

Was bei den äußeren Veränderungen selbstverständlich ist – man wird nicht von jetzt auf nachher von einer unbedarften Stümperin zur Weltmeisterin egal welcher Kunst oder Sportart –, sollte es auch bei den inneren Veränderungen sein. Leider wandelt sich der Held bei manchen Autoren am Ende urplötzlich und für den Leser nicht nachvollziehbar, und ist auf einmal angeblich ein besserer Mensch. Weil man in einem Schreibratgeber gelesen oder in einem Seminar gehört hat, wie wichtig die Wandlung des Helden ist. Sich aber nie damit auseinandersetzen wollte, was Veränderung bedeutet.

Was wir uns genauer ansehen wollen, ist dieses »angeblich ein besserer Mensch«. Angeblich heißt, der Autor behauptet die Veränderung nur. Weil Behauptungen billig und schnell hingeschrieben sind. Dem Leser genügt das nicht. Wie ich eingangs geschrieben habe: Sie müssen dem Leser immer wieder aufs Neue beweisen, dass die Charaktere in Ihrer Geschichte atmen, dass sie leben und echt sind. Auch Veränderungen wollen bewiesen werden. Mehr noch: Da Veränderungen so essenziell sind, ist es auch ihr Beweis.

Wie beweisen Sie dem Leser nun, dass Ihr Held sich gewandelt, dass er etwas dazugelernt hat?

Sehen wir uns dazu Episode 14 der vierten Staffel der TV-Serie »Nashville« an. (Eine Serie, die ich jedem ans Herz lege, der wie ich die Verbindung von guter Musik, gutem Storytelling und reichlich Drama einschließlich Herz-Schmerz schätzt. Für Autoren eine Fundgrube auch emotional gelungenen Erzählens.)

Colt, der Sohn des Country-Superstars Luke Wheeler, will zur Army. Das Problem: Er ist noch minderjährig und braucht zum Eintritt die Einwilligung seines Vaters. Luke will sie ihm nicht geben. Er hat Angst um seinen Sohn. Die Situation ist verfahren, zudem Colt zu seiner Mutter gezogen ist und sich von Luke entfremdet hat.

Bei einer Aussprache erklärt Colt seinem Vater: »Wenn du an etwas glaubst, dann ziehst du es selbst dann durch, wenn es dir Angst macht.« Zunächst prallt das an Luke ab.

Später denkt er darüber nach. Und erkennt die Position seines Sohnes. Luke hat etwas dazugelernt, etwas in ihm hat sich verändert.

An der Stelle hören viele Autoren auf. Sie haben Lukes Denkprozess gezeigt, das reicht ja. Womöglich lassen sie ihn noch den Entschluss fassen, sich das Gelernte gut zu merken. Und glauben damit, dem Leser nicht nur einen gewandelten, sondern auch einen entschlossenen Charakter gezeigt zu haben.

Äh, nein.

Dass ein Charakter um das Gelernte weiß, reicht dem Zuschauer oder Leser nicht. Er will es bewiesen haben, er will es sehen, er will es lesen.

In »Nashville« beweist Luke diese Veränderung, indem er Colt sein Einverständnis gibt und bei der Army für Colt unterschreibt. Der Leser ist Zeuge, als Luke Colt das sagt und auch, als er unterschreibt.

Alles bewiesen, Leser happy, alles klar, Computer aus und raus in den Biergarten.

Äh, sorry, nein.

Der Leser ist noch nicht zufrieden. Ja, ich weiß: Leser (*Waldscheidt rollt die Augen*)!

Was Luke getan hat, ist, als hätte er für eine Mathearbeit gelernt und das Gelernte in der Mathearbeit erfolgreich umgesetzt. Entscheidend ist etwas anderes: Kann der Charakter das Gelernte auch im Leben umsetzen und erst dann endgültig seinen Lernfortschritt unter Beweis stellen?

Luke Wheeler kann. Ihm gehört eine Plattenfirma. Der junge Countrystar Will Lexington war einst einer von Lukes Stars. Als Will sein Coming-out hatte, sah Luke sich gezwungen, Wills Vertrag zu kündigen. Ein schwuler Musiker hat es schwer in der konservativen Welt der Countrymusik.

Nach dem Lernerlebnis mit Colt erkennt Luke: Er hatte damals Angst davor, Will weiter zu unterstützen. Obwohl er es richtig gefunden hätte, es zu tun. Er findet es immer noch richtig. Und deshalb überwindet er seine Angst vor Rufschädigung, zornigen Fans und niedrigeren Umsätzen und holt Will zurück in die Firma.

Womit er sich selbst seinen Lernerfolg bewiesen hat. Und eben auch dem Zuschauer respektive Leser.

Extratipp: Die Qualität des Drehbuchs von Taylor Hamra zeigt sich in diesem Fall noch an etwas anderem. Die normale und ordentliche Variante wäre gewesen, wenn der Sohn seine Lektion vom Vater gelernt hätte. Das aber stellt Hamra auf den Kopf, indem sie den Vater vom Sohn lernen lässt. Was wiederum das Auf-den-Kopf-Stellen des in der konservativen Countryszene üblichen Totschweigens alternativer Lebensentwürfe widerspiegelt.

Das ist Schreiben auf höchstem Niveau. Und auch Ihr Ziel, stimmt’s? Was könnten Sie in Ihrem aktuellen Projekt auf den Kopf stellen? Treten Sie einen Schritt zurück und suchen Sie all die Dinge, die üblich und normal sind. Was davon würde den Roman durch eine 180°-Kehre besser machen? Und welcher Ihrer Charaktere verändert sich dadurch wie?

Stephan Waldscheidt

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