Schreib-Tipp: Weltenbau – Wie Sie Ihre Romanwelt dem Leser näherbringen und Fehler vermeiden

Sie wollen einen Urban-Fantasy-Roman schreiben oder die Leser in Ihre ganz eigene Steampunk-Welt entführen. Sie wollen den Charakteren Ihres Science-Fiction-Dramas einen Handlungsrahmen geben. Weltenbau ist nicht auf fantastische Genres beschränkt. Er kann schlicht heißen, eine eigene kleine Welt in der bestehenden zu schaffen, etwa eine Kleinstadt, in der die Ereignisse ihres realistischen, zeitgenössichen Romans spielen.

Wie vermeiden Sie, dass der Weltenbau zum Selbstzweck wird? Welche Gefahren lauern bei der Erschaffung und Beschreibung einer Welt? Wie vermeiden Sie diese und bauen eine Welt, in der sich der Leser mit Begeisterung und Neugier für viele Stunden aufhält?

Behalten Sie insbesondere am Anfang folgendes im Hinterkopf: Ihre Leser wissen nichts von Ihrer Welt. Das kann bedeuten, dass Sie auch sehr grundlegende Dinge erklären müssen – aber bitte stets auf eine dynamische und unterhaltsame Art und Weise.

Erschwerend kommt hinzu, dass bei Fantasy und Science Fiction ja sehr viel mehr möglich ist als in der uns bekannten Welt. Das frühe Aufzeigen der in Ihrer Welt geltenden Regeln (etwa die Funktionsweise und Bedingungen von Magie) ist deshalb umso wichtiger.

Etablieren Sie daher die wichtigen Gesetze Ihrer Welt relativ bald. Es darf durchaus auch mal ein Prolog sein. Wenn er notwendig, gut und besonders ist, siehe Vorspann des Films »Krieg der Sterne«.

Auch »Game of Thrones« verwendet im Buch wie in der TV-Serie eine kurze Vorgeschichte ohne Hauptcharaktere als Prolog. Die Idee ist gut: In der ersten Szene wird klargemacht, dass wir es mit einer Fantasy-Welt zu tun haben, denn ein Untoter taucht auf. Das machen die Autoren auch deshalb, weil anschließend lange Zeit nichts Fantastisches geschieht. Nach dem Anfang aber wissen Leser und Zuschauer: Davon kommt noch mehr. Und bleiben gespannt.

Suchen Sie sich in der Geschichte Ihrer Welt(en) Zeiten, die besonders dramatisch sind oder dramatisches Potenzial besitzen. Das kann ein Krieg sein, doch auch ein wackliger Frieden zwischen zwei Völkern liefert ein spannendes Setting. Sie können Umbrüche zeigen wie Völkerwanderungen, Epidemien, Hungersnöte. Oder Zäsuren wie den ersten Kontakt mit einer fremden Zivilisation.

Solche dramatischen Settings sind nicht nur schöne Staffage – sie zwingen die Helden zu dramatischen Entscheidungen und verzweifelten Taten. Ein gutes Beispiel dafür ist die TV-Serie »The Walking Dead«, wo das Setting »Georgia, USA, nach der Zombie-Apokalypse« immer wieder aufs Neue intensivstes menschliches Drama erzwingt.

Leser von phantastischen Romanen lesen diese Genres vor allem, weil sie fremde Welten kennenlernen wollen. Das heißt, dass Sie mehr Freiheiten und mehr Raum zum Fabulieren haben, denn der Leser gibt Ihnen diesen Raum. Mehr noch: Frau Leserin und Herr Leser erwarten es, in diese für sie neue Welt entführt und durch sie hindurchgeführt zu werden.

Dieses Fabulieren und Erzählen aber sollte stets romandienlich sein. Auch Abschweifungen sind gerne gesehen, soweit Sie diese mit Ihren Charakteren und der Story verbinden.

Beispiel: Wenn Sie etwas über einen lange zurückliegenden Krieg erzählen, der einiges über die aktuellen Feindschaften und Gefühle der Völker Ihres Romans erklärt, dann nehmen Sie sich nicht irgendwelche Figuren von damals, die dem Leser nichts sagen. Machen Sie diese Geschichtsstunde persönlich. Etwa indem Sie die bereits gut eingeführte Protagonistin erzählen lassen, was der Großvater im Krieg erlebt hat, was sie bei seinen Geschichten empfunden hat und wie sie diesen Krieg interpretiert.

Vermeiden Sie es, die Handlung zugunsten des Weltenbaus zum Stillstand zu bringen. Bauen Sie Ihre Beschreibungen und Erklärungen organisch in die Handlung ein.

Beispiel: Ihre Heldin reist in eine fremde Stadt, um dort ein magisches Elixir aus dem Königspalast zu stehlen. Auf der Überfahrt wird sie von einem Händler angesprochen, der die Stadt bereits gut kennt – und der offenbar ein erotisches Interesse an der Heldin hat. Während er sie zu einem halben Stündchen unter Deck überreden will, schimpft er über den König und dessen willkürlich agierenden Schergen. Jeder kleine Dieb könne in den Kerker geworfen oder sogar geköpft werden. Man solle das Leben genießen, solange man es noch kann. Er zwinkert ihr zu.

Auf diese Weise haben Sie dem Leser wie nebenbei alles Wichtige über die fremde Stadt mitgeteilt. Darüber hinaus haben Sie die Einsätze verdeutlicht – in die Stadt zu gehen, ist lebensgefährlich für einen Dieb – und eine unterhaltsame Szene geschrieben.

Ein Begriff sollte bei Beschreibungen Ihr Leitmotiv werden: Pars pro Toto. Das heißt, dass ein Teil für das Ganze spricht. Suchen Sie Details, die mehr sind als nur ein Detail, sondern die im Leser sofort ein größeres Bild entstehen lassen. Dadurch erzählen Sie ökonomischer und schreiben deutlich bessere Szenen.

Beispiel: Beim Beschreiben einer Hafenszene versuchen Sie gar nicht erst, sämtliche Ereignisse zu beschreiben, die sich dort abspielen. Konzentrieren Sie sich auf einen dynamischen, emotionalen Ausschnitt. Zeigen Sie etwa, wie ein Fass über die Gangway gerollt wird – und dem betrunkenen Schauermann davonrollt. Leute müssen aus dem Weg springen, ein Karren mit Fischen wird umgeworfen und Fische zappeln über den Kai und schließlich zerschellt das Fass direkt neben Ihrem Protagonisten, der dann von oben bis unten mit Rum vollgespritzt wird, sein einziger Anzug rumgetränkt – dabei wartete er auf seine ihm noch unbekannte Ehefrau, die mit einem der Schiffe ankam.

Der Leser besorgt den Rest und baut sich die komplette Hafenszene darum herum.

Dieses Pars pro Toto hat noch einen weiteren Vorzug: Details und Informationen können sich gegenseitig Kraft rauben. Wenn Sie sich nicht entscheiden können zwischen fünf Einzelheiten und dann alle fünf darstellen, wird der Leser gezwungen, seine Aufmerksamkeit auf fünf Details aufzuteilen. Das Ergebnis: keins davon bleibt ihm so stark in Erinnerung wie das eine, richtig überzeugende.

Statt sich jedoch zuerst auf die gefundenen oder erfundenen Details zu stürzen und es dabei bewenden zu lassen, fangen Sie mit dem großen Bild an und zoomen Sie auf die Einzelheiten. Von dort gehen Sie weiter, indem Sie einzelne Details miteinander verbinden und danach Dramatisches in den Details oder deren Beziehungen entdecken und herausarbeiten und verstärken.

Beispiel: Sie haben da eine dampfgetriebene Kutsche und dort einen zwielichtigen Schmied, der nebenbei ein Schwarzmagier und Serienmörder ist. Beides schöne Ideen, die Ihnen unabhängig voneinander eingefallen sind, beides hat nichts miteinander zu tun. Was aber, wenn der Schmied stattdessen ein Handwerker wäre, der die Dampfkessel von Kutschen repariert? Und was, wenn Ihre reiche und schöne Protagonistin eine solche Kutsche besäße – und damit in die Werkstatt müsste? Sie verliebt sich in den gefährlichen Burschen …

Hier haben Sie ein Stück einer Steampunk-Welt erschaffen – und zugleich schon sehr viel mehr für Ihren Plot und die Charaktere getan.

Halten Sie sich nicht mit den falschen Details auf. So ist es meistens wichtiger, die sozialen Verhältnisse zu klären als, beispielsweise, seitenlang über Waffen zu schwadronieren. Auch wenn es auf den ersten Blick weniger sexy sein mag. Denn im Fokus stehen für den Leser die Charaktere. Und um deren Handlungen verstehen zu können, muss der Leben wissen, welches Verhältnis Sklaven, Handwerkergilde und Königin zueinander haben, wie die Machtverhältnisse und Abhängigkeiten sind oder welche Rechte Männer und Außerirdische haben.

Hier sollten Sie sich unbedingt auch auf die Aussagen von Testlesern stützen.

Bleiben Sie bei Ihren Beschreibungen hochkonkret und vermeiden Sie Abstraktionen. Das ist in Fantasy und Science Fiction fast noch wichtiger als bei realistischen Romanen. Denn aus Abstraktionen kann kein Bild entstehen, wenn man nicht wissen kann, was die Abstraktionen überhaupt zusammenfassen sollen – weil man die Welt eben nicht kennt.

Gerade dort, wo Abstraktionen fast von alleine kommen – etwa, wenn Sie über die politischen Verhältnisse Ihrer Welt schreiben –, sollten Sie ihnen besonders misstrauen. Gerade dort ist es wichtig, glasklar und hochkonkret zu sein.

Beispiel: Statt einen König mit seinem Berater hochabstrakt über die Auswirkungen eines Handelsembargos diskutieren zu lassen, zeigen Sie den Mundschenk und den Saaldiener und wie sie miteinander tuschelnd das Gehörte in die Sprache des Volkes übersetzen: »Keine Schokolade mehr für meine kleine Tini. Sie ist so krank und Schokolade das Einzige, was ihr noch Freude macht. Ich will mir ihre Augen nicht vorstellen, wenn sie hört, dass sie keine Schokolade mehr bekommt.«

Wenn Sie diese Punkte berücksichtigen, wird Ihnen der Bau Ihrer neuen Welt deutlich mehr Spaß machen. Und die Leser wollen diese Welt am liebsten gar nicht mehr verlassen – und kaufen auch Ihr nächstes Buch.

Stephan Waldscheidt

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