Schreib-Tipp: Wie Sie Gesten richtig beschreiben

Viele Autoren quält das Problem: Wie beschreibe ich Gesten, insbesondere komplizierte, in meinem Roman?

Am Anfang sollten Sie sich zunächst fragen: Brauche ich diese spezielle Geste tatsächlich? Und muss der Leser sie detailliert und exakt kennen? In manchen Fällen mag das wichtig für den Roman oder für die Charakterisierung sein, in den meisten Fällen ist das nicht der Fall.

Zwar ist im realen Leben Körpersprache sehr oft wichtiger als das Gesagte. Im Roman aber sieht das anders aus. Der Roman ist kein visuelles Medium, und optische Informationen (und auch andere Sinneswahrnehmungen) werden durch Wörter ersetzt. Erinnern Sie sich daher immer mal wieder daran, dass Ihre Wörter nur einen winzigen Bruchteil eines winzigen Bruchteils all der Informationen wiedergeben können, die in einem einzigen Augenblick einer Szene der realen Welt erfassbar wären. Die Visualisierung übernimmt der Leser – darum liest er, statt sich fertige Bilder als Film anzusehen. Sie als Autorin oder Autor können diese Visualisierung und Vorstellung nicht kontrollieren. Doch sie können Sie auch bei Gesten anstoßen und den Leser in die gewünschte Richtung schubsen. Wie, das sehen wir uns im Folgenden an.

Auf dreien dieser Hocker saßen Bauern, die lebhaft diskutierten. Ihre Stimmen wurden leiser, als sie den Brigadiere und Montalbano kommen sahen. Der Älteste von den dreien, der den anderen beiden gegenübersaß, hob eine Hand und machte eine entschuldigende Geste, als ob er sagen wollte, daß er gerade beschäftigt sei. Bill nickte zustimmend und holte zwei Hocker, die er in den Schatten stellte, aber ziemlich weit von der Laube entfernt. (aus: Andrea Camilleri, Der Hirtenkönig, eine Kurzgeschichte in: Sarkowicz, Hans / Bunk, Carolin, Grüße aus Sizilien, insel 2008)

Hier haben wir gleich drei Möglichkeiten auf engem Raum versammelt.

Bauern, die lebhaft diskutierten

Oft genügt schon eine sehr grobe Umschreibung, damit der Leser die Gesten vor Augen sieht. Wer hat nicht sofort ein Bild, ja, eine Szene im Kopf, wenn er von lebhaft gestikulierenden italienischen Bauern liest? (Aber Vorsicht: Klischeegefahr!)

Bill nickte

Auch wenn Sie sich wie hier weitgehend auf klare, bekannte Gesten beschränken, entsteht im Leser sofort ein Bild.

Bill nickte zustimmend

Gerade unbekannte, aber nicht nur solche Gesten könnten Sie mit Erklärungen unterstützen. Im Beispiel ist das allerdings eine Tautologie. Nicken gilt in unserem Kulturkreis allgemein als Zustimmung. Daher die Warnung: Wenn Sie eine eindeutige Geste verwenden, die den Leser geläufig ist, sollten Sie nicht noch Wörter verschwenden, diese Geste zu erklären. Das bedeutet überflüssige Wörter, einen aufgeblähten und damit langsameren Text und Leser, die sich für dumm verkauft fühlen.

Anders hier:

Er machte eine ungeduldige Handbewegung.

Der Erzähler/POV-Charakter interpretiert die Geste oder macht sich Gedanken darüber. Auch auf diese Weise können Leser die Geste vor sich sehen. Es spielt dabei meist keine Rolle, dass jeder Leser sich unter einer, wie hier, ungeduldigen Handbewegung etwas ein wenig anderes vorstellt.

Ebenfalls bildhaft sind Gesten, die direkt in die Handlung einbezogen werden.

»Avanti, avanti!«, rief Borruso und forderte sie mit einer weit ausholenden Geste auf, in die Laube zu kommen. (aus: Andrea Camilleri, Der Hirtenkönig)

Eine andere Möglichkeit ist es, die Geste mit etwas anderem zu vergleichen.

»Dann sind Sie kein Modell, Mademoiselle?« Er unterstreicht seine Frage mit einer Geste, als ob er im Supermarkt Melonen betastet, um zu prüfen, ob sie reif genug sind. (aus: Jina Bacarr, Das Aktmodell, Mira 2005)

»Nein-ha-ha! Verdaaaammte Scheiße. Nein, lieber Gott, nein«, kichert Atal und macht eine Geste, als würde er sich mit der Hand den Hals durchschneiden. (aus: Matias Faldbakken, Unfun, Blumenbar 2008)

Vermeiden sollten Sie die genaue Beschreibung komplexer Gesten und Bewegungen.

Hier wird es schon grenzwertig:

Sie streckte ihm die flachen Hände entgegen. Er verstand und reichte ihr die seinen. Sie drehte die Handflächen nach oben und studierte zunächst nur die Muster – hier eine Schwiele, dort eine feine Narbe, die Hand eines Bogenschützen, eines Waldläufers und Jägers, dem an der Überfeinerung des höfischen Lebens wenig lag. (aus: Die Seelenjägerin, Celia Friedman, Piper 2013)

Welche Handflächen dreht sie? Wahrscheinlich seine. Aber dass man darüber nachdenkt, ist kein gutes Zeichen.

Beispiel: Sie öffnete die Fäuste, drehte die Handflächen nach unten und tat, als drückte sie die Luft weg, wobei sie ihr linkes Bein anwinkelte und auf den Hocker stellte.

Bei solchen Beschreibungen zwingen Sie den Leser dazu, sich das vorzustellen und Ihren Worten genau zu folgen. Was oft darin resultiert, dass der Leser a) aus der Geschichte gerissen wird, b) einen Knoten vorm inneren Auge bekommt und sich c) die Szene noch weniger vorstellen kann, als wenn Sie die Beschreibung/Geste weggelassen hätten.

Eine weitere Möglichkeit, eine Geste zu zeigen: Lassen Sie einen anderen Charakter so auf die Geste reagieren, dass dem Leser dadurch die Bedeutung der Geste klar wird.

Beispiel: Er formte mit Daumen und Zeigefinger ein O. Sie wandte sich angewidert ab, bevor sie sich erinnerte, dass in seinem Land diese Geste so viel bedeutete wie »Alles klar«.

Vertrauen Sie Ihren Lesern, dass sie sich selbst das richtige Bild machen. Eben das Bild, das sich aus dem Kontext ergibt.

»Guten Morgen!« Er streckte seine Hand aus, und Achilles Seferis tat alles, um die dargereichte Hand schier zu zerquetschen. Seferis lächelte und machte eine Geste mit dem linken Arm.

»Mein Freund, wie kannst du einen Vormittag Morgen nennen? Glaubst du, ich schlafe bis sieben? Glaubst du, ich steh erst auf, wenn es hell ist? (…)«

In dieser Szene aus Mats Wahls Roman »Die Rache« (dtv 2009) überlässt es der Autor den Lesern, sich diese Geste mit dem linken Arm einfach selbst vorzustellen. Dadurch verwirrt er niemanden und erreicht noch etwas Positives: Er regt die Leser dazu an, ein eigenes Bild zu entwerfen. Und jeder Akt der Imagination, den ein Leser bereitwillig unternimmt, führt ihm die Geschichte nicht nur deutlicher vor Augen, sondern er bindet ihn auch emotional fester an den Roman.

Spezielle Gesten können zu einem Markenzeichen eines Charakters werden. Dann erklären Sie sie nur beim ersten Mal und greifen danach wieder darauf zurück:
Sie begrüßten sich mit ihrem komplizierten Händeschütteln aus Uni-Tagen.

Oder sie kennzeichnen eine Region, ein Land, eine kulturelle Gruppe.

Einfühlsam hob er die Hände und spreizte die Finger, die typische Geste eines New Yorkers, der zeigen will, dass er nichts Böses im Schilde führt und unbewaffnet ist. (aus: Carol O’Connell, Kreidemädchen, btb 2015)

Wenn Sie dennoch eine komplexe Geste detailliert möchten, achten Sie auf eine kristallklare, simple Sprache und einen einfachen Satzbau bei der Beschreibung. Nur dann haben Sie eine Chance, dass der Leser sieht, was er sehen soll. Und keinen Knoten ins Hirn bekommt.

Stephan Waldscheidt

Spannung ist nicht nur etwas für Spannungsromane und Thriller. Jeder Roman braucht Spannung. Und Ihrer noch viel mehr davon. Egal, welches Genre Sie beackern. Oder wollen Sie etwa nicht, dass Ihre Leser umblättern? Der Ratgeber »Spannung & Suspense – Die Spannungsformel für jedes Genre (Meisterkurs Romane schreiben)« gibt Ihnen vielfältige Instrumente in die Hand, die Sie nirgendwo sonst finden.

  • Spannung und Suspense durchschauen und präzise einsetzen.
  • Spannung effektiv variieren, halten, steigern.
  • Spannungslücken finden und beheben.
  • Spannung meistern in jedem Genre, Untergenre oder Genre-Mix.

»Brillant« (Isabell Schmitt-Egner), »Großartig« (J. Siemens), »Toll« (Jenny Benkau), »Öffnet die Augen« (Margit Gieszer), »Meisterwerk« (Alexandra Sobottka)

PaperbackKindle E-Bookepub-E-Book