Schreibtipps für Autoren: Ich habe da eine Idee für einen Roman

Hat gerade keine Idee... (Bild: everett225 / depositphotos.com)
Hat gerade keine Idee… (Bild: everett225 / depositphotos.com)

Bei manchen Romanen merkt man, dass sie nicht funktionieren, wenn man sie liest. Bei den meisten genügt dafür schon das Lesen des Exposés und einer Textprobe – genau das tun die Verlage. Leider werden dabei sowohl dysfunktionale Romane ausgesondert als auch solche, die nicht ins Verlagsprogramm oder ins Geschmacksspektrum des Lektors passen.

Doch es gibt eine narrensichere Methode, mit der Sie schon erkennen, ob ein Roman – qualitativ – scheitern muss, bevor auch nur das Konzept dazu existiert. Es ist eine Aussage, die ich sehr oft aus dem Mund von (Möchtegern-)Autoren höre: »Ich habe da eine [schwärmerisches Adjektiv einfügen] Idee für einen Roman.«

O-oh.

In dem Satz findet sich ein großes Missverständnis, das einerseits dafür sorgt, dass viele Möchtegerns sich ins sichere Scheitern stürzen, und andererseits die Arbeit »richtiger« Schriftsteller geringschätzt, nach dem Motto: »Schreiben habe ich in der Schule gelernt, und mit der einen richtigen Idee könnte ich auch einen Bestseller schreiben.« Auf Deutsch: »Das kann ja jeder.«

Ich begegne dieser Aussage gern mit folgendem Kontra: »Ein Roman hat im Schnitt so etwa hunderttausend Wörter. Das sind hunderttausend Ideen. Die reichen aber bei Weitem nicht, um einen Roman zu schreiben. Dazu nämlich braucht es weiterer Ideen, die diese Wörter zu Sätzen und Kapiteln verbinden, die Inhalte erschaffen, Charaktere erstehen lassen und den Leser mit Bildern und Emotionen beschenken.«

Aber alle Romane fangen doch mal klein an, bei der ersten Idee, oder? Stimmt. Aber bevor diese Idee nicht zu einem Konzept gereift ist, sollte man sie besser noch für sich behalten und erst einmal in Ruhe darüber nachdenken. Ein ebenso verbreiteter und durchaus verständlicher Anfängerfehler, der dennoch fatal für das zu schreibende Buch ist: Autoren lassen sich zu wenig Zeit, mit der ersten Idee schwanger zu gehen. Die Metapher ist absichtlich gewählt: Keine Mutter würde ihren Freundinnen voller Stolz ein Foto ihres gesprungenen Eies zeigen, oder? Sie würde auch nicht nach fünf Monaten sagen: So, jetzt habe ich genug gewartet, raus mit dir, Kleiner, mit Kaiserschnitt! Als Autor sollten Sie das auch nicht tun.

Das heißt nicht, dass Sie eine solche Ausgangsidee geringschätzen sollten. Im Gegenteil. Freuen Sie sich über den Geistesblitz, hegen und pflegen Sie das Ideechen, bis es mehr ist als nur eine Zelle. Genau das sind Ideen: Keimzellen, aus denen bei richtiger Pflege etwas Lebendiges sprießt, ob ein mächtiger Baum oder ein stattliches Kind. Zunächst aber ist es nur ein Trieb mit Potenzial.

Als Autor eines Romans bewegen Sie sich gegen den aktuellen Trend der sofortigen Befriedigung von Wünschen und Trieben und der schnell abrufbaren Belohnung durch die entsprechenden elektrischen und chemischen Reaktionen Ihres Hirns. Es gibt Gefühle, die sofort abrufbar sind, weil sie uns einen direkten evolutionären Vorteil verschaffen. Das sind Dinge wie die Angst, die uns wegrennen lässt, ohne lange nachzudenken. Dann gibt es die Gefühle, die erst reifen müssen wie Liebe oder Hass.

Wenn Sie einen Roman schreiben, sollten Sie sich nicht in erster Linie von Impulsen leiten lassen. Gehen Sie vielmehr eine Beziehung zu ihm ein, zu den Charakteren darin, zu den Emotionen und Strukturen, zu den Themen, zur Sprache.

Wenn Sie ein Sachbuch schreiben, gilt das Gleiche, nur leuchtet der Zusammenhang dort eher ein. Niemand käme auf den Gedanken, mal eben ein tiefschürfendes Sachbuch zu verfassen oder einen profunden Ratgeber. Am Anfang steht die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema: nachdenken, recherchieren, diskutieren, revidieren.

Diese Vorarbeit braucht auch ein Roman, sofern er etwas taugen soll.

Und dann begegnen mir immer wieder Möchtegernautoren, die mich fragen: »Ich würde gerne ein Buch schreiben. Aber ich habe keine Idee. Was mache ich da?« Was sie tun sollen, kann ich ihnen nicht sagen. Nur das, was sie nicht tun sollten: ein Buch schreiben. Ideenmangel kennzeichnet den Möchtegern, Ideenüberschuss den Autor. Ohne diesen Überschuss fangen Sie am besten gar nicht erst mit dem Schreiben an. Sie tun sich damit keinen Gefallen. Es gibt viele andere schöne Hobbys.

Ein hoffnungsvolles Wort zum Schluss: Ideen zu haben, das kann man trainieren. Viel Spaß beim Work-out.

Stephan Waldscheidt

Schriftsteller & Skriptdoktor. Autor einer erfolgreichen Reihe von Autoren- und Schreibratgebern. Berät Romanautoren persönlich oder in Workshops übers Schreiben und Veröffentlichen. Schreibt als Paul Mesa selbst Romane.

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