Stiltipps für Autoren: Entfesseln Sie die Power, die in jedem Ihrer Sätze steckt

KNOCKED OUT
Mehr Power für Ihre Sätze. (Bild: Everett225 / depositphotos.com)

Grammatik ist gähn, oder? Könnte daran liegen, dass Ihr Deutschlehrer Ihnen die spannendsten Dinge verschwiegen hat: die Kniffe, die einen Text aufregend machen und Ihre Phantasien, Ideen, Geschichten und Charaktere aus den Seiten heraustreten lassen. Einige davon werden wir uns in diesem und in kommenden Artikeln genauer ansehen. Den DUDEN können Sie getrost weglegen. Statt Fremdwörtern erwartet Sie sofort praktisch anwendbares Wissen.

Grob gesagt ist ein Satz ein Gedanke, der mit einem Punkt, einem Fragezeichen oder einem Ausrufezeichen endet. Und noch in den Satzzeichen steckt Power, wie Sie in dieser Serie über das Potenzial von Sätzen ebenfalls entdecken werden. Sehen wir uns an, wie Sie die Power von Sätzen in Ihren Texten freisetzen!

Sätze als eigene Geschichte – mit eigener Dramaturgie

Nicht nur Ihr Roman als Ganzes sollte einer Dramaturgie folgen. Das Gleiche gilt für Szenen und es gilt, wenn Sie gut sind, sogar für viele Ihrer Sätze. Dramatisch herausgehoben werden durch ihre Stellung im Satz das erste und das letzte Wort.

Versuchen Sie, wie in einer Geschichte, das Intensivste an den Schluss zu setzen. Steht es früher, fallen Spannung und Emotionen zum Ende hin wieder ab. Da kürzere Sätze als ein Gedanke wahrgenommen werden, spielt diese Stellung eine weniger gewichtige Rolle als bei der Dramaturgie des Romans als Ganzes. Aber wenn Sie hundert Mal eine Nuance Spannung oder Intensität mehr in Ihren Text packen, ergibt das am Ende einen Mehrwert für den Leser, den er deutlich spürt.

So manchem Satz in einem Sachbuch tut eine Dramaturgie ebenfalls gut. Schon wenn Sie lediglich das Spannendste an den Schluss eines Satzes stellen, spürt der Leser unbewusst, wie viel interessanter Ihr Text wird. Und liest auch noch den nächsten Satz. Und den danach …

Georg M. Oswald schreibt in seinem Krimi »Unter Feinden« (Piper 2012):

Er wurde von der Polizei ermordet, um seine Aussage zu verhindern und so die Beamten zu schützen, die ihn auf dem Gewissen hatten.

Hier geht es um ein spekulatives Szenario. Das Dramatischste, weil Ungeheuerlichste, ist die Ermordung eines Mannes, Amir Aslan, durch die Polizei selbst. Fakt ist: Aslan wurde von einem Polizisten angefahren und starb kurz darauf im Krankenbett. Das Dramatischste der Spekulation steht schon im ersten Teil des Satzes: »Er wurde von der Polizei ermordet.« Danach folgt die Erklärung.

Wenn wir den Satz umstellen, wird er dramatischer:

Um seine Aussage zu verhindern und so die Beamten zu schützen, die ihn auf dem Gewissen hatten, wurde er von der Polizei ermordet.

Dramatischer ist dieser Satz, ja. Aber ist er besser? Manchmal werden Sie abwägen müssen, ob Sie dem Klang eines Satzes den Vorzug geben oder eben seiner dramatischen Wirkung.

Ein anderes Beispiel, dieses aus dem Roman »Angst« von Robert Harris – obwohl wir die Beispiele hier eher seinem Übersetzer zu verdanken haben, Wolfgang Müller (Heyne 2011):

Sie erinnerten Hoffmann an einen kindlichen Albtraum – an Erwachsene aus einem altmodischen Märchenbuch, die mitten in der Nacht ins Schlafzimmer des Kindes eindrangen, um es aus dem Bett zu zerren und in den Wald zu verschleppen.

Der Satz ist dramaturgisch nahezu perfekt aufgebaut. Im ersten Teilsatz wird Hoffmanns Erinnerung grob umrissen: als ein kindlicher Albtraum. Dann geht der Autor ins Detail: Erwachsene aus einem Märchenbuch dringen erstens ins Zimmer ein, zerren zweitens das Kind aus dem Bett und verschleppen es drittens in den Wald – immer schlimmere Grausamkeiten.

Der Satz folgt auch dem tatsächlichen Ablauf der Handlungen und führt so das innere Leserauge wie der Regisseur seine Filmkamera.

Noch flüssiger und auch dramatischer läse sich der Satz so:

Sie erinnerten Hoffmann an einen kindlichen Albtraum – an ein altmodisches Märchenbuch mit Erwachsenen, die mitten in der Nacht ins Schlafzimmer des Kindes eindringen, es aus dem Bett zerren und in den Wald verschleppen.

Die »Erwachsenen« beenden den Teilsatz nach dem Gedankenstrich und bilden den unmittelbareren Anschluss an den nächsten Teilsatz. Im Rest des Satzes wird die Infinitivkonstruktion mit den »zu« ersetzt und in eine aktive Handlung im Präsens verwandelt, wodurch sie noch eindringlicher wirkt.

Perfekt schließlich wäre die Dramaturgie, wenn das letzte Wort »Wald« wäre, ist der Wald doch das Ziel des Verschleppens. So würde die starke Dramaturgie durch eine räumliche Logik im Satz vervollkommnet. (Zur räumlichen Logik später noch mehr.)

Der Satz könnte dann diese Konstruktion ergeben:

Sie erinnerten Hoffmann an einen kindlichen Albtraum, an ein altmodisches Märchenbuch mit Erwachsenen, die mitten in der Nacht ins Schlafzimmer des Kindes eindringen, es aus dem Bett zerren und verschleppen – in den finsteren Wald.

Realistisch oder auch nur wünschenswert ist es nicht, dass jeder Satz dramatisch aufgebaut ist. Doch mit jedem weiteren Satz, der seine eigene Dramaturgie hat, wird Ihre Geschichte dichter, dramatischer, spannender. Oder Ihr Sachtext interessanter und, ja, durchaus auch aufregender. Diese Gefühle, diese Spannung sind das, was aus einem trockenen Sachbuch einen spannenden Wissensthriller macht.

Eine besondere Bedeutung in Ihrem Text kommt Schlüsselsätzen zu, etwa dem Anfangssatz oder den Schlusssatz einer Szene. Dort ist es besonders sinnreich und wirkungsvoll, eine Dramaturgie einzubauen. Die Szene sollte mit einem Krachen enden, nicht mit einem Furz. Oder, um die Dramaturgie umzustellen: Die Szene sollte nicht mit einem Furz enden, sondern mit einem Krachen.

Lassen Sie’s krachen! (Fortsetzung folgt)

Stephan Waldscheidt ist Schriftsteller & Skriptdoktor sowie Autor einer erfolgreichen Reihe von Autoren- und Schreibratgebern. Er berät Romanautoren persönlich oder in Workshops übers Schreiben und Veröffentlichen und schreibt als Paul Mesa selbst Romane.

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