Test: Wie die Amazon-Rankings wirklich funktionieren – Mythen und Realität

Die Art und Weise, wie Amazon einem Titel einen Verkaufsrang zuordnet, ist eines der Geheimnisse des Anbieters. Wer die Verkaufszahlen seiner eigenen eBooks in Relation zum Rang stellt, wird schnell verwirrt. Mal sieht es so aus, als spiele der Preis eine Rolle, mal könnte man eine Bevorzugung von KDP-Select-Titeln vermuten. Oder haben auch die Klickzahlen oder Leserrezensionen einen Einfluss? Vermutlich wissen die Ingenieure in Seattle selbst nicht mehr so ganz genau, wie sich die Algorithmen gegenseitig beeinflussen.

Deshalb rief ich vorige Woche zu einem kleinen Test auf, und über 90 Autoren haben sich beteiligt.

Zu einem Experiment gehören Thesen und ein Versuchsaufbau. Die primär zu überprüfenden Thesen lauteten hier:

  • Der Preis spielt beim Ranking eine Rolle.
  • Die Einordnung in KDP Select spielt beim Ranking eine Rolle.
  • Die Verkaufs-Historie eines Titels spielt beim Ranking eine Rolle (und zwar eine stärkere als bisher).

Um klare Testbedingungen zu schaffen, habe ich vier eBooks hochgeladen, generiert aus Inhalten der Selfpublisherbibel. Alle Titel wurden in dieselbe Kategorie gestellt (Handbücher und Anleitungen).

  • Wissen“: KDP  Select ja, 0,99 Euro.
  • Neuigkeiten“: KDP Select nein, 2,99 Euro.
  • Tipps“: KDP Select ja, 2,99 Euro.
  • Marketing“: KDP Select nein, 0,99 Euro.

Das Experiment nahm den folgenden Zeitablauf:

  • 25. 11., 17:30: alle eBooks hochgeladen
  • 25.11., 19:45: alle eBooks freigeschaltet.
  • 25.11., 19:45: alle eBooks 1 x gekauft.
  • 26.11., 17:30: alle Titel haben ein Anfangs-Ranking.
  • 27.11. 08:40 Nachricht an alle Versuchsteilnehmer mit dem Ablauf des Tests.
  • 27.11., ca. 17 Uhr: 60 Käufe/Ausleihen von “Tipps” und “Neuigkeiten”.
  • 28.11., ca. 10 Uhr: 20 Käufe/Ausleihen von “Wissen” und “Marketing”.
  • 28.11., ca. 17 Uhr: 20 Käufe/Ausleihen von “Wissen” und “Marketing”.
  • 28.11., ca. 17 Uhr: 30 Käufe/Ausleihen von “Tipps” und “Neuigkeiten”.
  • 29.11., ca. 10 Uhr: 20 Käufe/Ausleihen von “Wissen” und “Marketing”.
  • 30.11., ca. 10 Uhr: 20 Käufe/Ausleihen von “Wissen” und “Marketing”.
  • 01.12., ca. 10 Uhr: 10 Käufe/Ausleihen von “Wissen” und “Marketing”.

Alle Titel sollten also je rund 90 Mal gekauft bzw. von KindleUnlimited-Nutzern geliehen werden (KU-Nutzer sollten die Titel bis auf mind. 10 Prozent blättern). Die eine Hälfte der Testkäufer ging damit wie bei einer typischen Preisaktion vor, die anderen beiden Titel werden über einen längeren Zeitraum verteilt gekauft.

Die Ergebnisse sind auf der Grafik sehr schön ersichtlich (unten können Sie aber auch die Protokolltabelle einsehen). Nicht alle Tester beteiligten sich gleichermaßen (die höchste Verkaufszahl pro Titel lag bei 73 statt der geplanten 90), aber das macht das Ergebnis nicht uninteressanter.

Charts_Amazon_Test

Erkenntnis 1: Der Preis eines Titels beeinflusst das Ranking nicht.

Mit der gleichen Anzahl an Verkäufen oder Ausleihen erreichten 2,99-Euro-eBooks und 99-Cent-Titel auch äquivalente Platzierungen (siehe dazu auch die Testtabelle).

Erkenntnis 2: Die Einordnung in KDP Select beeinflusst das Ranking nicht.

Die Vermutung, dass Amazon Exklusiv-Autoren bevorzugt, lässt sich nicht halten. Die rote und die blaue sowie die grüne und die gelbe Kurve laufen parallel.

Erkenntnis 3: Ein organisches Wachstum beeinflusst das Ranking positiv.

Gelbe und grüne Kurve basieren auf einem Viertel weniger Verkäufen als rote und blaue Kurve – und haben am Ende doch die Nase vorn.

Erkenntnis 4: Das Ranking bezieht Verkaufszahlen von mehr als den letzten 24 Stunden ein.

Nach einem Tag ohne Käufe verliert ein Titel etwa so viel von seinem Ranking, wie der Hälfte der nötigen Verkaufszahlen entspricht. Das heißt, der Amazon-Algorithmus entwertet Verkäufe alle 24 Stunden ungefähr zur Hälfte (das ist eine Schätzung Pi * Daumen, den genauen Entwertungsfaktor kennt nur Amazon selbst). Kombiniert man dies mit dem exponentiellen Anstieg der Verkaufszahlen in den oberen Plätzen der Charts, dann muss es für einen neuen Titel erheblich schwerer sein, einen älteren vom Thron zu stoßen, als selbst die Top-Position zu halten. Ein Titel auf Position X hat (wenn es um die Einordnung ins Ranking geht) die Verkaufszahlen von heute plus die Hälfte der Zahlen von gestern plus ein Viertel der Zahlen von vorgestern plus ein Achtel der Zahlen von vorvorgestern plus ein Sechzehntel der… All diese Summanden sind jeweils höher als die Vergleichszahlen des neueren Konkurrenztitels und ergeben zusammen genau 1. Will ein Titel also einen in den Charts vor ihm stehenden von seinem Platz verdrängen, muss er am Tag 1 seiner Existenz etwa doppelt so viel verkaufen wie der Konkurrent. Tag für Tag jedoch verringert sich der Abstand, während gleichzeitig die Zahlen des vorn liegenden Titels auf natürliche Weise sinken (es kommen ja nicht dauernd gleich viele neue Kunden hinzu). Dieses Phänomen erklärt Aussagen wie “in den Top 100 musste man heute nur 80 Stück verkaufen“, während gleichzeitig ein neuer Titel mit fast doppelt so vielen Verkäufen an den Top 100 scheitert.

Erkenntnis 5: KindleUnlimited-Ausleihen werden sofort für das Ranking gewertet.

Die Erkenntnis ist an dieser Stelle überraschend, und ich konnte das auch nicht glauben. In der Grafik ist ein Indiz erkennbar: Die Rangkurve für die KU-Titel hat zeitlich immer wieder einen kleinen Vorsprung vor der Kurve für die nicht in KU erhältlichen eBooks. Verkäufe zählen nämlich erst für das Ranking, wenn sie ca. 5 Stunden nach dem Kauf im Verkaufsbericht auftauchen (die Anzeige im Dashboard genügt nicht). Ausleihen hingegen zählen sofort, ohne dass der Leser auf 10 Prozent blättern muss. Ich habe das extra an einem separaten Titel getestet. Amazon gibt damit KU-Autoren zumindest einen kleinen Bonus: Geld gibt es zwar erst, nachdem mindestens 10 Prozent gelesen wurden – aber im Ranking macht das Buch sofort einen kleinen Sprung nach vorn, auch wenn der Leser das Werk irgendwann wieder ungelesen zurückgibt.

Was heißt all das für den Autor?

Die wichtigste Eigenschaft eines Autors ist und bleibt Geduld. Preisaktionen sollten gut geplant sein und idealerweise mehrstufig funktionieren. Von einer soliden Basis aus wirken sie besser als bei einem völlig neuen Buch. Beginnen Sie mit den Marketing-Möglichkeiten, die am wenigsten bringen, und steigern sie allmählich. KindleUnlimited bringt zumindest einen kleinen Bonus, wenn es ums Ranking geht.

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