Wie sich der eBook-Markt in den Entwicklungsländern entwickelt

Ein Gastbeitrag von Octavio Kulesz, in englischer Sprache bei Publishing Perspectives erschienen. Kulesz wird auf der Publishers Launch Konferenz Frankfurt über das Thema “What You Need to Know about Digital Publishing in the Developing World” sprechen – 8. Oktober, 13 Uhr in Halle 4.2, Raum Dimension der Frankfurter Buchmesse. Hier gehts zur Registrierung.

Ich verfolge die Entwicklung des E-Publishing in den Entwicklungsländern seit 2009, als Ramy Habeeb (Ägypten), Arthur Attwell (Südafrika) und ich das Digital Minds Network gründeten, das dem informellen Austausch von Daten dient. Als digitale Publisher im Süden der Welt hatten wir das Gefühl, dass die Geschäftsmodelle in den USA und Europa unsere Bedürfnisse nicht völlig befriedigten. 2011 baten mich dann die International Alliance of Independent Publishers und der Prince Claus Fund, eine detaillierte Untersuchung der digitalen Landschaft in Lateinamerika, Afrika, Arabien, Russland, Indien und China durchzuführen. Seitdem habe ich das elektronische Publizieren in diesen Teilen der Welt weiter beobachtet.

Es ist aus einer Reihe von Gründen schwierig, Zahlen zur eBook-Penetration in diesen Regionen zu nennen. Die nationalen Statistiken sind generell instabil – versuchen Sie einmal, einen Katalog aktueller Print-Bücher für die arabische Welt zusammenzustellen. Außerdem ist die ganze Idee, den Anteil des eBooks mit dem des Verlagssektors insgesamt zu vergleichen, zwar für die USA oder Europa relevant, viel weniger jedoch für die sich entwickelnden Märkte.

Als die digitale Technologie einmarschierte, besaß der Westen bereits eine hoch entwickelte Gutenberg-Industrie, und das eBook wurde als Erweiterung oder Ersatz des gedruckten Buchs betrachtet. Es gab also Bücher und eBooks, Distribution und eDistribution. Logischerweise nannte sich Michael Harts Pionierversuch “Projekt Gutenberg”, und ebenso logisch war, dass Amazon, der jetzige Digital-Marktführer im Westen, als Online-Buchladen startete. In Spanien, um ein europäisches Beispiel zu nennen, wurde Libranda von den größten Printverlagen gegründet.

In den Entwicklungsländern jedoch erscheint ePublishing nicht immer erst im zweiten Akt, sondern ziemlich direkt, ohne analoge Vorgeschichte. Viele ePublishing-Portale im Osten etwa kommen aus dem Videospielbereich, etwa Shanda Cloudary (China). In Afrika betrachtet man physische Bücher als eine Art ausgedruckter eBooks – siehe die Plattform Paperight – was die im Westen übliche Abfolge umkehrt.  Die Flora und Fauna solcher Ökosysteme fällt ganz anders aus als wir es gewohnt sind.

Wenn es um Entwicklungsländer geht, sollten wir deshalb nicht nur von eBooks sprechen, sondern besser insgesamt vom digitalen Publizieren. Das schließt mobile books, Online-Plattformen, Print on Demand und digitale Bildungs-Plattformen mit ein. Wenn wir uns nur auf eBooks konzentrieren, sehen wir nur einen Teil der Entwicklung und riskieren, bedeutende Phänomene aus dem Blick zu verlieren, die wir quantitativ (Umsätze, Verkaufszahlen) wie qualitativ (sozialer Einfluss, zugrundeliegende Trends) beobachten müssen.

Emerging markets setzen zwar internationale Modelle um – gleichzeitig drücken sie ihnen aber ihren eigenen Stempel auf. Der Unterschied ist riesig. In Lateinamerika etwa folgen Großstädte mit starken Verlags-Traditionen (Sâo Paulo, Buenos Aires) eher dem Buch-/eBook-Modell des Westens, aber begleitet von anderen interessanten Trends wie etwa der Verbreitung der Online-Literatur (der das solide Geschäftsmodell noch fehlt) oder Digital-Projekten, die mit staatlicher Infrastruktur aufgebaut werden. Brasilien führt in Sachen Technologie, während die anderen Länder Lateinamerikas einen Vorteil daraus ziehen, dass sie eine gemeisame Sprache (Spanisch) teilen.

In Indien ist die Verringerung der digitalen Spaltung Staatspolitik. Vielleicht durch die Sprachvermischung (die sich in unterschiedlichen Schriften äußert) hat sich der öffentliche Sektor für ein Tablet statt für einen Laptop mit analoger Tastatur entschieden. Daraus entstand das Aakash-Tablet, eins der technologisch ambitioniertesten Technologie-Projekte der Menschheit. Tablets an 220 Millionen Schüler zu verteilen, stellt eine Herausforderung dar. Doch wenn die Initiative ein Erfolg wird, wird die Verlagsindustrie in Indien in vier oder fünf Jahren ganz anders aussehen als heute, und eine große Zahl von Firmen und Individuen wird Inhalte für diese Plattform produzieren.

Am anderen Ende der Welt ist China ohne Zweifel der dynamischste Hub im digitalen Publizieren. Die chinesische Online-Literatur ist außergewöhnlich lebendig, mit Portalen wie Qidian oder Hongxiu — die beide zum Entertainment-Giganten Shanda gehören. Die etwa zwei Millionen Autoren, sechs Millionen Titel und einige zehn Millinen aktiven Leser des nternehmens zeigen, dass elektronisches Lesen und Schreiben in China bereits die Massen erreicht haben und zu einem großen Geschäft geworden sind. Das Land bietet mächtige Plattformen, einen riesigen Pool an Inhalten und eine unvergleichliche Zahl an Kunden – nur zum Vergleich: Es gibt heute bereits so viele 3G-Mobilfunk-Kunden in China wie Einwohner in den USA.

Es war in den vergangenen Jahren deutlich zu sehen, dass die großen westliche Spieler, Amazon, Apple, Google, auf enorme Schwierigkeiten trafen, in diesen Regionen einen Fuß in die Tür zu bekommen. In China etwa hat Amazon gerade ein bis zwei Prozent der örtlichen eCommerce-Umsätze erreicht. In Russland ist nicht Google Marktführer bei der Online-Suche, sondern Yandex, mit 62 Prozent Marktanteil. Im subsaharischen Afrika ist Apples Einfluss absolut marginal. Heute kann ein internationaler Verlag sein eBook etwa in Argentinien besser über den lokalen Anbieter Bajalibros verkaufen als über einen internationalen Shop.

Diese Situation kann sich stets ändern, doch derzeit besteht die vernünftigste Strategie für einen an diesen Märkten interessierten Publisher wohl darin, erstens zu versuchen, die digitale Logik des Landes zu verstehen (wer sind die öffentlichen und privaten Haupt-Spieler, -Geräte, -Zahlungsmethoden, -Steuern sowie geschäftliche und kulturelle Traditionen) und zweitens eine Allianz mit lokalen Firmen zu bilden.

Viele Entwicklungsländer zeigen veränderliche wirtschaftliche Umfelder mit fluktuierenden Währungen, Inflation, unerwarteten Eingriffen des Staates und anderen Hindernissen, die Europäer und Amerikaner nicht gewohnt sind. Selbst Länder, die heute aus makroökonomischer Sicht stabil erscheinen, können über Nacht umkippen – wie es oft in Lateinamerika geschehen ist. Diese Herausforderungen zu unterschätzen kann gefährlich sein. Eine gut durchdachte Strategie kann jedoch auch Türen zu substanziellen Märkten öffnen, etwa den Bildungsmärkten in Indien und Brasilien.

Die Lektionen, die man aus Projekten in Entwicklungsländern lernt, können nicht nur für diese Gebiete nützlich sein, sondern auch für Initiativen in Europa und den USA. Es gibt zahlreiche multikulturelle Communities des globalen Südens auch im Westen – und irgend etwas sagt mir, dass das Beachten der “digitalen Grammatik” der Herkunftsländer den Publishern die Möglichkeit eröffnet, diese Menschen effizienter zu erreichen, wo immer in der Welt sie leben.

Octavio Kulesz ist Direktor des in Buenos Aires beheimateten Verlags Editora Teseo und des Alliance-Lab.