All you can read: Wie Selfpublisher von E-Book-Flatrates profitieren

Vielleicht hören Sie beim Schreiben gerade Musik von einer besonders inspirierenden Spotify-Playlist. Für das fertige Kapitel belohnen Sie sich mit einer neuen Folge Ihrer Netflix-Lieblingsserie. Mit der Lektorin telefonieren Sie ohne schlechtes Gewissen ewig – dank Allnet-Pauschale. Die viele Zeit am Schreibtisch gleichen Sie mit einem Besuch im Fitness-Studio aus. In der Stadt sind Sie mit Ihrer Monatskarte unterwegs. Und im Urlaub freuen Sie sich auf das Hotelfrühstück.

Überall nutzen Sie Flatrates. Für eine mengenmäßig unbegrenzte Leistung regelmäßig einen festen Betrag auszugeben beziehungsweise zu kassieren, ist in vielen Branchen schon lange ein wichtiges Geschäftsmodell. Der Anbieter kann mit den regelmäßigen Einnahmen besser planen, der Nutzer hat das Gefühl, im Vergleich zum Einzelkauf zu sparen. Oft hilft die Flatrate sogar bei der Motivation: Wenn Sie schon jeden Monat 30 Euro für das Studio zahlen, sollten Sie es doch wenigstens einmal pro Woche schaffen zu trainieren.

Bei physischen Gütern ist die vorhandene Menge (Plätze im Studio oder im Bus, Essen auf dem Buffet …) begrenzt. Das gilt bei digitalen Angeboten nicht – und das ist auch der Grund, warum Flatrates hier ganze Geschäftszweige revolutionieren können. Die Musik- und die Filmbranche haben das schon hinter sich, Firmen wie Netflix oder Spotify sind damit aus dem Nichts zu milliardenschweren Unternehmen geworden. Die NutzerInnen sind begeistert. Wann haben Sie zuletzt eine komplette Serienstaffel an einem Tag angesehen, ohne dafür auch nur einen Cent zu zahlen? Die Urheberrechtsinhaber jedoch, Künstlerinnen, Musiker, Drehbuchautorinnen, ohne die es keine digitalen Güter gibt, müssen die Folgen dieser Entwicklung tragen. Weil sich digitale Güter fast kostenfrei unbegrenzt vervielfältigen lassen, können sich die Flatrate-Anbieter Preiskämpfe liefern – und die Einnahmen der Rechteinhaber fallen drastisch. Es ist bequemer, digitale Inhalte zu konsumieren, aber es ist schwerer, davon zu leben. Musiker etwa verdienen nun ihren Lebensunterhalt primär mit Konzerten: Der Live-Auftritt einer Künstlerin hat einen unknackbaren Kopierschutz, die Künstlerin selbst. Zumindest, solange es noch keine täuschend echten Roboter-Doubles gibt.

Beim Buch stecken wir gerade mitten in dieser Revolution, und sie ist nicht aufzuhalten. Allerdings steht sie noch am Anfang. Gerade jetzt gibt es für die Rechteinhaber, und das sind Sie, die Leserinnen und Leser dieses Artikels, die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen mitzubestimmen. Ohne Inhalte, also Ihre Romane und Sachbücher, kann es keine erfolgreiche E-Book-Flatrate geben. Zwar gibt es selten die Chance, Einfluss auf die gezahlten Honorare zu nehmen, doch jede Autorin hat die Wahl, an einem Flatrate-Modell teilzunehmen – oder eben nicht. Und diese Wahl sollten Sie von den Bedingungen abhängig machen.

Die wichtigsten E-Book-Flatrates

KindleUnlimited

Amazons E-Book-Flatrate (9,99 Euro im Monat) ist auf allen Kindle-E-Book-Readern und über die Kindle-Apps auf fast allen Smartphones und Tablets verfügbar. Das garantiert eine hohe Reichweite. Selfpublisher müssen sich mit ihren Titeln exklusiv über KDP Select an Amazon binden, wenn die Titel Teil von KindleUnlimited sein sollen. Als Honorar gibt es (als Teil eines weltweiten Fonds) etwas unter 0,3 Cent pro vom Kunden gelesener Seite, was bei einem typischen Roman auf etwa 1,30 Euro hinausläuft (die relevante Seitenzahl, von Amazon „KENPC“ genannt, liegt meist ein Drittel über der Zahl der Druckseiten).

Noch wichtiger ist aber der Effekt für das Amazon-Ranking: Jede Ausleihe zählt als Kauf. Das ist für die Sichtbarkeit eines E-Books bei Amazon ein kaum zu unterschätzender Faktor, der den Erfolg eines Buches ohne KindleUnlimited (KU) stark in Frage stellt. E-Books werden umso öfter in KU geliehen, je teurer sie sind. Das ist klar: Die NutzerInnen wollen ja ihre Investition wieder einspielen.

Die 150 bei KindleUnlimited erfolgreichsten Autorinnen und Autoren erhalten zudem am Ende jedes Monats einen „AllStar“-Bonus. Dieser liegt je nach Gesamtzahl der gelesenen Seiten zwischen 500 und 7500 Euro.

Prime Reading

Speziell für Nutzer des Prime-Abos (69 Euro pro Jahr) hat Amazon die Mini-Flatrate „Prime Reading“ eingeführt. LeserInnen können hier ohne Aufpreis aus etwa 500 Titeln wählen, die alle drei Monate ausgetauscht werden. AutorInnen erhalten dafür eine pauschale Entschädigung, die je nach vorherigem Verkauf eines E-Books zwischen 200 und 2000 Euro liegt. Die Höhe bestimmt Amazon. Bedingung ist, dass ein Titel bei KDP Select angemeldet ist, also nur bei Amazon verkauft wird.

Die Ausleihen zählen für die Sichtbarkeit, deshalb dominieren Prime-Reading-E-Books oft die Charts. Falls ein KindleUnlimited-Kunde das Prime-Buch liest, erhalten Sie als Autorin oder Autor die bei KU üblichen Tantiemen, auch verkauft wird Ihr E-Book weiterhin. Gerade bei ersten Bänden einer Reihe kann sich Prime Reading lohnen. Bewerben können Sie sich für Prime Reading nicht – Sie werden von Amazon angeschrieben und um Teilnahme gebeten.

Tolino Select

Amazons größter deutscher Konkurrent Tolino hat seine Flatrate zur Buchmesse gestartet. Für 9,90 Euro im Monat können Kunden aus 40 monatlich wechselnden Titeln in vier Genres (Liebe/Erotik, Krimi/Thriller, Gegenwartsliteratur, Fantasy/Science Fiction) maximal vier auswählen und auf Ihren Tolino-Reader laden. Flatrate-Nutzer können die ausgewählten Titel behalten, solange sie den Monatsbeitrag zahlen. Wer im November also keine Zeit zum Lesen hat, kann sein Limit von vier Titeln trotzdem ausnutzen und dann nach Weihnachten in Ruhe in den Büchern schmökern. Ungenutzte Leihen verfallen allerdings am Monatsende. Angeboten wird Tolino Select von Thalia, Hugendubel, Weltbild und Buecher.de

Für die Zusammenstellung der Titel ist Tolino Media verantwortlich, die Selfpublishing-Plattform der Tolino-Allianz. AutorInnen können sich dort bewerben. Tolino Media sieht die Aufnahme in die Flatrate als eine Art Marketing-Aktion. Jede Ausleihe zählt in den Bestsellerlisten als Verkauf, verbessert also die Sichtbarkeit. Ähnlich wie bei Prime Reading sind gerade für erste Titel einer Reihe positive Effekte zu erwarten. Das Honorar hängt vom Preis eines E-Books ab. Bei Titeln, die nicht älter als etwa ein Jahr sind, zahlt Tolino ab 4,99 Euro Buchpreis 50 Cent, darunter 25 Cent. Ein Mindestpreis von 2,99 Euro wird vorausgesetzt, 99-Cent-Titel haben also keine Chance.

Skoobe

Die von großen deutschen Verlagen betriebene Plattform Skoobe können Selfpublisher zwar nicht selbst beliefern, wohl aber über Distributoren wie Bookrix, Neobooks oder BoD. Leser zahlen ab 11,99 Euro pro Monat. Der Dienst zahlt Ihnen zwischen 15 und 20 Prozent des Netto-Verkaufspreises aus (die genauen Vertragsbedingungen sind geheim), ein Teil davon geht dann noch an die Distributoren. Bei einem 3,99-Euro-Titel bringt jeder Leihvorgang also am Ende knapp 50 Cent, bei günstigeren Titeln entsprechend weniger.

Skoobe-Titel kann man nur mit der speziellen App lesen – also nur auf Smartphones und Tablets. Das begrenzt die Reichweite. Weitere positive Auswirkungen hat Skoobe nicht, insbesondere wird die Sichtbarkeit in den anderen Shops nicht beeinflusst. Der Anbieter besteht anders als Amazon nicht auf Exklusivität.

Legimi

Die E-Book-Flatrate Legimi ist noch relativ neu auf dem deutschen Markt, hat aber bereits ein ansprechendes Programm. Ein unbegrenztes Abo kostet 4,99 Euro pro Monat (bei Jahresbindung). Die E-Books können auf bis zu drei Geräten gelesen werden. Legimi bietet einen eigenen E-Book-Reader für 1 Euro an (das Abo kostet dann monatlich 6,99 €), zur Nutzung des Abonnements wird allerdings eine Smartphone-App vorausgesetzt.

Beliefern können Sie den Anbieter als AutorIn zwar nicht direkt, aber über einen Distributor. Die Honorare entsprechen etwa denen bei Skoobe.

Readfy

Readfy bietet eine werbefinanzierte E-Book-Flatrate, die für den Nutzer völlig kostenlos ist. Die Reichweite ist wie bei Skoobe auf Smartphones und Tablets begrenzt, E-Book-Reader haben keine Chance. Readfy arbeitet auf Basis einer Erlösbeteiligung. Je mehr Readfy also mit Anzeigen verdient, desto höher fallen die Einnahmen aus. Ein Prozentsatz davon geht natürlich auch noch an den Distributor. Am Ende bleiben nach Erfahrungen vieler Autorinnen etwa 20 bis 30 Cent pro E-Book übrig.

Ob Auswirkungen auf den Verkauf eigener Titel anderswo zu erwarten sind, ist schwer zu beurteilen. Smartphone- und Tablet-User werden auf Readfy kostenlos erhältliche Titel wohl nicht dringend anderswo kaufen wollen.

Nextory

Der schwedische Anbieter ist seit Frühjahr 2019 auf dem deutschen Markt. Er bietet “zehntausende” Hörbucher und E-Books, die man über eine eigene App hören und lesen kann. Das Monatsabo beginnt ab 13,99 €. Wie die Abrechnung erfolgt, ist derzeit noch nicht bekannt.

24Symbols

24Symbols kommt aus Spanien, hat aber auch schon eine ganze Reihe deutschsprachiger Titel im Angebot. Der Dienst ist ähnlich wie Readfy werbefinanziert. Wer sich von der Werbung genervt fühlt, kann ab 8,99 $ pro Monat einen Premium-Zugang erwerben. Die Autoren-Honorare liegen auf dem Niveau von Readfy.

Kobo Plus

Der E-Book-Händler Kobo bietet seine Flatrate Kobo Plus (9,99 Euro pro Monat) derzeit nur in Belgien und den Niederlanden an. Die Teilnahme an Kobo Plus ist freiwillig. Sie erfordert keine Exklusivität, das E-Book soll aber für mindestens sechs Monate verfügbar sein. Gezahlt wird aus dem Einnahme-Pool, und zwar wenn ein Leser mindestens zwanzig Prozent des E-Books gelesen hat. Dazu summiert Kobo am Monatsende die Leseaktivität aller Abonutzer und berechnet daraus einen Anteil des Autors an den Netto-Gesamteinnahmen, wobei Kobo 40 Prozent dieser Einnahmen für sich beansprucht. Welche Beträge sich dann pro Buch ergeben, hängt davon ab, wie viele E-Books die Abonnenten im Monat konsumieren; je mehr, desto weniger bleibt für den Autor übrig. Der Buchumfang spielt bei der Berechnung keine Rolle. Das Modell eignet sich also für kurze Bücher besser als für lange. Minuspunkt: Im kostenlosen Probemonat erfolgen keine Zahlungen an den Rechteinhaber – da macht etwa Amazon bei KindleUnlimited keinen Unterschied.

Ob und wann Kobo Plus nach Deutschland kommt, ist derzeit unklar.

Onleihe

Auch die Onleihe der kommunalen Bibliotheken bietet eine Art E-Book-Flatrate: In der Bibliothek vor Ort angemeldete Kunden können sich online kostenlos E-Books ausleihen (manchmal fällt eine geringe Verwaltungsgebühr an).

Auch die Onleihe lässt sich über verschiedene E-Book-Distributoren beliefern. Sie tritt dabei als ganz normaler Käufer auf, der eine bestimmte Anzahl von Lizenzen erwirbt, die dann nacheinander von den Nutzern ausgeliehen werden können. Diese Verkäufe haben außer dem relativ niedrigen Autorenhonorar keine weiteren positiven Auswirkungen.

Die richtige Plattform für Sie

Im Selfpublishing erfolgreich zu sein, setzt eine langfristig geplante Strategie voraus. Das bedeutet: Die für jeden Schreibenden perfekte Lösung kann es nicht geben. Im Grunde geht es zunächst nur um eine einzige Frage: Will ich mich komplett und exklusiv an Amazon binden oder nicht? Fragt man erfolgreiche AutorInnen nach ihrem Rezept, ergibt sich kein klarer Trend. Man kann offenbar sowohl exklusiv mit Amazon (und dann auch mit KindleUnlimited und Prime Reading) erfolgreich sein – als auch, indem man die breite Landschaft aller Shops und Flatrates beliefert.

In beiden Varianten plädiere ich aber für ein „All-in“. Wenn Sie allein mit Amazons KDP-Dienst beginnen wollen (was für den Anfang womöglich am einfachsten ist), dann richtig und mit allen Möglichkeiten. Anderenfalls wissen Sie nie genau, ob Ihr E-Book nicht vielleicht doch erfolgreich geworden wäre, hätten Sie nur … Und je erfolgreicher Sie bei Amazon sind, desto wirtschaftlich interessanter wird es auch. Wer mit seinen Titeln in Reichweite des AllStar-Bonus kommt, erhält ein ordentliches Plus und kann in der Summe schon vom Schreiben leben.

Ähnliches gilt aber auch für die zweite Strategie – möglichst viele Plattformen zu bedienen, um das komplette Leserpotenzial zu erreichen. Auch hier sollten Sie dann konsequent sein und vor keiner Plattform haltmachen. Je mehr Leserinnen und Leser Sie über die Jahre erreichen, desto eher haben Sie Erfolg. Auch das neue Tolino Select spielt hier auf den großen deutschen E-Book-Plattformen eine wichtige Rolle.

Schwierig ist allerdings der Übergang von der einen zur anderen Strategie. Dabei müssen Sie zumindest vorübergehend mit Einbußen rechnen. Falls Sie bei Amazon einen AllStar-Bonus bekommen haben, ist es unrealistisch, dass sie in den ersten Monaten so viele Verkäufe bei Tolino & Co. haben, dass Sie diese Summe ausgleichen können. Und wenn Sie Ihre Leserinnen und Leser daran gewöhnt haben, Ihre Werke überall kaufen zu können, dann werden Sie keine Begeisterung ernten, falls Ihr neuer Wälzer irgendwo exklusiv zu haben ist. Praktisch regeln das manche erfolgreiche AutorInnen so, dass sie neue E-Books erst einmal für eine Weile exklusiv zu Amazon geben, um sie ein halbes Jahr später dann überall anzubieten.

Falls Sie allerdings hoffen, die Zeit der E-Book-Flatrates möge vorübergehen, dann muss ich Sie enttäuschen. Flatrates werden das Abendland nicht zerstören. Sie werden den E-Book-Kauf nicht verdrängen, weil sie sich eher an Vielleser richten, aber sie werden ihn dauerhaft ergänzen. Glücklicherweise ist ja ein E-Book nicht in vier Minuten durchgelesen, wie Sie für einen Song bei Spotify brauchen, und auch die 90 Minuten für einen Netflix-Film reichen für die Lektüre nicht. Deshalb wird das Buch im Kopf Ihrer KundInnen, der Leserinnen und Leser, immer einen größeren Wert behalten als jedes andere digitale Gut.

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Der Artikel erschien zuerst in “Der Selfpublisher” (Dezember 2017)

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