Amazon und die AllStars: die Hintergründe und ein aktueller Blick

Seit Amazon KindleUnlimited und die AllStar-Boni eingeführt hat, versuchen windige Geschäftemacher (sie “Autoren” zu nennen, wäre zu viel der Ehre) damit ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen. Große Firmen abzuzocken ist nicht unbedingt eine neue Idee – normalerweise bekommen ehrliche Nutzer davon wenig mit. Der KindleUnlimited-Betrug ist ein besonderer Fall, weil

  • die Tantiemen aus einem Pool gezahlt werden, der unter allen Beteiligten aufgeteilt wird und
  • die AllStar-Boni auf 150 Autoren begrenzt sind.

Verschafft sich nun ein Betrüger einen größeren Anteil, als ihm zusteht, geht das primär nicht auf das Konto von Amazon, sondern auf das der ehrlichen Autoren, die dadurch ein kleineres Stück vom Kuchen erhalten.

Zunächst zahlte Amazon pro Ausleihvorgang eine Pauschale. Die Folge: der Shop wurde von “eBook-Heftchen” geflutet. Amazon reagierte und stellte auf gelesene Seiten als Basis um – das Ergebnis: die Betrüger luden nun möglichst umfangreiche eBooks hoch und versuchten, mit Sprungmarkentricks die Zahl gelesener Seiten zu manipulieren. Inzwischen ist die Seitenzahl pro Buch auf 3000 begrenzt, zudem hält Amazon die Auszahlung pro Seite künstlich konstant. Der Pool wird also so angepasst, dass jeden Monat pro Seite dieselbe Auszahlung erfolgt.

Ein Konfliktfeld aber bleibt: der AllStar-Bonus, zwischen 500 und 7500 Euro, den die 150 meistgelesenen Autoren erhalten. Jeder Betrüger, der es auf diese Liste schafft, stiehlt mehreren ehrlichen Autoren zwischen 500 und 2500 Euro, je nachdem, welche Bonusstufe der Betrüger erreicht. Ungünstigstes Beispiel: schafft ein Betrüger es, den höchsten Bonus von 7500 Euro zu kassieren, rutscht je ein ehrlicher Nutzer auf 5000, 3500, 2500, 1500, 500 oder 0 Euro ab und büßt dabei 2500, 1500, 1000 oder 500 Euro ein (in der Summe genau 7500).

In der Vergangenheit ist das relativ häufig passiert – die Schreibfair-Initiative protokolliert solche Fälle. Unverständnis unter ehrlichen Autoren erzeugt dabei vor allem der Eindruck, dass Amazon zögerlich dagegen vorgeht. Über die Gründe kann man nur spekulieren, denn Amazon ist wie viele große Konzerne nicht unbedingt ein Muster an Transparenz. Man kann sich die aktuelle Liste der AllStar-Titel aber live bei Amazon ansehen. Derzeit stehen 1860 eBooks darauf.

630 davon, also ziemlich genau ein Drittel, hat eine einzige Autorin geschrieben. “Bernadette Binkowski” veröffentlicht mehrere eBooks pro Woche, unter Titeln wie “Mösenalarm” oder “Schwarze Hengste – weiße Stuten”. Die Zielgruppe ist also speziell – die Inhalte jedoch entsprechen den KU-Regeln. Sogar das Impressum fehlt nicht (was bei über KDP veröffentlichten Titeln nicht die Regel ist).

Die einzigen Titel [in der Liste, d.V.], die (derzeit) Betrugspotenzial aufweisen, kommen von einem gewissen M. E. Martin. Die deutschen Ausgaben inkl. Klappentexten sind offensichtlich Google-übersetzt, der Autor wendet auch den guten alten Sprungmarkentrick an (Ende Juli von Schreibfair beanstandet). Einige der gelisteten eBooks sind allerdings als “derzeit nicht erhältlich” gelistet – vermutlich in Folge von Meldungen durch Leser bzw. Schreibfair. Da nur manche seiner Bücher noch das AllStar-Etikett tragen, könnte man vermuten, dass dieses bloß “vergessen” wurde – das passiert tatsächlich manchmal. Aber sicher ist das natürlich nicht.

Interessant ist auch die Verteilung auf die Kategorien. Tatsächlich sind alle der erzählenden Literatur zuzuordnen. Es erscheinen zwar einige in verschiedenen Sachbuch-Kategorien, doch sind diese zu 99 Prozent falsch eingeordnet – ein weiteres Problem, das KDP in nächster Zeit lösen muss. Denn jeder Roman, der falsch als “Ratgeber” gelistet ist, kostet einen ehrlichen Sachbuch-Autor Sichtbarkeit und damit Geld. Unter den Autorinnen und Autoren, die so vorgehen, finden sich viele bekannte Namen – wer KU-Betrug unfair findet, sollte auch die unfaire Unsitte einstellen, falsche Etiketten an das eigene Buch zu kleben.