Bestseller-Potenzial mit Künstlicher Intelligenz ermitteln: Wie Qualifiction funktioniert

Auf der Leipziger Buchmesse traf ich am Stand des Software-Anbieters Qualifiction die als Textehexe auftretende Lektorin (und Autorin) Susanne Pavlovic. Sie bietet AutorInnen derzeit einen Service, den ich persönlich spannend finde: Das Qualifiction-Programm LISA (das bisher nur Verlagen zur Verfügung steht) analysiert Ihren Text, und Susanne Pavlovic erklärt und berät dazu, was Sie mit den Daten anfangen können. Diese Hinweise, die teilweise auch aus der Lektüre des Textes gewonnen werden, erhalten Sie nach der Besprechung via Skype auch schriftlich.

Der Service kostet 299 Euro. Das ist nicht billig. Was kann LISA? Das beschreibe ich im folgenden mit Susannes Hilfe am Beispiel eines meiner Romane (“Der Untergang des Universums“).

Grundsätzlich: LISA arbeitet in der Cloud. Ihr Werk wird hochgeladen. Qualifiction garantiert, dass es nicht weitergegeben wird. LISA vergleicht ihren Roman mit tausenden anderen Werken. Was es ausgibt, ist Ihnen als AutorIn oft schon bekannt. Dazu muss man wissen, dass LISA als Hilfe für Verlagslektoren entwickelt wurde, die eine schnelle Einschätzung “taugt das was oder kann das weg” brauchen. Doch die Software leistet mehr. Aber gehen wir die Schritte einzeln durch.

Genre-Empfehlung

Hier ermittelt das Programm, zu welchem Genre der Text gehören sollte (allgemeine Belletristik ist immer als Oberkategorie dabei). Mein Buch ist klar Science Fiction.

Top-50-Wörter

Welche Wörter kommen am häufigsten vor? Hier erscheinen natürlich die Protagonisten, aber man kann auch erwaige Marotten des Autors erkennen.

Top-10-Themen

Worum geht es? LISA erkennt ein breites Spektrum von Themen. Die Liebe steht in meinem Buch klar nicht im Vordergrund.

Thematische Exklusivität

Wie speziell sind die vertretenen Themen im jeweiligen Genre? Ein Buch sollte eher einen Wert in der Mitte haben. In der Science Fiction schätzen Leser das Besondere wohl mehr als die bekannten Themen.

Sentiment-Verlauf

Das Sentiment ist die Grundstimmung einer Szene. Wenn die Stimmung nur wenig um die Nulllinie schwankt, ist ein Buch nicht besonders spannend. Man kann hier auch noch hineinzoomen, dann werden die Ausschläge deutlicher. Es geht hier nicht um die persönlichen Dramen der Protagonisten! Ein Mensch kann zwischen Leben und Tod schweben, aber wenn das lakonisch erzählt wird, spürt der Leser das Drama nicht.

Mittleres Sentiment

Zur Science Fiction gehören sowohl SF-Humor als auch Dystopien, die unterschiedliche Grundstimmungen haben. Der dicke Balken bei -0,25 dürfte von den Dystopien kommen. Mein Buch hat (absichtlich) eine leicht melancholische Grundstimmung.

Sentimentänderungs-Geschwindigkeit

Wie schnell wechseln Sie von himmelhochjauchzend zu zutodebetrübt? Der Wert sollte weder zu hoch (atemberaubend) noch zu niedrig (langatmig) sein. Aber due Genres haben hier natürlich unterschiedliche Anforderungen. Ein Thriller etwa dürfte eher den Atem rauben.

Anzahl der Wörter

Das zeigt natürlich auch das Schreibprogramm an. Der Wert ist hier für Verlagsmitarbeiter interessant. Angegeben wird auch die Zahl der Sätze.

Mittlere Satzlänge

Ich bin ein Freund kurzer Sätze, das sieht man hier auch deutlich. Bei zu hohen oder zu geringen Werten würde die Lektorin eingreifen.

Vokabular-Diversität

Wie verschieden sind die verwendeten Wörter? In der Science Fiction ist der Wert oft höher als in anderen Genres, weil spezielle Fachwörter genutzt werden, die der Leser kennt.

Vokabular-Exklusivität

Hier geht es um Wortschöpfungen des Autors, wie sie in Fantasy und Science Fiction gang und gäbe sind. Ich verzichte zugunsten der Verständlichkeit eher darauf.

Anteil direkte Rede

Quasseln die Protagonisten zu viel? In meinem Buch hält es sich im Rahmen. Bei unter 15 oder über 30 Prozent würde man zum Rotstift greifen.

Erzählperspektive

Der Autor kennt sie natürlich – der Verlagsmitarbeiter, der das Werk prüft, jedoch nicht.

Bestseller-Positionierung

Der Abschlusswert. 58 Prozent, versicherte mir Susanne Pavlovic, wären ein guter Wert. Der Wert gibt allerdings keinerlei Garantien. Ich zitiere da von der Textehexe-Website:

Kann LISA einen Bestseller garantieren?

Nein. Ein Bestseller ist von vielen Faktoren abhängig: gutes Cover, ehrgeiziges Marketing, ein bisschen Glück. Aber LISA kann die Voraussetzungen schaffen, dass Ihr Text die besten Chancen hat, ein Erfolg zu werden. Dabei liefert LISA eine Positionierung. Möchten Sie Ihren Text “fit für den Bestseller” machen, bekommen Sie für dieses Ziel genauso Anhaltspunkte wie dafür, Ihren Text zu einem möglichst originellen, möglichst weit vom Mainstream entfernten Kunstwerk zu entwickeln.

Lohnt sich LISA?

Ein Teil dessen, was die Software herausfindet, wissen Sie schon. Das Programm ersetzt kein Lektorat. Eine gute Lektorin sollte eigentlich auch ohne Hilfe des Programms herausfinden, was Ihrem Buch fehlt. Aber vielleicht fragen Sie sich ja, warum ein bestimmter Roman sich nicht so gut verkauft. Sie haben die Verpackung schon geprüft; Cover, Klappentext und Formatierung sind perfekt. Könnte es doch am Inhalt liegen? Selbst wenn Sie einen Lektor beauftragt hatten, unterscheiden sich die Dienstleister doch auch qualitativ. Hier kann LISA helfen, indem es unbestechlich und systematisch Defizite aufzeigt. Ob Ihnen das 299 Euro wert ist, müssen Sie selbst entscheiden. Aber bevor Sie ein weiteres Buch mit den gleichen Defiziten schreiben, könnte ein Test hilfreich sein. Falls LISA dann ebenfalls meint, dass Ihr Buch eigentlich ein Bestseller sein müsste, können Sie wenigstens sicher sein, dass nur das Quäntchen Glück gefehlt hat.