Schreib-Tipp: Die dritte Zutat von Spannung oder Warum »Rogue One: A Star Wars Story« langweilt

Ein Film wie »Rogue One: A Star Wars Story«, der 200.000.000 US-$ gekostet hat, sollte zumindest eins sein: spannend. Warum bin ich – und andere Kinogänger in meiner Sitzreihe –, trotz all der Schlachten und des Spezialeffekte-Tsunamis, mehrmals fast eingeschlafen? Warum hat der Film in all seinen teuren 134 Laufminuten keine Spannung aufkommen lassen? Und was können Sie in Ihrem Roman besser machen, auch bei einem Budget von 0 Euro (zuzüglich Ihrer kostbaren Zeit zum Schreiben)?

In dem Film geht es um eine Truppe von Rebellen, die versucht, die Pläne der größten Vernichtungswaffe der Geschichte zu stehlen, die des Todessterns. Die Protagonistin ist Jyn Erso, deren Vater den Todesstern mit entwickelt hat – und eine Schwachstelle einbaute. (Diese wurde im original Star-Wars-Film von 1977 von Luke Skywalker ausgenutzt, um den Todesstern zu zerstören.) Ohne etwas über Spannung zu wissen, klingt diese kurze Synopsis spannend, oder? Was also ist das Problem dieses Films?

Erinnern wir uns, woraus Spannung besteht. Spannung ist eine Multiplikation mehrerer Faktoren: S = F1 * F2 * F3. Obwohl das nur nach einer blöden mathematischen Formel aussieht, steckt darin eine Menge Brisanz. Denn ist nur einer dieser Faktoren gleich null, kann keine Spannung aufkommen. Fragen Sie Ihren Mathelehrer.

Faktor 1: Konflikt

Der Konflikt ist die Grundlage aller Spannung. Ein Konflikt in einem Roman entsteht dann, wenn ein Charakter etwas haben will, ihm jedoch etwas und/oder jemand dabei im Weg steht. Gäbe es keinen Konflikt, würde sich der Charakter einfach nehmen, was er will, und fertig. Eine gänzlich spannungslose Situation.

Gibt es in »Rogue One« einen Konflikt? O ja, es gibt sogar viele Konflikte. Der zentrale wird bereits in der Synopsis klar: Die Rebellen wollen die Pläne stehlen, das Imperium wird alles daran setzen, den Diebstahl zu verhindern.

Noch etwas steckt in der Formel oben drin: Je größer einer der einzelnen Faktoren ist, desto größer wird die Spannung.

Sind in »Rogue One« die Konflikte etwa nicht groß genug? Doch, das sind sie. Beide Konfliktparteien sind zu allem entschlossen, sie setzen alles ein, was sie einsetzen können, sie sind zu allem bereit: Sie töten für ihr Ziel und sind bereit, für dieses Ziel auch zu sterben. Kollateralschäden inbegriffen. Ein stärkerer Konflikt ist kaum denkbar.

Faktor 2: Einsätze

Der Einsatz gibt an, was für die Konfliktparteien – und gegebenfalls für Unbeteiligte – auf dem Spiel steht. Was also verliert die Heldin Jyn Erso schlimmstenfalls? Ihr Leben. Das gilt auch für die anderen Rebellen. Es steht sogar noch mehr auf dem Spiel: Es geht um Milliarden von Leben, die der Todesstern bedroht. Ein höherer Einsatz ist kaum denkbar.

Aber schon hier wackelt die Spannung. Denn der Einsatz von Menschenleben erreicht den Kinozuschauer nur dann, wenn es konkret für ihn erfassbare Leben sind. Also das Leben der Heldin. Ob darüber hinaus das Leben von zehntausend Planetenbewohnern auf dem Spiel steht oder das von zehn Milliarden, macht keinen Unterschied. Für den Zuschauer ist das nur eine Zahl, eine abstrakte Masse, er hat praktisch keine Verbindung zu diesen Leben. Also spielt es auch für die Spannung keine Rolle.

(Was genau für die Gegenspieler auf dem Spiel steht, ist weniger klar. Wer genau der Gegenspieler ist, bleibt ebenfalls unscharf. Ist es das Imperium als Institution? Oder ist es sein Chef, Grand Moff Tarkin, der Gouverneur des Imperiums? Oder ist es gar Lord Darth Vader, der vorkommt, obwohl er erzählerisch keinerlei Funktion erfüllt? Wahrscheinlich soll es der imperiale Senator Orson Krennic sein, der als Gesicht des Imperiums am direktesten gegen die Guten kämpft. Und dem Darth Vader mit dem Tode droht, falls er versagt und die Pläne in die Hände der Rebellen gelangen. – Extratipp: Machen Sie das in Ihrem Roman möglichst klar und verwässern Sie es nicht dadurch, dass Sie den Helden hauptsächlich gegen abstrake Institutionen kämpfen lassen. Denn auch das hobelt viel von der Spannung ab.)

Faktor 3: Emotionale Verbindung mit Charakteren

Wie bei den Einsätzen schon angedeutet, kommen wir hier zum Knackpunkt unserer Spannungsgleichung. Welche Situation würde Sie unter mehr Anspannung setzen? Wenn das Leben eines Ihnen unbekannten Mannes aus Kamerun bedroht wäre oder das Ihrer dreijährigen Tochter? Die Antwort scheint simpel, ist aber offenbar zu kompliziert für die Macher von »Rogue One«.

Dem Film gelingt es nicht, eine emotionale Verbindung des Zuschauers zu den Charakteren zu schaffen. Die Figuren – einschließlich der Protagonistin Jyn! – bleiben fast alle blass, sie langweilen, sind weder schlagfertig noch witzig noch haben Sie Persönlichkeit. Man erfährt so gut wie nichts über sie, und selbst die männliche Hauptfigur Cassian hat bestenfalls die Ausstrahlung eines nassen Spüllappens. Wer will, wer kann sich mit solchen Charaktere identifizieren?

Mit diesem so total vernachlässigten Faktor, einer fast glatten Null, tötet der Film jede Spannung. Die vielen Kämpfe und Raumschlachten haben die emotionale Wucht einer Partie Atari Space Invaders. Auf dem untersten Level.

Das Ergebnis: Spannung (RogueOne) = 1000 Konfliktpunkte * 1000 Einsatzpunkte * 0 Charakter-Emotionspunkte = 0 Punkte.

Wenn Sie einen spannenden Roman schreiben wollen, sorgen Sie bitte dafür, dass Sie alle drei Faktoren ausreichend hoch einstellen. Der Charakterfaktor ist häufig der entscheidende, denn er ist der am schwierigsten zu erhöhende. Umso intensiver sollten Sie sich damit befassen.

PS: Die Wertung ist bewusst krass ausgefallen. Natürlich bietet Rogue One ein klein wenig genrespezifische Spannung über Schauwerte und eine sehr grundlegende Aktivierungsspannung: Wenn zwei Kreaturen mit Fäusten oder Lasern aufeinander losgehen, spricht das die niedrigen Hirnregionen an und kitzelt auch unser Gefühlszentrum. Aber das sind nicht mehr als schwache Ausschläge auf der nach oben offenen Spannungsskala. Und Fans von Star Wars finden sowieso alles gut, wo ein Todesstern und ein X-Wing drin vorkommt.

Stephan Waldscheidt

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