Schreib-Tipp: Drei typische Fehler der Erzählperspektive

Die Erzählperspektive verbindet den Leser mit dem Roman. Sie sorgt für Nähe oder Distanz und sie ist es, die den Leser zu Beginn eines Romans gewinnt, ihm das Ablegen seiner Skepsis erleichtert und ihn in den Roman hineinzieht.

Manchmal können schon kleine Fehler in der Perspektive den Leser aus dem Roman reißen. Drei weit verbreitete Fehler oder zumindest Schwachpunkte sehen wir uns genauer an.

Logische Fehler machen die Perspektive unglaubhaft und zerstören das Vertrauen zum Erzähler

Aus Michael Robothams »Sag, es tut dir leid« (Goldmann 2013) bin ich nach zwei massiven Schnitzern in der Erzählperspektive ausgestiegen. Und das, obwohl (oder weil) ich andere Romane von Robotham genial finde. Zwei Dinge haben mein Vertrauen in den Erzähler zerstört und mich aus der Geschichte gerissen.
So hält der Protagonist Joseph O’Loughlin, ein Psychologe, einen Fachvortrag vor Kollegen. Den Text gibt der Erzähler wieder. Doch mit dem Vortrag stimmten zwei Dinge ganz und gar nicht. Zum einen sagt O’Loughlin vieles, was jeder der Zuhörer im Auditorium längst selbst weiß, sie alle sind ja vom Fach. Zum anderen verwendet er keinerlei Fachbegriffe oder Fremdwörter. Beides macht sowohl O’Loughlin als angesehenen Psychologen als auch seinen Vortrag unglaubhaft – und damit den Erzähler. Zudem wird deutlich, dass der Vortrag nur für den Leser geschrieben wurde, einen Laien, dem der Autor einige Informationen und Grundlagen vermitteln will.

Der zweite grobe Schnitzer des Erzählers ist ein Traum, den Protagonist O’Loughlin hat. Was diesem Traum die Glaubwürdigkeit raubt: Er ist eine lange, stets kohärente Erzählung mit einem sinnvollen Ende. So aber funktionieren Träume nun mal nicht.

Auch das sorgte dafür, dass ich dem Erzähler nicht mehr folgen wollte. Er hatte mein Vertrauen verspielt und ich legte das Buch weg.

Die Macht des Erzählers ist zugleich seine Schwäche.

Eine zu unsympathische Erzählerin oder Erzählstimme

Mit der Sympathie ist es so eine Sache. Je kantiger die Erzählerin, desto eher eckt sie an. Was für den einen gut rüberkommt, stört den anderen. Ein Alarmsignal, dass Ihre Erzählerin zu unsympathisch sein könnte: Die Testleser sagen, sie wären schlecht in den Roman gekommen.

Ich bin aus dem Roman »Maestra« von L. S. Hilton ausgestiegen – und das, nachdem ich schon weit über die Hälfte gelesen hatte. Was an der Erzählerin für eine Weile als eigenständig und haltungsstark bei mir ankam, ihre gnadenlosen Beschreibungen von Menschen, fühlte sich mit der Zeit mehr und mehr an wie ein hasserfüllter Rundumschlag gegen alles und jeden. Die beißenden Kommentare unterhielten im Einzelfall durchaus. Doch die Ich-Erzählerin fand für niemanden ein gutes Wort, jeder war auf seine Art dumm, hässlich oder böse.

Die gelungene Schreibe (des Originals) hielt mich bei der Stange, doch die Negativität häufte sich an und häufte sich an, bis der Roman nur noch ein einziger Haufen fiese Ausstrahlungen und schlechter Laune war. Zu viel für mich. Auch viele der Rezensenten auf amazon.de und amazon.com fühlten sich von der Erzählerin genervt, obwohl ihnen die Story gefiel.

Einmalige Wechsel der Erzählperspektive zu einem bestimmten, eingeschränkten Zweck

In dem Steampunk-Roman von China Miéville, »Perdido Street Station«, wechselt die Erzählperspektive für eine einzige Szene zu einer unbedeutenden, nur in dieser Szene auftauchenden Nebenfigur, um die Gefährlichkeit einer Raupe (ja, es ist Fantasy) und dem, was aus der Raupe werden kann, zu zeigen. Der Perspektivwechsel dient keinem anderen Zweck.

Einem Charakter eine eigene Erzählperspektive zu gönnen, ist immer auch ein Versprechen des Autors: »Dieser Charakter ist bedeutsam genug, dass ich die Story auch aus seiner Sicht erzähle.«

Für manche Leser spielt das keine Rolle. Für sie ist allein wichtig, diese Gefahr vor Augen geführt zu bekommen. Doch Sie schreiben Ihre Romane ja hoffentlich für die guten Leser, für die anspruchsvollen und sensiblen unter ihnen. Und diese könnten sich durch diesen Einschub ein wenig betrogen fühlen. Solche Perspektivwechsel sind oft nur Faulheit von Seiten des Autors. Sie lassen sich immer auch eleganter lösen und die Erzählperspektive durchhalten.
Beispielsweise könnte in »Perdido Street Station« der Protagonist und personale Erzähler Isaac von der Gefahr in einer Unterhaltung erfahren, die er zufällig mithört. Der Vorteil neben dem Verbleib in der Perspektive: Sie können den Protagonisten gleich auch auf die Information reagieren lassen, indem er etwa darüber lacht oder ihn eine Gänsehaut überläuft.

Den Leser in der Erzählperspektive zu halten, bedeutet oft auch, ihn im Roman zu halten. Und das ist Ihre Mühe wert.

Stephan Waldscheidt

Viel mehr Tipps zum Plotten finden Sie in diesem Schreibratgeber: »Plot & Struktur – Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen«

»Dieses Buch überzeugt nicht nur durch den gewohnten Mix aus Klugheit, Leichtigkeit und Humor, sondern vor allem durch eine so noch nicht dagewesene Tiefe und Detaillversessenheit im Umgang mit dem Plotten-Thema.« (pe)

»Dass ich meinen Roman-Erstling erfolgreich in einem großen Publikumsverlag unterbringen konnte, verdanke ich zu einem guten Teil den Schreibratgebern von Stephan Waldscheidt.

Meine klare Kaufempfehlung: Unterhaltsam, auf den Punkt und sehr anschaulich.« (AC)

Paperback (mit Arbeitsbuch/Musenküssen), Kindle E-Book