Schreib-Tipp: Leser unter Strom – Wie Sie die Spannung in Ihrem Roman erhöhen

Was ist Spannung? Es gibt viele Definitionen. Und viele Metaphern dafür. In einem anderen Artikel haben wir Spannung aus einem Tauziehen abgeleitet: Spannung ist ein ungelöster Konflikt. Jede gut gewählte Metapher macht aber nicht nur klarer, was Spannung ist – sondern wie Sie Ihren Roman noch spannender machen können.

Die Elektrizitätslehre hält eine nützliche Metapher für Autoren (und, keine Sorge, auch für Nichtphysiker) bereit. Dort wird Spannung definiert als Widerstand mal Stromstärke (U = R * i). Sprich: Die Spannung steigt, wenn Widerstand oder Stromstärke steigen.

Widerstand? Für Sie als Autor sind Widerstände all die Hindernisse, die Ihren Protagonisten an der Erreichung seines Ziels hindern. Je mehr und je größer die Widerstände, desto mehr Spannung baut Ihr Roman auf.

Stromstärke? Die Stromstärke ist das, was wehtut, wenn man eine gewischt bekommt. Eine hohe Spannung kann man überleben, wie Ihnen ein Kontakt mit einem Elektroschocker bestätigen wird. Eine hohe Stromstärke hingegen grillt Sie. Je höher die Stromstärke, desto höher das Risiko für den Betroffenen, sein Leben zu verlieren.

Sprich: In Ihrem Roman ist die Stromstärke die perfekte Metapher für den Einsatz, den der Protagonist bringt. Für das, was für ihn auf dem Spiel steht. Wie etwa sein Leben. Nur wenn genug auf dem Spiel steht, kann überhaupt Spannung aufkommen. Ist der Einsatz ein Streichholz, gähnt der Leser. Setzt der Protagonist hingegen das Leben einer ganzen Stadt und seins mit dazu aufs Spiel, ist eine Voraussetzung für Spannung gegeben.

Übersetzt in eine auch für Nicht-Physiker verständliche Sprache ergibt das eine wunderbare Formel, die sich jeder Autor eintätowieren sollte:

Spannung ist Widerstand mal Einsatz.

Erhöht sich der Widerstand, steigt die Spannung. Erhöht sich der Einsatz, steigt die Spannung. Erhöhen sich Widerstand und Einsatz, steigt die Spannung enorm.

In der Formel steckt noch mehr, was Sie für das Schreiben Ihres Romans nutzen können.

Gibt es keinen Widerstand (R = 0), kann der Einsatz noch so hoch sein, Spannung wird keine aufkommen. Denn bei R = 0 ist U = 0 * i = 0.

Übersetzt in ein Storybeispiel: Wenn die Heldin eine Atombombe beseitigen muss, die eine ganze Stadt bedroht, steht verdammt viel auf dem Spiel. Wenn sie aber einfach zur Halle fahren kann, wo die Bombe liegt, und weder auf dem Weg dahin noch beim Beseitigen der Bombe selbst auf Widerstand trifft, wird keine Spannung aufkommen. Der Leser schläft ein.

Steht für die Heldin nichts auf dem Spiel, gilt dasselbe. Bei i = 0 ist U = R * i = 0.

Übersetzt in ein Storybeispiel: Nehmen wir an, die Heldin soll auf den Fildern bei Stuttgart einen festgeklebten Kaugummi vom Straßenpflaster kratzen. Auf dem Weg zum Kaugummi muss sie sich durch den Feierabendverkehr Stuttgarts, eine zehn Meter hohe Kletterwand überwinden und durch einen See mit eiskaltem Wasser schwimmen – Widerstände sind also reichlich vorhanden. Der Leser aber fragt sich, wozu die Heldin sich so abmüht. Wegen eines schlappen Kaugummis? Das ist noch nicht mal unfreiwillig komisch. Der Leser legt das Buch weg.

Wenn Sie Spannung in Ihren Roman bringen wollen (und das wollen Sie, hoffe ich), fragen Sie sich zunächst: Was steht für meinen Protagonisten auf dem Spiel? Anders gefragt: Was passiert, wenn er sein Ziel nicht erreicht? Und: Welche Hindernisse muss er auf dem Weg zum Ziel überwinden?

Sobald Sie diese Fragen isoliert haben, können Sie an ihnen drehen wie an einer Spannungseinstellschraube:

  • Drehen Sie die Spannung hoch, indem Sie dafür sorgen, dass mehr auf dem Spiel steht.

Denken Sie dabei sowohl an Einsätze, die außerhalb des Protagonisten liegen (Menschen können sterben, wenn er versagt), als auch an solche, die er in sich trägt (er wird sich den Rest seines Lebens sein Versagen vorwerfen und depressiv werden, falls er scheitert).

  • Drehen Sie die Spannung hoch, indem Sie für größere, schwerer zu überwindende Hindernisse sorgen.

Denken Sie dabei sowohl an Hindernisse, die außerhalb des Protagonisten liegen (ein eiskalter See, der durchschwommen werden will), als auch an solche, die er in sich trägt (seine seit der Kindheit in ihm verwurzelte panische Angst vor dem Ertrinken).

Und jetzt los, setzen Sie Ihre Leser unter Strom!

Stephan Waldscheidt

Funktioniert der Plot Ihres Romans auch unter Spannungsgesichtspunkten? Mehr darüber und über das Plotten Ihres eigenen Bestsellers verrät Ihnen der Schreibratgeber »Plot und Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen«

»Dieses Buch überzeugt nicht nur durch den gewohnten Mix aus Klugheit, Leichtigkeit und Humor, sondern vor allem durch eine so noch nicht da gewesene Tiefe und Detailversessenheit  im Umgang mit dem Plotten-Thema. Mich begeistert das Buch auf jeder Seite.« (pe)

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