Stephen Kings Doctor Sleep – und was Sie daraus lernen sollten (Teil 1 von 2)

Leser mögen keine eindimensionalen Schurken (Bild: kubangirl / Depositphotos.com)

Ah, Bestseller! Nichts hassen Autoren (die Nicht-Bestseller unter ihnen) mehr, nach nichts streben sie so sehr. Sorry für den Reim.

Einer der Bestseller überhaupt ist Stephen King. Das liegt daran, dass er ein herausragender Erzähler ist. Dass auch ihm nicht immer alles gelingt, ist tröstlich. Zugleich bieten auch seine weniger gelungenen Bücher noch immer wunderbares Anschauungsmaterial.

In seinem Roman »Doctor Sleep« (Heyne 2013), der Fortsetzung seines Klassikers »Shining« (Bastei-Lübbe 1985) stolpert er in einige Fallen, in die auch Anfänger regelmäßig tappen. Das sorgt dafür, dass King in diesem Buch weit unter seinen Möglichkeiten bleibt und viele Leser nicht richtig warm mit dem Roman wurden.

Was hat King weniger gut gelöst? Und wie können Sie das in Ihrem Roman besser machen? In zwei Artikeln stelle ich einige Punkte vor, die mir aufgefallen sind.

Eindimensionale Antagonisten

Um ein großartiger Held zu werden, braucht eine Romanfigur einen Gegenspieler, der mindestens ebenso großartig ist. Denn nur solche Gegenspieler fordern den Protagonisten bis an die Grenzen seiner Kraft. Die meisten Thriller sind schnell vergessen. Nicht so »Das Schweigen der Lämmer« mit dem unvergesslichen Hannibal Lecter. Superheldenfilme kranken an eindimensionalen Antagonisten. Oder wissen Sie noch, gegen wen Thor in seinen beiden Filmen kämpfte? Ich wette, Sie erinnern sich nur an Loki, den einzigen seiner Gegenspieler, der vielschichtig war. Wer bleibt von Batmans Gegnern in Erinnerung? Sicher nicht der Typ aus dem letzten Film, dessen Name ich längst vergessen habe. Aber ganz sicher der Joker, von Heath Ledger zu einer Legende gemacht.

Abhilfe: Wie man mehrdimensionale Charaktere erschafft, darüber kann man ganze Bücher schreiben oder lesen. Bleiben wir mal bei Loki oder dem Joker. Beide Charaktere zeichnet ihre Unberechenbarkeit aus. Bei Loki kommt noch etwas hinzu: Er ist nicht durch und durch böse. Er empfindet durchaus seine ganz eigene Art der Zuneigung zu seiner Familie, der Tod seiner Mutter nimmt ihn extrem mit. Sprich: Man weiß nicht, ob Loki nicht doch auch mal etwas Gutes tut.

Kings Oberschurkin in »Doctor Sleep«, Rose, ist hingegen eine Figur, die von Beginn an als durch und durch böse gezeichnet wird. Man rechnet zu keiner Zeit damit, dass sie etwas Gutes tut oder gar die Seiten wechselt. Als Leser will man sie vernichtet sehen, nichts weiter. Sie weckt wenig Interesse und gar kein Mitgefühl.

Eigene Erzählperspektive für eindimensionale Antagonisten

Ein probates Mittel, Charaktere zu vertiefen, ist es, Ihnen eine eigene Erzählperspektive zu gestatten. Der Hintergedanke des Autors: Auf diese Weise lernt der Leser den Charakter besser kennen – und erkennt eben auch, dass er mehr als nur eine Dimension hat. Stephen King hat das selbst etliche Male vorgemacht.

In »Doctor Sleep« aber misslingt ihm das. Die zentrale Gegenspielerin der Helden, Rose, bleibt flach. Dass er ihr dennoch so viel Raum einräumt, macht die Sache für den Leser je nach Neigung ärgerlich oder langweilig. Denn er wird dazu gezwungen, Zeit mit Charakteren zu verbringen, die ihn nicht interessieren, schlimmer: die ihn nicht interessieren können. Eben weil sie so eindimensional sind und es bleiben. Da der Leser sie einfach nur besiegt und tot sehen will, folgt er ihren Problemen nicht sonderlich gespannt.

Was das Ganze noch verschlimmert: Die Probleme der Gegner, statt sie interessanter zu machen, sorgen dafür, dass die Bösen als schwach und verletzlich erkannt werden. Was für sich schon ein eigenes Problem ist (siehe dazu später mehr).

Hinzu kommt die Masernerkrankung, die die Bösen als Seuche befällt. Das soll, so die leicht durchschaubare Absicht Kings, die Dringlichkeit vergrößern, mit der sie die Guten besiegen müssen (um von ihnen neue Lebensenergie zu bekommen). Doch die Schwächung der Bösen, ihre Verletzlichkeit überwiegt diese Dringlichkeit bei Weitem.

Abhilfe: Wenn Sie Schurken eine eigene Erzählperspektive und damit sehr viel Raum und Lesezeit einräumen, sollten Sie dafür sorgen, dass sich diese Investition für den Leser lohnt. Etwa dadurch, dass er sieht, wie sehr die Bösen den Guten überlegen sind. Oder dadurch, dass die Bösen neue Verbündete gewinnen, noch fiesere Pläne schmieden, den Helden näher sind, als diese denken.

Oder Sie erschaffen beispielsweise einen Charakter im Lager der Bösen, der unentschieden ist, ob er den Guten an den Kragen will oder ihnen doch helfen wird.

King hätte mit den Masern nicht die Bösen schwächen sollen, sondern die Guten.

Weitere Fehler und wie Sie sie in Ihrem eigenen Roman beseitigen, lesen Sie im zweiten Teil.

Zu lange räumliche Distanz zwischen der Helden- und der Schurkenfraktion

Ein immer wirkungsvolles Element beim Schreiben ist der metaphorische Tigerkäfig, in den Sie den Protagonisten und seinen Gegenspieler stecken. In so einem Fall haben die beiden keine Wahl, als sich zu bekämpfen. Denn der Überlebende braucht den Toten, um den Tiger abzulenken.

Allgemein gesagt: Räumliche Nähe erzwingt Konflikte.

Bei »Doctor Sleep« aber gibt es diese Nähe erst sehr spät im Roman. Die wichtigste Gegenspielerin trifft sogar erst im Höhepunkt zum ersten Mal direkt auf die Helden.

Abhilfe: Genau: der Tigerkäfig. Am besten mit Tiger.

Den zweiten Teil des Artikels lesen Sie an gleicher Stelle in vierzehn Tagen. Mit dem Anwenden der Tipps müssen Sie nicht bis dahin warten.

Stephan Waldscheidt

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