Stoffentwicklung und Dramaturgie: Worauf es beim Plotten ankommt

Sie wollen schreiben! Sie haben einen Roman im Kopf – oder zumindest eine Idee – und vor Ihnen viele leere Seiten …

Wie bringen Sie diese Idee in Form, damit daraus eine spannende Geschichte wird?

Sie könnten einfach drauflosschreiben. Das machen viele. Manche schaffen es auch, das Buch so zu Ende zu bringen. Doch so mancher angehende Autor merkt nach dem ersten Flow und vielen Schreibstunden, dass die Luft irgendwann ausgeht, der Erzählfaden lose hängt. Wie bringt man alle Figuren und Motive, die man im Kopf hat, sinnvoll unter? Wie geht die Story weiter? Wie entwirrt man den Knäuel begonnener Handlungsstränge? Wie spannt man den Faden?

Die Konstruktion

Erfahrene Schriftsteller machen sich zunächst viele Gedanken über Figuren und Handlung. Denn genauso wichtig wie sprachliche und stilistische Ausformung ist die Dramaturgie der Erzählung. Dramaturgie bedeutet, die Struktur des Plots sowie die Funktion der Charaktere in der Handlung zu bestimmen und bewusst zu gestalten. Plot bzw. Handlung besteht aus den gesammelten Aktionen der Figuren. „Plotten“ heißt folglich nicht lediglich Handlung ausarbeiten, sondern umfasst gleichermaßen die Figurenentwicklung. Die dramaturgische Aufgabe des Autors ist es, diese einzelnen Aktionen – die Handlungsereignisse – in einer narrativen Reihenfolge anzuordnen, und zwar derart, dass sie die größtmögliche emotionale Wirkung beim Leser erzeugen.

Tipp: Betrachten Sie Ihre Geschichte nicht als Wollknäuel, sondern als filigranes Konstrukt, als Gewebe oder Gewirk, in dem jeder Faden und jede Schlaufe genau die bestimmte Position im gesamten Gebilde einnimmt – hier gibt es keine losen Fäden.
Ein anderes Bild: Uhrmacher ordnen die Räder und Schrauben des Uhrwerks an. Ein bisschen kinetische Energie (z. B. das Aufziehen) und der Mechanismus wird in Gang gesetzt, die Zahnräder greifen ineinander, eine Bewegung beeinflusst die anderen. Jedes Rädchen und Schräubchen erfüllt einen Zweck und hat daher seine Daseinsberechtigung. Es gibt keine funktionslosen Teile in solch einer Anordnung. So ist auch der Autor der Ingenieur seiner Geschichte: Die Welt, die er erschafft, ist eine in sich abgeschlossene Konstruktion. Eine versierte Planung sorgt dafür, dass die einzelnen Elemente reibungslos ineinandergreifen.

Die erzählte Anordnung der Ereignisse, aus denen die Handlung besteht, muss nicht chronologisch sein. Statt die Abfolge der Ereignisse in zeitlicher Reihung zu berichten, kann ein Autor die Narration so entwickeln, dass bestimmte Handlungsereignisse bewusst platziert, bspw. vorgezogen oder erst später in der Geschichte enthüllt werden, um einen dramatischen Spannungsaufbau zu erzeugen.

Der narrative Bogen

In der Grundstruktur sind alle Geschichten ähnlich. Sie unterscheiden sich in Sujet und Erzählweise. Dies sind die strukturellen Basis-Komponenten einer Geschichte:

Jede Story besteht aus Ereignissen und ist mit Figuren besetzt, die diese Ereignisse herbeiführen. Wie experimentell die Erzählweise auch immer sein mag, es ist nicht möglich, eine Geschichte zu konzipieren, die keine Charaktere hat und in der absolut nichts passiert.

In so gut wie jeder Geschichte gibt es eine Art Ausgangssituation. Das ist die Welt der Geschichte. Das mag eine Fantasiewelt sein, ein Abbild der realen Welt oder ein Milieu, in dem die Geschichte sich abspielt. In dieser Welt bewegen sich die Hauptfiguren.

Dann geschieht etwas, irgendein Vorfall, der eine Störung in der Ausgangslage herbeiführt. Dieses Auslösermoment (in der Filmsprache Inciting Incident genannt) setzt die Maschinerie der Handlung in Bewegung. Tipp: Die Szene, die diesen Auslöser beschreibt, sollte nicht allzu spät im Roman platziert werden.

Ebenfalls relativ früh in der Geschichte sollten Szenen platziert sein, aus denen heraus die Schwächen der Hauptfiguren deutlich werden. Tipp: So ein Mangel oder Defizit einer Hauptfigur ist notwendig, damit sie etwas zu lernen hat. Denn letztendlich besteht die Freude beim Rezipieren einer Geschichte – beim Lesen eines Romans – darin, dass man Figuren während des Prozesses begleitet, der zu einer Erkenntnis führt. Häufig ist dies eine Selbsterkenntnis, ein Bewusstwerden der eigenen Schwäche. Darauf folgt dann die Entscheidung, sie zu überwinden.

Die Erkenntnis sollte durch eine Szene vermittelt werden, die Reaktion darauf – die Entscheidung – ebenso. Tipp: Es reicht nicht, wenn der Autor bzw. Erzähler davon berichtet. Leser wollen szenisch dabei sein, um mitfühlen zu können. Auf Englisch wird das Prinzip in dem Satz „Show, don’t tell“ zusammengefasst. Zeigen Sie durch Handlungsereignisse, also die Aktionen der Figuren und die Art ihres Agierens, wie Ihre Hauptfiguren am Ende weiser oder erwachsener werden, als sie es am Anfang waren. In fast allen Geschichten geht es unterschwellig um eine Art Reifungsprozess.

Die Reifeprüfung

Dieser Unterschied zwischen dem (emotionalen, psychischen) Zustand der Figur am Anfang der Geschichte und dem Zustand, den sie am Ende der Geschichte erreicht hat, ist, was gemeint ist, wenn Leute über den „Bogen“ sprechen: den Handlungs- oder gar Spannungsbogen. Im Englischen auch zuweilen Character Arc.

Offensichtliche Beispiele hierfür sind Luke Skywalker, Frodo Baggins oder Harry Potter – sie alle sind am Anfang der Geschichte im Prinzip noch Kinder. Sie erlangen eine Reife, indem sie die Hürden überwinden, die ihnen ein starker Antagonist, also eine von den Werten her entgegengesetzte Figur oder Kraft in den Weg stellt.

In einem Krimi tappt der Detektiv zu Beginn der Geschichte im Dunkeln. Am Ende erlangt er Erkenntnis über die Wahrheit des Falls. Das Sehen und Bewusstwerden von etwas, das zuvor verschleiert war, ist seit jeher ein zentrales Merkmal von Geschichten.

Die Dramaturgie

Aus dramaturgischer Sicht gehen Plotten und Figurenentwicklung Hand in Hand, diese Prozesse bedingen sich gegenseitig. Aus der Erarbeitung der Charaktere und ihrer unterschiedlichen Motivationen ergeben sich ihre Taten und diese bilden die Handlung. Fragen Sie sich, noch bevor Sie den ersten Satz schreiben: Was erkennen meine Figuren? Was lernen sie? Inwiefern haben sie sich zum Schluss der Geschichte verändert? Je konkreter Sie solche Fragen beantworten können, desto genauer kennen Sie Ihren Plot – und desto besser stehen die Chancen, dass sie das Ende Ihres Manuskripts erreichen werden.

Olaf Bryan Wielk / Beemgee.com – Stoffentwicklung online

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