Warum ist mein E-Book mit x Verkäufen nicht in den Top 100?

(Bild: Olly18 / Depositphotos.com)

Ja, ich weiß, die Frage ist die Nummer drei auf der Liste der zehn Selfpublishing-Fragen, die Ihnen niemand beantworten kann. Vielleicht möchten Sie sie anders stellen, etwa:

  • Warum ist mein Buch mit x Verkäufen auf Platz 176, das der Kollegin mit weniger Verkäufen aber auf 120?
  • Warum verkauft sich mein älteres Buch besser als mein neueres, obwohl es einen schlechteren Rang hat?
  • Mein Buch hatte heute mehr Verkäufe als gestern, ist aber im Rang gefallen. Hä? (man verzeihe das hä, ohne hä wäre es ja keine Frage)

Leider gilt für solche und ähnliche Fragen, was ich schon sagte: Es gibt keine Antwort. Und das ist absolut unbefriedigend. Aber vielleicht hilft es ja, wenigstens die Gründe dafür zu verstehen. Dazu kann ich in diesem Artikel hoffentlich beitragen.

Zuerst die kurze Antwort – für die Naturwissenschaftler unter uns. Amazon ist ein komplexes System. Komplexe Systeme neigen zu chaotischem Verhalten, lassen sich also nur statistisch untersuchen. Aussagen für dein Einzelfall sind nicht möglich. Alles klar.

Alles klar? Nicht? Dann die lange Version. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Gummiball (das soll unser Symbol für Ihr E-Book sein). Ihre Autorin hat Sie in ein Schwimmbecken geworfen, um zu sehen, wie gut Sie schwimmen können. Sie stellen fest, dass Sie exakt 2,13 Meter über dem Grund des Beckens schwimmen. Die Entfernung zum Boden, das ist Ihr Verkaufsrang. Immer, wenn Sie gekauft oder von einem Bälle-Unlimited-User geliehen werden, bekommen Sie 1 Gramm mehr Masse. Dadurch sinken Sie tiefer, Ihr Rang wird niedriger, Sie nähern sich den Top 100.

Nun gibt es aber noch mehr Bälle in dem Swimming Pool. Je mehr Bälle hineingeworfen werden, desto höher wird der Wasserspiegel. Wenn das Wasser steigt, steigen Sie auch wieder ein Stück nach oben. Gleichzeitig verbraucht sich Ihre Masse. Von dem Gramm, das Sie gestern hinzugewonnen haben, ist heute nur noch die Hälfte da, morgen nur noch ein Viertel, übermorgen ein Achtel und so weiter. Das passiert den anderen Bällen auch. Die Masse jedes anderen Balls beeinflusst darüber, wie tief er sinkt, auch Ihre Masse. Nun ist Amazon kein einfaches Schwimmbecken, sondern eher ein See mit kleinen und großen Wellen und schlammigem Grund. Wenn am Wochenende besonders viele Leute kaufen, breitet sich eine große Welle aus. Manchmal durchpflügen auch riesige Fische den See, die anderen Regeln gehorchen, etwa im Prime-Reading-Programm.

Und nun fragen Sie einen zufällig daherkommenden Wanderer, warum Sie sich gerade in diesem Moment auf 1,57 Metern Tiefe befinden. Sie geben ihm weder die Zahl und die Masse der anderen Bälle noch verraten Sie, wieviel Masse Sie selbst wann zugenommen haben (nicht, weil Sie so fies sind, sondern weil Sie es nicht wissen – die Zahl der Leihen kennen Sie ja gar nicht). Der arme Mensch hat auch keine Aufzeichnungen der Wellen und kennt die Bahnen der Fische nicht. Er wird weinend davonlaufen.

Es sei denn, er ist Physiker. Dann wird er Ihnen sagen, dass Sie in einem komplexen System schwimmen, über das sich nur statistische Aussagen treffen lassen. Er wird Ihnen sagen, dass Sie im Mittel soundso oft gekauft werden müssten, um diesen oder jenen Rang zu erreichen. Aber ein Mittelwert ist nie eine Aussage über den Einzelfall. Je nach System kann es sogar sein, dass der Mittelwert der in der Realität unwahrscheinlichste Wert ist. Aber da niemand die Gleichungen kennt, nach denen das Rankingsystem von Amazon funktioniert (ich vermute ja, dass nicht einmal die Techniker am Server in Seattle da genau Bescheid wissen, weil sich das System schon zu lange vor sich hin entwickelt), lassen sich nicht einmal solche Vorhersagen treffen.

Ist das intransparent? Auf jeden Fall. Theoretisch wäre das System transparenter, wenn man zumindest die Zahl der Leihen kennen würde. In der Praxis wäre dadurch aber auch keine Transparenz erreicht, denn die anderen Faktoren (Gewichtung älterer Käufe, exakte Kaufhistorie und vor allem die Verkäufe anderer Titel) sind für den einzelnen Autor ebenfalls Unbekannte. Die gute Nachricht: ein komplexes System ist auch ein faires System. Die Komplexität macht es schwer, bewusst Ausnahmen zu machen. An einem bestimmten Rädchen zu drehen, hat in einem komplexen System in der Regel unerwartete (und unerwünschte) Auswirkungen. Deshalb tut sich Amazon auch so schwer mit Änderungen an den eingebauten Regeln.

Es tut mir leid, aber bessere Nachrichten habe ich nicht. Wenn sich ein Buch nicht wie erwartet verkauft, lohnt es sich immer, die Details zu betrachten. Sind Verkaufsränge vorhanden? Passen die “Kunden kauften auch”? Wie steht es um Rezensionen, Cover, Klappentext? Wenn das jedoch alles perfekt ist, können Sie als Autorin nichts weiter tun, dann ist die Reihe an den Käufern.