Soll ich YouTube für mein Buch nutzen? Autor Stefan Lange hat’s ausprobiert

YouTube ist ja nichts Neues und längst viel mehr als eine Plattform für herzige Katzenvideos, Musikclips und lustige Tollpatschigkeiten. Seit einiger Zeit schwirrte mir der Gedanke durch den Kopf, ob und wie ich dieses Medium für mein Buch nutzen könnte. Wenn ich mich in der Autorenszene umschaue, wird das Medium erstaunlicherweise selten genutzt. Gut, einige haben Buchtrailer produziert, selten gut (sehenswertes Beispiel: Martin Bühler, Schattenlicht), oft skurril aber manchmal auch lieblos zusammengeschusterte Clips mit schräger Musik, die als Verkaufsinstrument eher abschreckend als dienlich sind. Die Anzahl der Klicks spricht Bände. Sollte ich auch einen Buchtrailer produzieren, den niemand außer ein paar Eingeweihten schaut?

Einige Autoren haben Videos von Lesungen aufgezeichnet und bei YouTube eingestellt. Der Autor sitzt bequem in einem Sessel und liest Auszüge aus seinem Werk, andere Autoren sind nur zu hören oder Bilder aus Bilderdatenbanken begleiten den Text. Das allein war mir irgendwie zu statisch. Ich wollte etwas anderes.

Richtig Fahrt aufgenommen hat die Idee YouTube erst mit einem traurigen Ereignis. Die Protagonistin in meinem autobiographischen Roman ist gestorben und es war mein persönlicher Wunsch, die wichtigsten Handlungsorte, die in meinem Buch eine Rolle spielen, noch einmal aufzusuchen. Und wenn ich schon dort hinreise, wollte ich genau an diesen Orten lesen.

Bevor ich aber die Lesungen aufzeichnen konnte, musste ich mich ein wenig mit der Materie auseinandersetzen und einen YouTube-Kanal einrichten: Google-Account erstellen, die Webseite mittels Tracking-Code im Header verifizieren und noch weitere Klippen umschiffen. Irgendwie war das zunächst ein Buch mit sieben Siegeln, aber die Erkenntnis, dass das schon viele vor mir geschafft haben, motivierte mich ungemein. Das für mobile Endgeräte optimierte Kanalbild mit seinen besonderen Anforderungen habe ich mir von meinem Graphiker machen lassen und ein Videointro zwecks Einheitlichkeit oder Wiedererkennung als Template für ein paar Dollar gekauft.

Meine Qualitäten als geübter Fotograf oder Videofilmer sind eher bescheiden. Ich habe mir eine HD-Cam und ein Stativ geliehen. Sehr wertvolle Tipps und Anregungen für das Filmen konnte ich in der YouTube-eigenen »Creator Academy« gewinnen (Gratis-Onlinekurse). Dort habe ich etwas über Beleuchtung, Ton, Dynamik und die Wahl der »Location« gelernt und auch umgesetzt und eine Art Drehbuch geschrieben. Der wichtigste Tipp für Außenaufnahmen war beispielsweise, sich die Örtlichkeit wegen der Umgebungsgeräusche im Voraus anzuschauen. Filmaufnahmen scheiterten häufig nicht am Standort der Kamera oder an Versprechern, sondern an nicht planbaren Störgeräuschen wie Hundegebell, Autogehupe oder lärmigen Passanten. Eine Szene habe ich glatt 60 Mal gedreht.

Entstanden ist schließlich eine 20-teilige Videoserie, gefilmt in 3 Ländern an über 70 Locations. Ich stelle mich und mein Buch sowie die Örtlichkeiten im Porträt vor. Die insgesamt 107-minütigen Videos stammen aus über 11 Stunden Filmmaterial. Der Vorteil einer mehrteiligen Serie liegt vielleicht darin, dass ich dem Interessierten keinen einstündigen Trümmer zumute, sondern er kann selbst nach Lust und Laune einzelne kurze Videos anschauen.

https://www.youtube.com/watch?v=TsiwVP8QThQ

Zum Glück war ich geübt im Umgang mit dem Videoschneideprogramm Windows-Movie-Maker und konnte die Videos in recht überschaubarer Zeit herstellen. Man kann es immer besser machen, aber ich bin mit dem Gesamtergebnis ganz zufrieden, auch angesichts der knappen Drehzeit in Spanien.

Wenn jemand mein Buch kennenlernen möchte, verweise ich auf die Videos oder sende gleich den entsprechenden Link der YouTube-Playlist.

Ich stehe ja mit meinem Buch für ein Thema ein. Es geht um Aufklärung und Entstigmatisierung. Natürlich wäre es vorteilhaft, wenn sich die Medien als klassischer Mittler zwischen Autor und Publikum auf einen stürzten, aber als Selfpublisher, noch dazu kein uneheliches Kind eines Promis, ist es nicht einfach sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und einen eigenen, neuen YouTube-Kanal bekannt zu machen, ist vielleicht noch mühsamer, als sein Buch zu bewerben.

Hier habe ich mir einen Kooperationspartner gesucht. Mittlerweile gibt es auf YouTube unendlich viele Kanäle (Sender), die entsprechende Programme anbieten. Für fast jedes Thema gibt es einen Kanal, egal ob Gänseblümchenzähler oder Umweltaktivisten, Politik, Kunst oder Kultur, die an themenbezogenen Inhalten interessiert sind. Statt klassische TV-Sender oder Redaktionen anzusprechen, die mit Anfragen sowieso überlastet sind, können diese Kanäle der direkte Weg zu einem Zielpublikum sein. Jüngere Menschen schauen eher bei YouTube rein als ARD oder ZDF einzuschalten.

Auf den Kanal ZQNCE (gesprochen: Sequence) bin ich aufmerksam geworden, als die Redakteure für die Biographieserie eines ehemals Drogensüchtigen mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet worden sind und diese Nachricht durch die Medien geisterte. Nach einer Kontaktaufnahme meinerseits und Probeaufnahmen wurden wir uns recht schnell einig, eine Serie über mich und mein Thema zu drehen. Mir gefiel die unkonventionelle Art der Produktion: Keine übliche Sendeanstalt oder redaktionelle Vorgaben. Einfach zwei Kameras, ein Mikrophon und los ging´s. Entstanden ist daraus eine 50-teilige Serie, in der ich frei über meine Themen sprechen konnte. ZQNCE hatte zu dem Zeitpunkt schon annähernd 100.000 Follower, so dass die Videos auch eine gewisse Reichweite erzielten.

Entsprechende Berichte in Zeitungen und Portalen haben dafür gesorgt, dass ich dem Ziel einer medialen Wahrnehmung des Buches und des Themas näher gekommen bin. Weitere Kooperationspartner haben sich gemeldet und ich halte nun vermehrt Lesungen. Das wäre ohne die Zusammenarbeit mit ZQNCE in der Form nicht möglich gewesen.

Hat sich YouTube also gelohnt? Diese Frage kann man immer erst hinterher beantworten. Es war interessant, sich mit diesem Medium näher zu befassen und Spaß hat es auf jeden Fall gemacht. Wenn mich jemand fragt: „Soll ich YouTube auch für mein Buch nutzen?“ „Nur zu!“