Schreib-Tipp: Sexszenen als Schlüsselszenen in Ihrem Roman

In Sexszenen steht für Sie als Autor nicht das im Vordergrund, was für viele im Vordergrund zu stehen scheint – der Sex –, sondern die Szene. Entsprechend sollten Sie an eine solche Szene herangehen. Die Szene in erster Linie oder zunächst schreibhandwerklich zu betrachten, hilft Ihnen auch dabei, Vorbehalte und Peinlichkeiten abzulegen, beides Dinge, die es Ihnen schwerer machen, eine überzeugende, besondere und durchaus erotische Szene zu schreiben.

In dem Artikel »Sexszenen schreiben – aber bitte mit Spannung« haben wir gesehen, was das Szenische an Sexszenen bedeutet. In diesem Artikel gehen wir tiefer.

Damit die Sexszene sich in den Plot einfügt und nicht zum Anhängsel wird – und damit zu Pornografie, Sex um des Sex willen –, sollten Sie drei weitere Aspekte beachten:

1. Was geschah vor dieser Szene (mit den Charakteren)?

Was ist der Stand ihrer Beziehung? Was haben die Partner bis dahin überwinden müssen? Wo mussten sie zurückstecken? Wie sind die Emotionen? Besteht womöglich noch eine alte Eifersucht?

Beispiel: Die könnte sich dann etwa zeigen, wenn einer beim Sex die Augen schließt oder den Blick abwendet. Der andere fragt sich: »Denkt er/sie jetzt an eine/n andere/n?« Auch Eifersucht entspringt ja einer Verletzlichkeit oder sogar Verletzung.

Vergessen Sie in einer so körperlichen Szene nicht das Körperliche. Wenn die Heldin drei Kapitel zuvor gegen einen Bösewicht gekämpft hat, trägt sie noch die Blessuren. Sie ist an manchen Stellen empfindlich und zuckt zusammen, wenn sie dort berührt wird. Was von ihrem Partner womöglich falsch verstanden wird. Oder sie findet sich unattraktiv wegen einer Wunde oder Narbe, was ihre Fähigkeit beeinflusst, sich gehen zu lassen.

2. Was läuft währenddessen im Hintergrund ab?

Nein, damit meine ich nicht die Musikauswahl zwischen Bolero und Je t’aime. Die Sex-Szene findet ja storymäßig nicht komplett isoliert statt.

Beispiel: Womöglich wissen die beiden Liebenden, dass im selben Moment ein Freund von ihnen noch in der Gewalt des Antagonisten ist. Sie versuchen, den Gedanken zu verdrängen und den Moment zu genießen, der vielleicht der letzte gemeinsame Moment ist. Doch so ganz gelingt ihnen das nicht.

Beispiel: Womöglich bleibt ihnen für den Sex nicht viel Zeit, weil sie wissen, dass die Verfolger ihr Versteck in zwei, drei Stunden entdeckt haben werden. Auch das beeinflusst die komplette Szene und eben auch den Sex. Vielleicht macht es ihn intensiver. Vielleicht tut es das Gegenteil. In jedem Fall sorgt es für mehr Spannung.

3. Was kommt nach der Szene?

Wenn Sie eine Sexszene schreiben, sollten Sie auch das Danach schon im Blick haben. Auch im Roman ist insbesondere der erste Sex der Partner ein Wendepunkt in einer Beziehung. Was hat sich verändert?

Nutzen Sie unter anderem die folgenden Fragen als Ausgangspunkte:

Was haben die Partner während des Sex bei sich selbst erkannt? Was haben sie über den anderen erfahren? Was überrascht sie beim Sex, womit sie beim Partner überhaupt nicht gerechnet hatten? Was verändert der Sex, womit sie nicht gerechnet hatten? Mit welcher Veränderung – in sich, im Partner, in der Beziehung – hatten sie gerechnet, doch sie kommt nicht? Wie verändert sich die Beziehung der Liebenden? Bedauert ein Partner den Sex? Oder sogar beide? Hat der Sex die beiden einander nähergebracht oder sie voneinander entfernt?

Wie beeinflusst der Sex alle nicht-sexuellen Aspekte im weiteren Verlauf des Romans?

Beispiel: Die Tochter der Protagonistin ist wütend auf ihre Mutter, weil sie – in den Augen der Tochter – den von ihr geschiedenen Vater des Mädchens betrogen hat. Deshalb verrät das Mädchen die noch geheime Liebe an einen Feind, der das Wissen zu seinen Zwecken ausnutzt.

Die dramatische Frage der Sexszene

Wenn Sie auf diese Weise einiges über die Charaktere und die Szene gelernt haben, können Sie den zentralen Konflikt der Szene etablieren. Anders gesagt: Worum geht es in der Szene zentral? Welche dramatische Frage soll sie beantworten?

Dazu brauchen Sie einen Protagonisten, dessen Versuch der Zielerreichung die Handlung voranbringt (angetrieben vom zentralen Szenenkonflikt), und Sie brauchen einen Antagonisten, der dem im Weg steht. Wie in jeder anderen Szene auch.

Welches Ziel nun hat der Protagonist der Szene? Was bezweckt der andere? Worin liegt die Spannung? Was steht auf dem Spiel? Wo und wie kommt es zum Knall? (Achtung: Der sexuelle Höhepunkt und der dramatische Höhepunkt der Szene sind nicht automatisch das Gleiche!)

Das alles heißt nicht, dass Sie den Liebenden damit das schöne und seit langem (von ihnen und den Lesern) herbeigesehnte Ereignis missgönnten. Nachdem der spannungsgeladene Konflikt aufgelöst ist, kann dann durchaus noch toller, heißer und befriedigender Sex folgen. Doch dessen Darstellung sollten Sie dann, wenn keine Spannung mehr besteht, relativ kurz halten (abhängig davon, welchen Stellenwert die Erregung der Leser in Ihrem Roman hat – je detaillierter und sexuell offener Sie Ihren Text anlegen, desto mehr Sex zum Selbstwecke außerhalb der Story können Sie sich erlauben). Spannungsloser Sex ist ebenso undramatisch wie Glück – und nichts, woraus sich eine Roman-Szene bauen lässt.

Die Antworten auf die dramatischen Fragen finden Sie in Ihren Charakteren und sie finden Sie vor allem in deren Verletzlichkeit. Verabschieden Sie sich dazu von dem Gedanken, dass ein Konflikt oder ein dramatischer Höhepunkt laut und groß sein müsse. Eine Sexszene ist dazu prädestiniert, auch die kleinen, stillen Aspekte eines Konflikts hervortreten zu lassen. Ebenso können Sie in einer solchen Szene durch ihre Intimität und notwendige Offenheit auch Dinge, Themen, Probleme hochkommen lassen, die sonst verborgen blieben. Womit die Sexszene zu einer essenziellen Schlüsselszene Ihres Romans werden kann.

Sehen Sie Sex auch in Ihrem Roman niemals als lästige Pflichterfüllung, sondern als eine Chance, Ihre Charaktere zu vertiefen und Ihren Roman auf besondere Weise dramatischer zu machen.

Stephan Waldscheidt

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