Schreib-Tipp: Sexszenen schreiben – aber bitte mit Spannung

Spannung ist das, was den Leser umblättern lässt. Und falls Ihr Roman mehr als eine Seite lang ist und Sie möchten, dass Ihre Leser ihn bis zum Ende lesen, brauchen Sie Spannung. Auf jeder Seite. Ob Sie Literatur schreiben oder Genre, Liebesschnulzen oder Politthriller, historische Schwarten oder abgefahrene Fantasy. Spannung gehört in jeden Roman (sofern er ein dramatisches Erzählwerk ist und nicht bloß experimentelle Wortakrobatik), auf jede Seite und damit auch in jede Szene.

Spannung gehört damit eben auch in Liebesromane, in erotische Romane – und in Sexszenen. Mehr noch: Da Sexszenen ja in vielen Fällen einen Schlüsselmoment in der Beziehung zweier wichtiger Charaktere bedeuten, besitzen sie nicht das Potenzial hoher Spannung, ja, sie verpflichten Sie als Autor oder Autorin dazu, dieses Potenzial auszuschöpfen.

Wenn Sie Sexszenen hingegen auf die Beschreibung körperlicher Aktivitäten beschränken, vergeben Sie die beste Chance, die Beziehung der Liebenden sowohl authentisch als auch besonders zu machen.

Dazu schrieb mir eine Leserin:

Was mache ich mit Einsatz und Risiko in einer Erotikszene oder Liebesszene? Ich meine nicht das Drumherum, die Steine, die sie trennen, bis es so weit ist und so weiter. Aber was wäre beim Sex für ein Risiko? Welcher Einsatz wäre dort vorhanden? Wie schaffe ich einen Konflikt in einer erotischen Szene?

Vor jeder Szene sollten Sie sich zunächst folgende Fragen stellen:

  • Ist die Szene (in dieser Form) notwendig? Sprich: Bringt Sie den Plot direkt voran oder bringt sie ihn indirekt voran, in dem sie den Charakter voranbringt?
  • Gibt es (mindestens) einen (zentralen) Konflikt?
  • Wie sieht das Umfeld der Szene im Plot aus?

Bevor wir in die Sexszene selbst gehen, sehen wir uns das Umfeld der Szene an: Was geschieht davor? Was geschieht danach? Was geschieht währenddessen, aber unsichtbar im Hintergrund? Laufen an mindestens einem dieser drei Punkte Konflikte ab, wird die Sexszene zumindest einen gewissen Grundkonflikt mitbringen. Damit wäre ein Konflikt als ein unverzichtbarer Faktor von Spannung gegeben.

Doch das allein wird meistens zu wenig sein, damit die Szene sich ihre Existenz verdient. Damit sie dramatisch werden kann, braucht sie ihren eigenen Szenen-Konflikt. Damit sie spannend werden kann, braucht sie zudem Einsätze (»Steht etwas Wichtiges auf dem Spiel?«) und ein Risiko des Scheiterns (»Mit hoher Wahrscheinlichkeit verfehlen die Charaktere – insbesondere der Charakter, dem die Szene gehört – ihre Ziele.«).

Der Konflikt sollte jedoch nicht künstlich heraufbeschworen werden, sondern sich organisch aus dem Davor, dem im Hinter- oder Untergrund verborgenen Währenddessen (Backstory) und den Charakteren ergeben. Wo nun finden Sie den passenden Konflikt? Ist es nicht vielmehr so, dass sich die Konflikte sämtlich auflösen, bevor die beiden Charaktere einvernehmlich in die Kiste springen?

Sollte das tatsächlich in Ihrem Roman der Fall sein, lassen Sie die Szene besser weg. Sie wird sich nicht in den Plot einfügen, sondern wie ein Anhängsel wirken, ein bisschen wie Pornografie. In so einem Fall genügt es vollauf, wenn Sie das Ganze erzählen.

Konflikt und Spannung in der Szene selbst

In einer Sexszene kann es etwa (wie etwa in »Shades of Grey«) einen Konflikt geben, wenn einer der Partner von einem inneren Konflikt gequält wird, zum Beispiel ein Problem mit Nähe hat und es ihm schwerfällt, seine Partnerin wirklich an sich heranzulassen oder den Sex zu genießen.
Es kann einen äußeren Konflikt geben, wenn etwa die Partnerin versucht, diese Nähe oder auch eine entspannte Atmosphäre bewusst herbeizuführen, der Partner sich aber, bewusst oder unbewusst, dagegen wehrt.

Oder, allgemeiner, wenn jeder sich etwas anderes vom Sex erwartet/erhofft oder befürchtet, zum Beispiel auch schon an das Nachher, an die Konsequenzen denkt.

Wollen Sie eine authentische Sexszene schreiben, die sich ihren Platz im Plot verdient, treten Sie einen Schritt zurück und fragen sich: Was ist Sex (für meine Charaktere) überhaupt? Was bedeutet es (für meine Charaktere), mit jemandem zu schlafen? Mit dieser bestimmten Person? Was bedeutet für sie Lust? Was Erotik? Wie stark sind sie auf körperliche Reize angewiesen? Auf welche? Welche Rolle spielen Gefühle für sie beim Sex? Was beim Sex löst welche Gefühle bei ihnen aus? Woran oder an wen denken sie beim Sex?

Und denken Sie immer daran: Die wichtigste erogene Zone ist noch immer das Gehirn. Das Gehirn Ihrer Charaktere ebenso wie das Gehirn Ihrer Leser.

Sex, der mehr sein will als nur Triebabfuhr (die auch in einem Roman durchaus ihre Berechtigung haben kann), ist stets verbunden mit Intimität. Was bedeutet Intimität? Sich dem Partner gegenüber zu öffnen – und damit, sich verletzlich zu machen. Und, von der anderen Seite aus, mit der Verletzlichkeit des anderen umzugehen. Womit wir bei einem Thema mit gewaltigem Konfliktpotenzial wären.

Sich verletzlich zu machen, erfordert Mut und die Überwindung von Angst. Durchlebte Erfahrungen spielen mit eine Rolle. Sofort stellen sich dramatische Fragen wie »Hat der Charakter den Mut, sich zu öffnen, obwohl er oder sie eine traumatische Erfahrung hinter sich hat?«, »Hat es dieser Partner verdient, dass ich meine Angst überwinde?«, »Was, wenn ich noch einmal verletzt werde?«

Auch wie ein Charakter mit der Verletzlichkeit des anderen umgeht, kann für Spannung sorgen: »Nutze ich diese Macht aus? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht?«

Wenn eine Sexszene in einem Roman den Endpunkt einer längeren Annäherung der Partner bedeutet, steckt darin noch sehr viel mehr. Behandeln Sie die Szene entsprechend – als extrem bedeutsame Schlüsselszene. Das Schlimmste, was Sie tun können, ist es, dem Leser nichts weiter vorzusetzen als die Abfolge aus Vorspiel, Akt und Nachkuscheln.

Hier besteht die Gefahr, dass Sie, statt auf die Charaktere und den bisherigen Plot zu hören, Dramatik damit zu erschaffen versuchen, dass Sie das Vorspiel besonders leidenschaftlich, den Akt besonders wild und das Nachkuscheln besonders entspannt gestalten. Damit aber bleiben Sie bei Melodrama und Porno stehen, statt die Szene als immens wichtigen Teil des Plots und der Charakterentwicklung zu begreifen.

Damit die Szene sich in den Plot einfügt und nicht zum bloßen (sic!) Anhängsel wird, sollten Sie drei weitere Aspekte beachten:

  1. Was geschah vor dieser Szene (mit den Charakteren)?
  2. Was läuft währenddessen im Hintergrund ab?
  3. Was kommt nach der Szene?

Dazu und zur Sexszene als Schlüsselszene demnächst mehr. Sie wissen ja jetzt, was Sie in der Zwischenzeit zu tun haben, das Wort mit dem großen S am Anfang. Okay, ja, das auch. Aber ich meine: Schreiben.

Stephan Waldscheidt

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»Brillant« (Isabell Schmitt-Egner), »Großartig« (J. Siemens), »Toll« (Jenny Benkau), »Öffnet die Augen« (Margit Gieszer), »Meisterwerk« (Alexandra Sobottka)

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