Mit welcher Wahrscheinlichkeit scheitert der Protagonist bei der Verfolgung seines Ziels? Diese Frage definiert das Risiko als Spannungsfaktor. Doch erst wenn der Einsatz hoch ist und ebenso das Risiko, den Einsatz zu verlieren, kommt Spannung auf. Grob gesagt, erhöhen Sie die Spannung, indem Sie die Wahrscheinlichkeit vergrößern, dass der Protagonist scheitert, oder indem Sie die Chancen senken, dass er siegt.
Autor: Stephan Waldscheidt
Wie viel vom Autor, wie viel von Ihnen steckt eigentlich im Erzähler Ihres aktuellen Romanprojekts? Und was ist das richtige Maß?
Die größte Herausforderung beim Finden der passenden Erzählstimme: Die Stimme muss von der ersten Seite an sitzen. Anders als die meisten Elemente eines Romans können Sie die Stimme nach dem Schreiben der Rohfassung nicht mal eben im Nachhinein korrigieren. Da sie alles durchdringt, heißt eine – nicht nur kosmetische und damit wirkungslose – Korrektur der Stimme: den Text komplett neu schreiben. Hier vorab Zeit zu investieren und verschiedene Stimmen auszuprobieren, ist essenziell für das Gelingen Ihres Romans (oder des Erzählstrangs, den dieser eine Erzähler bedient).
Einen Roman mit dem Fluss seiner Ideen zu schreiben, drauflos und immer voran, hat so manchen Vorteil. Die Energie und die Freuden des Entdeckertums sind die maßgeblichen Anreize für Autoren, sich auf diese Weise einen Roman zu erarbeiten. Jedoch fehlen dieser Methode eine Menge Vorzüge des stärker geplanten Vorgehens.
Der Leser legt seine Zeit, seine Aufmerksamkeit und nicht zuletzt sein Geld in Ihre Hände, die Hände eines Fremden. Dafür erwartet er einen angemessenen Gegenwert. Sein Maßstab hierfür: Inwiefern bekommt er von dem Buch, was er sich davon verspricht? Das können spannende Lesestunden sein, tief bewegende emotionale Erlebnisse, aufregend exotische Welten und Erfahrungen, Spaß, intellektueller Kitzel, sprachliche Eskapaden, ästethische Genüsse, vertieftes Wissen, Tratsch, gelüftete Geheimnisse, Unschickliches und Verbotenes, die Bestätigung seiner Weltsicht und Vertrautes oder neue Informationen. Dieses Vertrauen zu gewinnen, dabei hilft Ihnen der Erzähler Ihres Romans.
Die wichtigste Figur in Ihrem Roman spielt nicht immer darin mit: Der Erzähler. Jedes Wort, das der Leser Ihres Romans liest, kommt nicht von Ihnen als Autorin oder Autor, sondern vom Erzähler. Der Erzähler ist Instanz und Filter in einem. Er ist die Schnittstelle zu Ihrer Leserschaft.
Wenn Autoren sich für eine möglichst nahe Erzählweise entscheiden, verfolgen sie damit vor allem diese beiden Ziele: Sie wollen die Leser möglichst tief in die Geschichte hineinziehen und dafür sorgen, dass sie sich mit dem Protagonisten identifizieren: Emotion schlägt Information.
Auch in Ihrem Roman lauert sehr viel mehr dramatisches Potenzial. Stellen Sie hierfür vor jedem wichtigen Ereignis im Plot die Frage: Was sind hierfür die denkbar ungünstigsten Umstände?
Der Autor hat eine Idee, verfolgt sie eine Weile, hat dann eine andere, verfolgt diese abermals, bis auch sie ihn langweilt und er dem nächsten Einfall folgt. Das Ergebnis sind Geschichten ohne Zusammenhang und Zusammenhalt, ohne Dramaturgie und Ziel und Höhepunkt, Geschichten, die den Leser frustriert zurücklassen.
Während all dem sitzt ein dicker, fetter Elefant im Raum. Weder Marek noch Val – die dem Leser in jeweiligen Ich-Perspektiven den Roman näherbringen – sehen den Dickhäuter. Der Leser aber sieht ihn sehr wohl.