Das Leben ist eine Kette von Zufällen, stimmt’s? Vielleicht sind Sie der Ansicht, dass es von einem höheren Wesen bestimmt wird? Von der Konstellation der Sterne? Was liegt näher, als das – nennen wir es neutral – Schicksal auch in Ihrem Roman wirken zu lassen? Sollte ein Roman dadurch nicht realistischer werden? Oder mehr noch: Sollte Ihr Roman das Wirken des Schicksals nicht sogar zwingend brauchen?

So logisch der Gedanke klingt, so falsch und zugleich fatal wirkt er sich auf Ihren Roman aus. König Zufall ist kein guter Herrscher.

Ein Beispiel. Kommissar Glowatzki ermittelt den Mord an Linda K. Er geht Hinweisen nach, befragt Zeugen und Tatverdächtige, sammelt Informationen. Da stolpert er in der Asservatenkammer über einen nicht weggeräumten Karton. Als er ihn ins Regal stellen will, fällt er ihm herunter – und heraus kullert ein Briefbeschwerer. Mit einem Briefbeschwerer der gleichen Serie wurde Linda K. erschlagen! Der Briefbeschwerer hier gehörte einem ehemaligen Tatverdächtigen für den Mord an Germano B., Samuel Collenbusch. Collenbusch wurde damals aus Mangel an Beweisen nicht angeklagt. Doch jetzt kann Glowatzki ihn, dank des neuen Hinweises, als Mörder von Linda K. überführen.

Um einen möglichst flüssigen Text zu schreiben und eine entsprechend nahtlos zu lesende Geschichte zu erschaffen, sollten Sie auch jeden einzelnen Ihrer Sätze seinen Teil dazu beitragen lassen. Das gelingt Ihnen dann am besten, wenn Ihre Sätze einer inneren Logik folgen. Neben einer kausalen Logik, etwa bei Wenn-dann-Konstruktionen, sind das vor allem der Bildlauf einer räumlichen und die Chronologie einer zeitlichen Logik.

1. Die räumliche Logik Ihrer Sätze

Sehen wir uns ein Beispiel an. Es stammt aus C. C. Fischers Roman »Erlösung« (Blessing 2011):

Die Scheinwerfer des Mercedes erfassten die halb zerfallene Steinmauer des Friedhofs und ein Eisenkreuz und dahinter die Kapelle auf dem Hügel am Ende des morastigen Feldwegs.

Stellen Sie sich vor, Sie wären der Kameramann, der den Film im Kopf des Lesers aufzeichnet. Jeder Fehler, den Sie begehen, bedeutet, dass der Film im Leserkopf reißt. Der Autor des Textauszugs hat an dieser Stelle einen solchen Riss verursacht. Denn er führt das Leserauge in die Irre.

Im letzten Artikel der Reihe (Ich habe da eine Idee für einen Roman) habe ich auf die Gefahren hingewiesen, die zu wenige Ideen mit sich bringen. Das andere Extrem kann jedoch ebenfalls zur Falle werden.

Ich kenne das selbst leider zu Genüge. Da hat man sich einen interessanten Plot zurechtgelegt, und beim anschließenden Schreiben fällt einem noch dieser neue Charakter ein, jener Subplot bietet sich an und folgender Umweg muss ebenfalls dringend gegangen werden. Und dann schießen die Einfälle erst so richtig ins Kraut … Was das aus einem Roman machen kann, verdeutlicht am besten ein Bild eines Hauses.

Sie als Architekt (planen) und Baumeister (schreiben) in Personalunion haben die Pläne gezeichnet und die Baumaterialien vorbereitet. Alles passt zusammen, die Statik stimmt und genug Mauersteine sind auch vor Ort. Aber während Sie die Außenwand auf der Südseite hochziehen, kommt Ihnen noch die Idee zu einem kleinen Anbau hier. Und auf den Anbau muss natürlich ein Dach. Mit einer Luke. Auf die aber fällt zu viel Sonne, also bauen Sie das Stockwerk darüber ein bisschen breiter. Und ein Türmchen auf der Westseite wäre doch auch allerliebst. Vielleicht eine Dachterrasse mit Pool? Unbedingt. Irgendwann treten Sie mal wieder ein Stück zurück von Ihrem Bau und stellen entsetzt fest, dass das auf den Plänen so gefällige Häuschen jetzt aussieht wie der Bastard von Neuschwanstein und dem Bauhaus – kaum denken Sie das, stürzt einer der sieben neuen Türme ein und begräbt den Südanbau unter sich. Was wiederum die Statik so durcheinanderbringt, dass der gefüllte Pool durchs Flachdach bricht und das Wasser das Erdgeschoss flutet.