Reich werden mit Amazon? Die Kindle-eBook-Industrie und ihre Strategien

Die US-Tageszeitung Washington Post berichtet von einer “Industrie von Amazon-Unternehmern”, die mit von billigen Arbeitskräften geschriebenen und von bezahlten Rezensenten bewerteten eBooks zu aktuell heißen Themen die Sachbuch-Rubriken von Amazon überschwemmen. Eine gewisse Dagny Taggart etwa veröffentliche alle fünf Tage ein Buch. Trotz offensichtlicher Schwächen (die die Zeitung aufzeigt) sind all “ihre” Bücher aber mit annähernd fünf Sternen bewertet.

Alles weit weg? Überhaupt nicht. Auch in Deutschland gibt es solche Amazon-Unternehmer, die mit zwielichtigen Strategien einen schnellen Euro erhoffen. Allerdings stehen für die deutsche Sprache deutlich weniger billige Arbeitskräfte zur Verfügung, die für wenig Geld mal eben 50 Seiten zu einem Thema aufschreiben. Aber es gibt ja einen anderen Weg: Inhalte auf thematisch passenden Websites klauen, ein wenig umschreiben (wenn überhaupt), mit Inhalten aus Wikipedia & Co. anreichern und dann als eigenes Buch hochladen.

Einen solchen Fall hat gerade das Ernährungsblog HappyCarb aufgedeckt. Ein gewisser Mensch, nennen wir ihn Alexander R., angeblich Nürnberger (das Bild im Amazon- und im Facebook-Profil ist jedoch ein Stockfoto), hatte nachweisbar mehrere Rezepte aus dem Blog übernommen und in sein Buch eingebaut. Blöd gelaufen: Diesmal ist es aufgefallen.

Die Bücher des “Autors” zeigen sehr schön, mit welchen anderen Strategien diese Kindle-Unternehmer vorgehen. Eines ist zum Beispiel auf das Stichwort “Disziplin” optimiert. Das Wort taucht allein im Titel vier Mal auf (wobei der Titel die Amazon-Richtlinie verletzt, dass der Titel dem Titel auf dem Cover entsprechen muss). Aber es hat auch einen Herausgeber namens “Disziplin”! Ähnlich verfährt der Autor auch bei anderen seiner Bücher.

Sieht man sich die Liste der Rezensenten an, trifft man immer wieder auf dieselben Namen. Es muss sich um echte Fans handeln, denn egal, worum es geht, sie sind begeistert. Chia-Samen, Freunde finden, Minimalismus im Büro, sie finden einfach alle Werke toll und haben es darum gar nicht mehr nötig, Bücher von anderen Autoren zu lesen oder gar zu rezensieren. Es handelt sich zum Teil um gespaltene Persönlichkeiten, denn mal sind sie schon seit ihrer Jugend Ernährungsfreaks, dann hat derselbe Rezensent gerade kürzlich auf Low Carb umgestellt oder ernährt sich mit Chia-Samen. Sehr flexibel! Und natürlich absolut glaubwürdig, denn bezahlte Rezensionen lässt Amazon ja nicht zu.

Wo liegt der Fehler? Jedes nützliche System wird auch irgendwann missbraucht. Amazon könnte allerdings dem Sachbuch-Bereich mehr Aufmerksamkeit widmen. Die Titel dort tauchen zwar nie in den Charts auf, verkaufen sich aber trotzdem einige Mal pro Tag. Jeder unzufriedene Leser ist ein unzufriedener Amazon-Kunde. Alexander R. ist bei weitem nicht der einzige, der auf diese Weise Geld verdient. Man muss sich nur die Bestenlisten in den Bereichen Medizin, Ernährung oder Psychologie ansehen, um auf weitere solche Schreiberlinge zu stoßen.

Unarten wie Herausgeber zu erfinden, um die Suchfunktion zu manipulieren, sollten jedenfalls geahndet werden, und auch übermäßig suchmaschinen-optimierte Titel sollte die Freischaltung herausfischen. Und dann wäre da noch das Rezensions-System: Statt blanko Rezensionen zu löschen, die nach dem Versand von Gutscheinen entstanden sind, wäre es schlauer, Bewertungen aufzuspüren, die offensichtlich nicht von echten Kunden stammen. Das kann ein Algorithmus aber wohl nicht lösen.

Die gute Nachricht: Es gibt nicht viele Internet-Nutzer, die solches Geschäftsgebahren mögen. Das zeigte sich schnell in den Rezensionen des Ernährungs-Buches.