So managen Sie ein großes Figuren-Ensemble in Ihrem Roman – Schreibtipps inspiriert von »Avengers: Infinity War«

Moment. »Avengers: Infinity War«, der dritte Teil der Avengers-Reihe, kommt doch erst 2018 in die Kinos (und kriegt noch einen anderen Titel). Hat der Waldscheidt einen persönlichen Draht zu Mavel-Produzent Kevin Feige?

Leider nein. Auch bin ich auf keinem illegalen Weg an das Drehbuch gelangt. Das erst seit Ende April 2016 existiert.

Aber die Probleme, mit denen die Autoren und Regisseure des Films konfrontiert werden, sind jetzt schon bekannt. Und eine wahrscheinliche Lösung dafür und für Ihren Roman stelle ich Ihnen hier vor.

»Avengers: Infinity War« wird ein zuvor noch nie da gewesenes Ensemble an Superhelden, Superschurken und deren Helfer jonglieren müssen. Ein Thema, das manche von Ihnen aus Ihren eigenen Romanen kennen. Insbesondere Fantasy-Autoren neigen ja zu ausschweifenden Geschichten mit einer Vielzahl an Figuren. Wie wird man ihrer Herr? Wie bekommt man sie auf organische Weise zusammen und holt das Beste aus jedem heraus?

Denn eins ist klar: Szenen mit zwanzig Charakteren, von denen jeder etwas sagen soll und tun will, funktionieren nicht. Nicht im Film und im Roman schon gar nicht.

Die Lösung liegt auf der Hand: Teilen Sie Ihre Charaktere in Gruppen auf!

Das hat schon J. R. R. Tolkien in »Der Herr der Ringe« getan, wo er beispielsweise Frodo, Sam und Gollum zusammen losgeschickt hat, Pippin und Merry zu den Ents gehen lässt; auch Aragorn und Legolas und Gimli haben eine gemeinsame Aufgabe zu erledigen.

Doch wie funktioniert das mit dem Aufteilen am besten?

»Avengers: Infinity War« wird das Problem auf organische Weise so lösen: In dem Film geht es um die »Infinity Stones«, mächtige Artefakte, mit denen sich das Universum beherrschen (oder zerstören) lässt – Allmacht. Es gibt deren sechs. Folglich macht es Sinn, sechs Gruppen zu bilden, die mit dem Finden, Stehlen oder Bewahren jeweils eines der Steine betraut werden. Das gewaltige Ensemble des Films schrumpft zu überschaubaren Grüppchen.

In »Der Herr der Ringe« eint die Charaktere ein gemeinsames Ziel: den Ring zu vernichten und damit Sauron zu besiegen. Jede der Gruppen arbeitet an einem Teilaspekt dieses Ziels. Frodos Gruppe trägt den Ring zum Schicksalsberg, Pippin und Merry versuchen, die mächtigen Ents als Verbündete zu gewinnen, und Aragorn und Konsorten wollen ein Heer aus Toten als Helfer engagieren.

Die Gruppen arbeiten also jeweils auf ein Ziel hin. Das tun sie dann am erzählerisch überzeugendsten, wenn sie einen eigenen Subplot bekommen – also einen Erzählstrang mit eigener Dramaturgie aus Wendepunkten, Midpoint, Höhepunkt usw.

Wie setzen Sie diese Gruppen optimal zusammen?

Ein Wort: Konflikt!

Am spannendsten wird die Sache für Leser oder Zuschauer dann, wenn Sie Charaktere zusammenbringen, die sich nicht grün sind (was beim Avengers-Mitglied Hulk zugegebenermaßen recht ironisch ist).

Auf diese Weise machen Sie das Meiste aus Ihren Charakteren: Sorgen Sie für Konflikte …

  1. zwischen Gruppe und Gegner (externe Konflikte);
  2. zwischen Mitgliedern der Gruppe (interne Konflikte);
  3. innerhalb der einzelnen Mitglieder der Gruppe (innere Konflikte).

Was können Sie noch tun, um das Ganze für den Leser spannender zu machen? Einige erste Ideen, die Möglichkeiten sind endlos.

  • Bauen Sie in eine der Gruppen einen Maulwurf ein, einen Doppelagenten, einen Verräter.
  • Sorgen Sie für Berührungspunkte und Austausch zwischen den Gruppen. Dann fühlt sich die Geschichte für den Leser dichter an.
  • Oder sorgen Sie für eine komplette Isolation einer oder mehrerer Gruppen. So weiß eine Gruppe womöglich nicht, wie weit die andere ihrem Ziel ist, und begeht Fehler.

In der isolierten Gruppe steigt dabei der Druck. (In »Der Herr der Ringe« wissen die Gruppen wenig bis nichts voneinander. Beispielsweise ist den anderen die meiste Zeit über unklar, wie weit Frodo mit dem Ring schon gekommen ist und ob er überhaupt noch lebt.) In den einzelnen Gruppen kann das dazu führen, dass sie sich noch mehr anstrengen, weil sie fürchten müssen, den Sieg alleine bewältigen zu müssen.

  • Bilden Sie auch innerhalb der Gruppen Fraktionen: Iron Man und Spiderman glucken zusammen gegen Captain America und den Falcon.
  • Zerstören Sie eine Gruppe und lassen Sie die anderen trauern.
  • Drehen Sie eine Gruppe komplett um – von Verbündeten werden sie zu Feinden und streben nun das gegenteilige Ziel an.

Und wenn Ihnen das Ensemble trotzdem über den Kopf wächst? Manche Charaktere füllen dieselbe Rolle aus (etwa zwei gute Freundinnen der Heldin, zwei Scherzkekse in einer Clique). Solche Charaktere können zu einer verschmolzen werden – der dann stärker und eindringlicher wird, als wenn Sie seine Fähigkeiten auf zwei Personen aufteilten.

Schließlich bleibt der gute, alte Tod. Wie eine Geschichte stärker wird, die Konflikte größer, die Einsätze höher, wenn ein wichtiger Charakter stirbt, können Sie in jeder Staffel von »Game Of Thrones« beobachten. Schulfernsehen hat nie mehr Spaß gemacht.

Stephan Waldscheidt

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