Schreib-Tipp: Klischees in Sprache und Inhalt – vermeiden und nutzen (Teil 2 von 2)

Eine Gurke ist eine Gurke ist eine Gurke

Im ersten Teil des Artikels haben wir uns angesehen, wieso Sie Klischees vermeiden sollten. Heute widerlegen wir das Klischee, Klischees wären immer und überall schlecht. Klischees haben nämlich durchaus ihre guten Seiten.

* Klischees sind vertraut. Vertrautes aber, das lehrt die Psychologie, wirkt sympathisch – auch auf Leser. Das ist einer der Gründe, warum es so viele »schlecht geschriebene« Romane zum Bestseller schaffen. Die Leser mögen ihn nicht trotz der Klischees, sondern gerade deswegen. Natürlich geht das nicht allen Lesern so. Aber der, wie es aussieht, größte Teil von ihnen liest  eben nicht, um Neues zu entdecken und sich weiterzuentwickeln. Die Mehrheit der Leser stellen die, die aus dem Bedürfnis nach wohliger Vertrautheit heraus lesen, also klassischerweise die Fans von Herz-Schmerz-Arztromanen, von Lokalkrimis und Ähnlichem. Falls Sie für ein solches Publikum schreiben, dürfen, nein, dann sollten Sie in Klischees des Inhalts und der Sprache schwelgen. Ihre Leser erwarten genau das.

* Aber auch Leser, die hauptsächlich ein Genre lesen, mögen es, wenn ihre Erwartungen erfüllt werden. Leser, die das Erwartete wollen und das Überraschende in ihrer Lektüre ablehnen, auch diese Leser lieben Klischees. Für sie fühlt sich ein Roman dann gut und richtig an, wenn der Plot nach bekanntem, oft eben genretypischem, Schema abläuft und wenn man beim Lesen die nächsten Wörter schon ergänzen könnte. Sie ergänzen das Adjektiv »himmlische« sofort (unbewusst) mit »Ruhe«, noch bevor sie tatsächlich das Wort »Ruhe« gelesen haben. Und sind zufrieden damit.

* Sie als Autor können Klischees erziehen. Wie einen bissigen Hund, der die meiste Zeit zurecht Maulkorb trägt.

+ Mit Klischees entlarven Sie die Phrasendrescher unter Ihren Charakteren – ohne dem Leser explizit zu sagen: He, der Typ hier drischt nur Phrasen. Stattdessen zeigen Sie es ihm mit Beispielen und überzeugen ihn so viel leichter und nachhaltiger. Schließlich hat er es ja selbst gesehen und miterlebt, wie besagter Charakter seine Phrasen drosch.

+ Mit Klischees beschreiben Sie eine Epoche, denn Klischees sind stark zeitabhängig: eine originelle und populäre Wortschöpfung aus den 1960ern (viellicht das Dreschen von Phrasen?) war schon in den 1980ern nur noch ein Klischee. Auf diese Weise können Sie auch Generationen unter Ihren Charakteren voneinander abgrenzen: Papa nutzt andere Klischees als seine Teenagertochter.

+ Klischees dienen als perfekte Richtschnur für originelle(re) Bilder. Nehmen Sie sich ein Klischee vor und weichen Sie ein kleines Stück davon ab. Voilà, Sie haben ein neues Bild erschaffen.

Nehmen wir wieder den Phrasendrescher. Was, wenn Ihre Romanfigur Phrasen nicht drischt, sondern damit um sich schmeißt und so zum Phrasenschmeißer wird?

Letztere Methode wirkt auch gut, um Leser zu überraschen, um sie wachzurütteln und ihre Aufmerksamkeit wiederzubekommen. Denn wenn Sie mit dem Wort »Phrasen-« beginnen, will der Klischeeautomat im Leserhirn sofort sein »-drescher« ergänzen. Sie aber überraschen ihn mit Ihrem neuen »-schmeißer« – und haben die Aufmerksamkeit des Lesers zurück.

Aber Vorsicht! Den Leser wachzurütteln, kann eben auch heißen, ihn aus seinem fiktionalen Traum zu werfen. Gehen Sie also nicht allzu holzhammerig vor und passen Sie auf, dass sich das neue Bild in die Geschichte fügt.

Fazit: Sie wollen die Erwartungen ihrer konservativen Leser erfüllen? Sie wollen ihnen ein vorhersagbares, gemütliches Lese-Erlebnis verschaffen? Ihnen dabei helfen, abzuschalten? Sie wollen vor allem Bücher verkaufen? Dann scheuen Sie sich nicht, Ihren Text mit Klischees zuzukleistern.

Sie wollen Ihre Leser aufrütteln? Sie wollen eine ganz eigene, besondere, intensive Geschichte erzählen? Säubern Sie Ihren Text von Klischees. Sie wollen eine eigene Sprache für diese Geschichte, dieses Sachbuch, ja, für sich als Autor finden? Sie wollen einen individuellen Erzählton? Sie suchen Ihre Stimme? Dann weg mit den Klischees! Denn Sie wollen eins bestimmt nicht werden: Klischeedrescher.

Stephan Waldscheidt

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