In fast jedem Roman wird der zentrale Plot von Subplots begleitet. In einem gut geplotteten Roman hängen alle diese Plots untrennbar miteinander zusammen. In einem guten Roman stärken diese Plots einander.
In seinem Roman »Der Regenmacher« (Hoffmann & Campe 1997) erzählt Grisham zentral die Geschichte eines Prozesses: Die Versicherung Great Benefit verweigert dem Leukämie-Kranken Donny Ray Black die Kostenübernahme für eine Rückenmarkstransplantation. Protagonist Rudy Baylor, ein unerfahrener Anwalt frisch von der Uni, vertritt die die Familie Black bei ihrer Klage gegen die Versicherung.
In einem Subplot geht es um die Liebe zwischen Rudy und der von ihrem Mann Cliff mehrfach misshandelten Kelly. Der Fall ist gegen Ende des Romans siegreich abgeschlossen. Der Plot oder Erzählbogen endet.
In diesem Fall aber endet damit nicht der Roman. Was macht Grisham stattdessen? Er pappt den Subplot von Rudy und Kelly hinter den zentralen Plot. Als die Liebenden Kellys Sachen aus ihrer Wohnung holen, wo sie mit Cliff zusammenlebt, werden Rudy und Kelly von Cliff überrascht. Cliff geht auf Rudy los, will ihn töten. Rudy entreißt dem angetrunkenen Cliff den Softballschläger und schlägt ihm den Schädel ein. Die Liebenden können sich aus der Situation herausmanövrieren und fahren gemeinsam in den Sonnenuntergang.
Erst mit der Auflösung dieses Subplots endet der Roman.
Das hat eine Folge, die bei den meisten Autoren den Roman ruinieren würde. Grisham schafft es dank seiner Erzählkunst, der überzeugenden Charaktere und der Fülle an spezifschen Details, dieses Manko auszugleichen. Doch der Roman hätte so leicht so viel besser sein können …
Wo liegt der Knackpunkt? Die beiden Plots sind kaum miteinander verschränkt, haben keine Berührungspunkte außer in der Figur des jungen Anwalts. Das führt dazu, dass die Gesamtspannung zu keiner Zeit größer ist als die im jeweiligen Plot. Mit anderen Worten: Der zentrale Plot profitiert nicht vom Subplot und umgekehrt trägt auch der Plot nichts zum Subplot bei.
Konkret könnte das im Beispiel von »Der Regenmacher« so aussehen:
Die Gerichtsverhandlung läuft sehr glatt, Protagonist Rudy fährt einen Teilsieg nach dem anderen ein (noch ein Punkt, den man leicht verbessern und den Roman dadurch stärker machen könnte). Dann, vor dem entscheidenden letzten Tag und seinem Schlussplädoyer – an dieser Stelle verlassen wir den Roman – ruft die verzweifelte Kelly bei ihm an. Nachdem sie schon mehrfach von Cliff ins Krankenhaus geprügelt wurde, will sie endlich die Scheidung. Sie bittet Rudy, zu ihr zu kommen. Was er tut. Obwohl er weder den Kopf noch die Zeit für Kelly hat. Er weiß, der geringste Fehler könnte ihm den so gut wie sicher geglaubten Sieg gegen die Anwälte von Great Benefit noch nehmen. Er braucht Zeit zum Nachdenken, muss sich ausschlafen und auf den Fall konzentrieren. Doch er liebt Kelly und so hilft er ihr, ihre Sachen aus der Wohnung zu schaffen. Sie werden von Cliff überrascht. Cliff geht auf Rudy los, will ihn töten. Rudy entreißt dem angetrunkenen Cliff den Softballschläger und schlägt ihm den Schädel ein.
Und jetzt steht Rudy blutbesudelt da, nur wenige Stunden vor seinem Schlussplädoyer und einem Fall, der in die Schlagzeilen kommen, ihn zu einem Staranwalt erheben und reich machen wird. Und vor ihm liegt eine Leiche, die er selbst zu einer gemacht hat.
Selbst wenn Sie den Roman nicht gelesen haben, erahnen Sie, wie spannend dieser Moment, ja, die ganze Szene mit Kelly hätte werden können. Wenn Grisham sie nur in den zentralen Plot hineingewoben hätte.
Sehen Sie sich daraufhin mal Ihren eigenen Roman an. Haben Sie – nicht nur am Ende, sondern auch zwischenzeitlich – Stellen, an denen nur ein Plot läuft? Können Sie die Plots so gegeneinander verschieben, dass sie sich zeitlich ineinander verschränken? Dass sie ihre spannendsten Momente nicht isoliert durchlaufen, sondern gemeinsam?
Sie können diese Idee nicht nur auf Plots und Subplots anwenden, sondern auch auf einzelne Spannungsfäden wie etwa ein Geheimnis. Könnten Sie die Enthüllung des Geheimnisses so weit verschieben, dass sie mit einem anderen großen Moment in einem anderen Spannungsfaden zusammenfällt?
Auch in Ihrem Roman gibt es Stellen, die Sie ohne viel Aufwand und schlicht durch ein Schieben von Subplots, Erzählsträngen oder Spannungsfäden stärker machen können. Es lohnt sich.
Stephan Waldscheidt
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