Schreibt-Tipp: Klischees in Sprache und Inhalt – vermeiden und nutzen (Teil 1 von 2)

Auch ein Klischee - und trotzdem schön...

Autoren sollen Klischees meiden wie der Teufel das Weihwasser. Diese Aussage ist längst selbst ein Klischee, ein inhaltliches. Aber auch das Bild vom Teufel und dem Weihwasser ist schon lange ein Klischee, ein sprachliches. Was Klischees sind, wann Sie sie vermeiden und wann und wie Sie sie nutzen sollten, sehen wir uns in diesem und dem nächsten Artikel genauer an.

Klischees des Inhalts finden sich dann, wenn Handlung oder Charaktere selbst zum Klischee erstarrt ist, wenn sich also Inhalte finden, die schon andere schon oft verwendet haben: Der Serienkiller, der seine Leichen arrangiert, um dem Ermittler eine Botschaft zu senden. Der arme Bauernbursche, in dem verborgene magische Talente schlummern, die ein alter und weiser Mentor ihm erklärt. Das Zehn-kleine-Schwarzafrikanerlein-Prinzip bei Horrorgeschichten, wo einer nach dem anderen abgemurkst wird, bevorzugt beim Hinabgehen der Kellertreppe. Die Romanze, bei der eine kleine Lüge zu Anfang zu immer größeren Konsequenzen führt und zunehmend schwerer zuzugeben ist.

Klischees und Bewährtes sind nicht immer leicht voneinander abzugrenzen. So mag mancher Purist und hochseriöse Literat behaupten, auch die Drei-Akte-Struktur mit ihren diversen Wendepunkten sei ein Klischee, und zwar ein Klischee der Form. Ist das so? Für mich nicht. Denn ein Klischee bedeutet eben auch, dass etwas auf originelle Weise besser funktioniert (etwa das Rühren von Lesern, was ja tatsächlich, siehe unten, ohne Klischee besser funktioniert). Aus einem Klischee auszubrechen, sollten Sie eben nur dann erwägen, wenn es dem Text gut tut.

Klischees der Sprache begegnen uns vor allem in Bildern wie Vergleichen (»er hat Nerven wie Drahtseile«) und Metaphern (»sie ist ein Fels in der Brandung«) oder in Adjektiv-Substantiv-Kombinationen (»engelsgleiche Geduld«, »souveränes Auftreten«, »weiches Herz«). Selbst Klischees lassen sich untereinander kombinieren, zu Super-Klischees wie »sie ist ein kalter Fisch«.

Klischees waren irgendwann einmal originell. Mit der Zeit und der dauernden Verwendung haben sie sich abgenutzt. Manche werden vom Leser gar nicht mehr wahrgenommen – die übelsten Klischees nehmen nur noch Platz auf der Seite weg, sie haben jede Bedeutung eingebüßt. Klischees sind Geistertext, den nur der Autor sieht. Für den Leser aber ist er unsichtbar.

Klischees beschreiben das, was dem Leser von ganz allein in den Kopf kommt. Klischees sorgen für Bestätigungsprosa. Den Bildern im Kopf des Lesers wird nicht hinzugefügt. Stattdessen werden sie tiefer eingedrückt: Das Klischee ist ein Trampelpfad für unsere Gedanken und inneren Bilder.

Die treffenden Wörter bewegen einen Text. Und sie bewegen den Leser. »Bittere Tränen« aber haben längst jeden Geschmack verloren, eine Frau, die jemand »zum Anbeißen« findet, ist schon lange nicht mehr bissfest, und ein Mädchen, mit dem man früher noch »Pferde stehlen« konnte, erweist sich inzwischen als genauso unzuverlässig wie die Freundinnen.

Klischees entstehen vor allem aus einem Grund: Faulheit des Autors. Sie oder er greift auf die Variante zurück, die als erstes in den Sinn fällt. Das nämlich ist so fies an Klischees: Durch ihre Penetranz sind sie permanent im Autorenhirn präsent. Und zwar in jedem. Ja, auch in Ihrem. Und das tausendfach. Autoren sind Klischeeverbrecher.

Klischees geben dem Leser nichts Neues mit auf den Weg, keine neuen Bilder, keine neuen Ideen und erst recht keine noch unbekannten, weil sehr individuell auf die Romanfigur zugeschnittenen Gefühle.

Weil sie Überraschungen im Keim ersticken (noch so ein Klischee, das mit dem erstickten Keim, das mir automatisch in die Tastatur geflossen ist), fehlt es klischeehaften Texten oft an Spannung. Alles im Text läuft nach Plan, mustergültig und öde.

Ohne starke, eigenständige Bilder aber dämpfen Klischees auch Emotionen. Die einzigen Emotionen, die sie erzeugen, sind eine nostalgische Idee von erlebten Gefühlen im Leser. Brechen Sie aus dem Klischee aus, reißen Sie diese Watte vom Leser weg und schließen ihn direkt kurz mit den ganz eigenständigen, weil klischeefreien Emotionen Ihrer Charaktere.

Klischees zersetzen einen Text. Aber der Autor kann sie auch für sich nutzen. Voraussetzung, wie so oft beim Schreiben: Er oder sie weiß, was sie da tut.

Darüber mehr im zweiten Teil des Artikels, hier in zwei Wochen.

Stephan Waldscheidt

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