Wer die Sprache nicht beherrscht, wird von ihr beherrscht. Als Autor müssen Sie die Kontrolle über all ihre Werkzeuge behalten – dazu gehört Ihre Muse ebenso wie Ihre Sprache. Einen Roman zu schreiben, ist keine Aufgabe aus dem Deutschunterricht. Ihre alte Deutschlehrerin mag Germanistik studiert haben und von Possessivpronomen besessen sein (alter Deutschlehrerwitz). Sie aber sollten die gute Frau schwindlig erzählen können. Anders gesagt: Ihr Maß ist der Leser, nicht die Grammatik. Wenn ein Aufweichen oder sogar ein Brechen der Regeln der Geschichte besser dient – dann weichen Sie die Regeln eben auf, wenn es sein muss, schlagen Sie sie kurz und klein.
Übersetzer von Romanen stehen vor der Herausforderung, die Geschichte in ihre Muttersprache zu übertragen und sich zugleich an den Originaltext und an die Grammatik zu halten. Ihr Nachteil: Diese Übersetzer sind stärker an beides gebunden als Sie, der Sie einen Roman als Urheber verfassen. Das vorweg, denn unser Beispiel stammt aus einem übersetzten Roman, aus Arne Dahls »Gier«, einem Thriller, den Anke Rieck-Blanckenburg aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt hat (Verlag: Piper 2013).
Zwei kleine Wörtchen daraus sehen wir uns genauer an. Durchaus korrekt verwendet stemmen sie sich dem Lesefluss immer wieder gerne entgegen.
Sie nahm sich unnötig viel Zeit, um ihre Unterlagen auszupacken, und hoffte inständig darauf, dass der Chef endlich hereinkommen würde.
Hier haben wir beide Störenfriede im selben Nebensatz. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit zunächst auf das letzte Wort im Satz – würde.
Halten wir uns nicht mit der Grammatik dieser Konjunktivform von werden auf. Würde stört hier aus einem einzigen Grund: Es verlangsamt, ja, verholpert den Satz. Mit drei Kommas ist der Satz sowieso schon eine Holperstrecke. Da sollte zumindest die Wortwahl das Lesen erleichtern. Denken Sie daran: Ihnen geht es beim Schreiben darum, dem Leser ein intensives Erlebnis zu verschaffen. In einem Genretext wie Dahls Thriller möchten Sie den Leser in Ihre Welt eintauchen lassen und ihn ein paar Stunden dortbehalten. Denken Sie auch daran: Sie lesen hier nur ein Beispiel. Für sich genommen, stört der winzige Holperer durch das würde darin kaum. Nun aber zoomen Sie heraus auf den kompletten Roman. Das ist wie bei Google Earth: überall poppen weitere Markierer auf, hier in Dahls Text eben in Form von Holperfallen.
Die Lösung für das Problem ist simpel:
Sie nahm sich unnötig viel Zeit, um ihre Unterlagen auszupacken, und hoffte inständig darauf, dass der Chef endlich hereinkam.
Zack! Spart ein Wort, entholpert den Satz. Und hat gar nicht wehgetan.
Kommen wir zu Störwort Nummer zwei.
Sie wusste, dass sie manchmal sehr unhöflich sein konnte, wenn sie genervt war oder ihr jemand zu nahekam.
Was stört Sie in diesem Satz? Nichts? Lesen Sie ihn genauer, lesen Sie ihn laut. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Geigenbauer und ihre Finger glitten über den rohen Korpus des Instruments. Was würden Sie wegschmirgeln?
Wie wäre es mit dem dass?
Das Störende an dieser Konjunktion ist in vielen Fällen, dass (!) sie einen harten Keil zwischen zwei Sätze treibt. Das fällt besonders beim Lautlesen auf. Da die meisten Leser »still« mitlesen, betrifft dieses Problem eben auch das Lesen eines Romans. Zudem zwingt das »dass« das* Verb ans Ende des Satzes, was für ein spätes Verständnis seines Inhalts sorgt – gerade bei langen Sätzen ist das ein Problem.
Auch hier ist die Lösung simpel:
Sie wusste, sie konnte manchmal sehr unhöflich sein, wenn sie genervt war oder ihr jemand zu nahekam.
Das Ergebnis ist kürzer und eleganter und trotzdem grammatikalisch** korrekt.
Kehren wir zu unserem ersten, korrigierten Beispielsatz zurück.
Sie nahm sich unnötig viel Zeit, um ihre Unterlagen auszupacken, und hoffte inständig darauf, dass der Chef endlich hereinkam.
Auch hier findet sich ein dass. Könnte man auch dieses »dass« ersetzen? Sollte man es?
Eine Möglichkeit:
Sie nahm sich unnötig viel Zeit, um ihre Unterlagen auszupacken, und hoffte inständig, der Chef käme endlich herein.
Der Satz ist kürzer, bleibt durch den Konjunktiv käme jedoch sperrig. In einem solchen Fall hilft es manchmal, von dem Satz zurückzutreten und nach einer anderen Lösung zu suchen. Die könnte hier aus der Erzählperspektive kommen. Denn der letzte Nebensatz ist indirekte Rede, genauer: ein indirekter innerer Monolog der Protagonistin Jutta Bayer.
Eine Lösung wäre, aus dem indirekten inneren Monolog einen direkten zu machen:
Sie nahm sich unnötig viel Zeit, um ihre Unterlagen auszupacken. Hoffentlich kam der Chef endlich herein!
Diese Variante macht den Text nicht nur eleganter, sondern auch lebendiger. Der Leser steckt sowieso in der Perspektive von Jutta Bayer (obwohl Dahl die in der Szene nicht konsequent durchhält). Wieso ihm dann nicht einen direkteren Zugang zu den Gedanken der Protagonistin gewähren?
Und weil wir gerade beim Redigieren sind, zum Abschluss meine Variante des Satzes, im direkten Vergleich zur Ursprungsvariante:
Sie nahm sich unnötig viel Zeit, um ihre Unterlagen auszupacken, und hoffte inständig darauf, dass der Chef endlich hereinkommen würde.
Sie nahm sich Zeit, ihre Unterlagen auszupacken. Hoffentlich kam der Chef endlich herein!
20 Wörter mit 136 Anschlägen werden zu 13 Wörtern und 90 Anschlägen. Hochgerechnet (was man natürlich so nicht ernsthaft machen kann) würde das den Roman von ursprünglich 500 Seiten auf 330 Seiten kürzen – die sich dann auch noch wesentlich flotter lesen lassen!
Schreiben ergibt einen Text. Überarbeiten ergibt einen guten Text.
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*) Sorry, aber das mit den drei das/s am Stück musste ich einfach mal ausprobieren. Schlimm, oder?
**) Wann verwendet man eigentlich »grammatikalisch« und wann »grammatisch«? Grammatikalisch ist etwas, wenn es sich auf die Grammatik bezieht. Daher heißt es im Beispiel oben korrekt »grammatikalisch«. »Grammatisch« ist etwas dann, wenn es selbst Grammatik ist. Die Deklination (Beugung) beispielsweise ist immer grammatisch, sie kann aber grammatikalisch richtig oder grammatikalisch falsch sein.
Stephan Waldscheidt
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