Alison Baverstock hat im britischen Guardian sehr hübsch zusammengefasst, welche Veränderungen das Self Publishing der Buchbranche insgesamt gebracht hat, gerade bringt oder noch bringen wird. Lesen Sie den Text bitte selbst, es lohnt sich: Ich bin erst selten auf so eine kompetente Zusammenfassung gestoßen.
Für eilige Leser deshalb hier nur eine kurze Zusammenfassung der zehn Thesen: Wir wissen (1) mehr über den Veröffentlichungsprozess und dass (2) Verlage nicht allwissend sind. Lektoren (3) und Luxus-Editionen (4) sind wertvoll. Die Rollen von Autor (5) und Literaturagent (6) ändern sich. Neue Geschäftsmodelle (7) entstehen. Self Publishing ist als Mittel zur Selbstverwirklichung (8) ebenso anerkannt wie als Werkzeug zum Geldverdienen (9) und zum Glücklichwerden (10).
Genug gerast – hier nun einige Realitäten, die sich durch eBooks und das Self Publishing bisher nicht geändert haben und vielleicht auch nie ändern werden. Ich schicke ausdrücklich voraus, nur damit keine Missverständnisse entstehen: Ich bin ein absoluter Fan des Self Publishing (sonst würde ich auch kaum dieses Blog schreiben). Doch die Wirklichkeit ist mir allemal lieber als der Hype, den manche Akteure entfachen.
1. Die Verlage werden nicht sterben. Egal ob als heimliche Hoffnung geäußert oder als geheime Angst verschwiegen – die Verlage sterben nicht. Es wird in Zukunft sogar mehr Verlage geben als bisher. Doch das werden keine unbeweglichen Riesen mehr sein, die jede Veränderung zu blockieren suchen, sondern kleine, flexible Einheiten, die sich über neue Trends freuen und zum eigenen Nutzen und zu dem des Lesers einsetzen. Vielleicht werden sie sogar von Self Publishern gegründet, die sich zusammenfinden, um von Dienstleistern bessere Konditionen und vom Buchhandel besseren Zugang zu erlangen.
2. Nicht jeder Autor wird zum Self Publisher. Die meisten Autoren können eines am besten: Schreiben. Notgedrungen übernehmen sie auch andere Aufgaben, inklusive der Veröffentlichung ihrer Bücher, weil die Umstände sie dazu zwingen. Diese Umstände sind es, die sich ändern werden. Der Autor wird eine neue Wertschätzung erleben von Verlagen, die sich als Dienstleister begreifen. Ich schätze, dass am Ende dieses Prozesses vielleicht noch jeder fünfte Autor als Self Publisher erfolgreich sein wird (Hobbyautoren nicht mitgerechnet). Aber wenn ein Titel sich für den Verlag nicht mehr rechnet, wird es zum Standard werden, dass der Autor seine Rechte nutzt, und das Buch selbst via Amazon & Co. verkauft.
3. Die Versuchung, Verlagsautor zu sein, wird nicht schwinden. Geld zu verdienen ist nicht die einzige Motivation der meisten Autoren, oft sogar die kleinere. Der Name eines renommierten Verlags auf dem eigenen Buch, die Erwähnung im Feuilleton, der Stapel eigener Bücher neben der Kasse des Händlers – unter den richtigen Bedingungen wären wohl die meisten Self Publisher bereit, zu einem Verlag zu wechseln. Selbst wenn sie dann nur noch 10 statt 70 Prozent der Erlöse kassieren.
4. Die eBook-Läden werden nicht von Ramsch überschwemmt. Die Befürchtung ist unbegründet, dass durch die besondere Einfachheit des Self Publishing bald in der Flut von Spam-eBooks und unredigierten Ergüssen die wirklichen Perlen nicht mehr zu finden sein werden. Leser sind nicht dumm, sie erkennen ein professionelles Produkt. Und Self Publisher (müssen) lernen, professionelle eBooks herzustellen. Die Filter-Mechanismen der Anbieter – Leser-Rezensionen, Likes, Data-Mining im allgemeinen – werden zusätzlich dafür sorgen, dass der Müll unsichtbar bleibt (dass in den Charts kommerzielle Massenware dominiert, ist dem Self Publishing nicht anzulasten).
5. Der stationäre Buchhandel wird keine eBooks verkaufen, jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang. Das tut mir besonders leid, denn ich mag den Buchhändler um die Ecke. Doch die Idee, ihn aufzusuchen, um mir von ihm persönlich ein eBook empfehlen und auf den eReader spielen zu lassen, ist ausgesprochen skurril. Der Prozess ist selbst für computerunerfahrene Nutzer einfach genug, die Bequemlichkeit des Sofas vorzuziehen. Den Plattenläden ging es ähnlich – nicht mal Ketten wie WoM haben es geschafft, ein MP3-Downloadangebot zu etablieren. Trotzdem kann auch der unabhängige Buchhändler vom Self Publishing profitieren. Wenn er schlauer als Hugendubel & Co ist. Wenn er seinen Kunden die Welt der von Self Publishern veröffentlichten gedruckten Bücher eröffnet (die es im Buchhandel traditionell schwer haben). Wenn seine Kunden, weil er sich auskennt und den Markt beobachtet, bei ihm großartige Bücher finden, die keine Kette anbietet. Wenn er zumindest nicht erst einmal stöhnt, wenn er ein Print-on-Demand-Buch bestellen soll. Denn klar ist:
6. Das gedruckte Buch wird nicht sterben. Keine Chance. Das Papier wird nicht vom eBook abgelöst. Taschenbücher sterben aus, richtig. Aber schön gestaltete Bücher, die sich gut anfassen und gar nicht billig sein müssen, wird es ewig geben, ganz wie die Schallplatte. Lesen ist auch ein haptischer Prozess. Für Self Publisher wird es Print-on-Demand-Anbieter geben, die genau darauf setzen: Ausgesuchte Materialien, tolle Bindung, ungewöhnliche Formate – im Bereich der Fotobücher sieht man heute schon, in welche Richtung es geht.
7. Zuschuss-Verlage werden nicht sterben. Leider! Es gibt zwar bereits jetzt überhaupt keinen Grund mehr, die Veröffentlichung des eigenen Buchs teuer zu bezahlen. Doch die allermeisten heutigen Self Publisher gehören gar nicht zur Zielgruppe der Zuschuss-Verlage. So wie in Zukunft auf Kaffeefahrten weiterhin überteuerte Heizdecken an die Kundschaft gebracht werden, finden auch die Zuschuss-Verlage garantiert noch vertrauensselige Kunden.
8. Amazon wird nicht zum Monopolisten werden. Zugegeben, ich habe keine Zahlen, die das belegen. Doch ich weiß, dass Menschen, gerade die intelligente Variante, zu denen ich Leserinnen und Leser zähle, eine natürliche Abneigung gegen Monopole haben. Sie werden es erfrischend finden, mal bei einer anderen Marke einzukaufen. Keine Firma bleibt dauerhaft cool, das scheint auch Apple gerade zu spüren.
9. Das eBook wird ein Text-Medium bleiben. Auch wenn etwa in einem iBook Videos, Musik oder Bildergalerien möglich sind, wird sich die Natur des eBooks nicht ändern. Multimediale Erzählungen gibt es bereits – sie werden als Computerspiele verkauft. Leser wollen lesen. Klar – Self Publishing ermöglicht auch die Chance zu experimentieren. Das ist für die Beteiligten und Interessierte großartig. Aber diese Experimente werden eher nicht im Mainstream ankommen.
10. Es wird keinen übergreifenden eBook-Standard geben. Das macht (dem Kunden) aber nichts. Es schadet nicht, wenn mehrere Standards existieren. Denn DRM, dem Kopierschutz, der die problemlose Umwandlung vom einen zum anderen Standard verhindet, ist keine Zukunft beschieden. Bestes Beispiel sind Musik-Downloads: Die gibt es noch immer als AAC, MP3, WAV (für besonders hochwertige Musik) – doch seit die Industrie auf DRM verzichtet, beschwert sich niemand mehr darüber. eReader sind kleine Computer. Ein bisschen Rechenzeit, und das Format stimmt. Produzenten werden wohl leider damit leben müssen, mehrere Formate herzustellen. Aber das sind die Verlage mit Taschenbuch und Hardcover ja gewöhnt.
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