Sind 99 Cent zu billig, wie manche Autor*innen meinen? Liegt die Preisgrenze für E-Books bei 9,99 Euro, wie Amazon es sieht? Zur Preisfindung bei E-Books müssen Schreibende erst einmal grundsätzlich bereit sein, ihr Buch als Wirtschaftsgut zu sehen. Das ist es automatisch, wenn Sie damit Geld verdienen wollen – und es Ihnen nicht primär darum geht, möglichst viele Leser zu erreichen oder einen Beitrag zur Weltkultur zu leisten. Letzteres ist natürlich eine noble Angelegenheit, bei der der Preis beliebig hoch sein darf. Möglichst viele Leser*innen finden Sie, wenn der Preis so niedrig wie möglich liegt, beim E-Book also bei Null.
Die Argumentation beginnt dann (wir sind jetzt beim Ziel “Geldverdienen”) mit der Angebots-Nachfrage-Kurve. Je teurer ein Produkt ist, desto weniger Käufer*innen finden sich. Je billiger es ist, desto mehr werden es kaufen, aber desto geringer ist auch ihr Gewinn. Ihr Ziel muss es deshalb sein, das Produkt aus Verkaufspreis und Käuferzahl zu maximieren – also Ihren Gesamtgewinn aus dem Verkauf dieses Buches. Das Problem besteht nur darin, dass Sie den wahren Verlauf der Angebots-Nachfrage-Kurve gar nicht kennen. Sie wissen nicht, wie sich das Kaufverhalten ändert, wenn Sie den Preis halbieren oder verdoppeln. Selbst wenn die Fans beim letzten Mal auf bestimmte Art reagiert haben, kann es diesmal ganz anders sein. Sie können sich also lediglich mit Versuch und Irrtum auf der Kurve vor- oder zurücktasten: Sie beginnen knapp über Null (oder bei 100 Euro) und erhöhen (oder verringern) in mehreren Schritten so lange den Preis, bis das Produkt Preis*Verkaufszahl wieder abnimmt. Kurz vor dieser Stelle muss dann das Optimum liegen.
In der Praxis kann das aber problematisch sein. Wenn Sie mit einem zu niedrigen Preis starten, haben vielleicht schon alle potenziellen Käufer*innen zugegriffen, bevor Sie den optimalen Preis erreichen. Was wäre also ein guter Startpreis?
In einer idealen Welt sollte der Preis Ihres Buches dem Wert entsprechen, den der Käufer daraus zieht. Erika Mustermann zahlt 9 Euro für ein Kinoticket, das ihr zwei Stunden Unterhaltung verschafft. Mit Ihrem Buch kann sie sich zehnmal so lange unterhalten. Also sollte es ihr 90 Euro wert sein. Logisch? Ja. Aber Menschen aus Fleisch und Blut handeln oft gerade nicht logisch. Sie legen nicht den objektiven Wertmaßstab an, sondern einen sehr subjektiven. Sie fragen sich: Was ist mir dieses Buch wert?
Dieser empfundene Wert hängt durchaus auch vom tatsächlichen Wert Ihres Buches ab. Aber diesen “wahren” Wert kann der Käufer oft nur schwer einschätzen, er hat das Buch ja noch nicht gelesen. Deshalb versucht er, sich anderweitig einen Eindruck zu verschaffen, zum Beispiel anhand der Bewertungen anderer. Die gute Nachricht: Sie als Autorin oder Autor können die subjektive Preisempfindung verändern, ohne auch nur eine Zeile am Text des Buches auszutauschen! Diese Aufgabe nennt sich Marketing. Besitzt Ihr Buch ein professionelles Cover, und lockt der Klappentext? Wie viele Rezensionen hat es bereits? Hat der Kunde Ihren Namen schon einmal gehört (idealerweise in positivem Zusammenhang)? Diese Merkmale können Sie verändern und damit Ihrem Werk zu einem höheren subjektiven Wert verhelfen. Die schlechte Nachricht: Sie und der Käufer sind nicht allein auf der Welt. Auch die anderen Autoren betreiben Marketing. Der scheinbare Wert ergibt sich deshalb immer auch aus dem Konkurrenzumfeld, das in der Kategorie herrscht, in der Ihr Buch erscheint.
Auch das digitale Preisetikett, das Sie Ihrem Buch ankleben, spielt dabei eine Rolle. Wenn Sie Ihr E-Book gleich für 99 Cent auf den Marktplatz stellen, geben Sie damit ein bestimmtes Signal: Es ist billig (sagen die einen) – es ist preiswert (sagen die anderen). Es gibt Menschen, die überhaupt nur 99-Cent-Titel kaufen, und es gibt andere, die alles ablehnen, was weniger als 3 Euro kostet. Andererseits ist Ihnen auch nicht damit geholfen, gleich mit 99,99 Euro zu starten. Damit der Käufer einen derart hohen Preis akzeptiert, muss er vom subjektiven Wert überzeugt sein. Kennt er Ihren Autorennamen jedoch nicht, wird das nicht der Fall sein. Und selbst wenn er Ihren Namen schon kennt, wird er sich die Bücher ansehen, die im digitalen Regal neben dem Ihren stehen.
Wenn Sie sich all das überlegt haben, kommt der entscheidende Moment. Das ist der Augenblick, in dem sie sich von Ihrer Eitelkeit verabschieden müssen. Nein, Sie verschleudern Ihre Arbeit nicht, wenn Sie sie für 2,99 Euro statt für 8,99 Euro anbieten oder gar für 99 Cent. Ganz im Gegenteil: Wenn Sie mit einem zu hohen – oder besser: von Käufer*innen als zu hoch empfundenen – Preis dafür sorgen, dass Ihr E-Book nicht gelesen wird, dann und nur dann verschleudern Sie Ihre Arbeit. Was als zu hoch empfunden wird, ist dabei immer vom Umfeld und vom Produkt abhängig. In manchen Genres kann man heute leicht mit 4,99 € oder 5,99 € starten, in anderen, besonders kompetitiven, können sich das nur die Altstars leisten. Manche Sachbücher können sogar noch deutlich teurer sein, wenn sie denn ihren Lesern echten Nutzen liefern, der anderswo nicht zu finden ist.
Gibt es also eine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem richtigen Preis für Ihr Buch? Leider nicht.