Gut zu schreiben macht Arbeit. Das stimmt. Meistens. Eine Ausnahme stelle ich Ihnen hier vor. Das Einzige, was Sie dazu tun müssen, ist, einen kleinen Perspektivwechsel in Ihrem Kopf zu vollziehen. Und Ihr Roman wird um einen Quantensprung spannender.
Sehen wir uns das Ende einer Romanszene an:
Die Kugel zerriss ihm den Hemdsärmel und fetzte ein Stück Haut ab. Tom fiel die Pistole aus der Hand. Er fühlte sich wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Hilflos starrte er hinüber zu den Müllcontainern, den alten Matratzen, dem Autowrack, wo er die letzen Mündungsblitze gesehen hatte. Hatte er die Kugeln richtig mitgezählt? War die Waffe seines Angreifers tatsächlich leer? Er warf sich zu Boden und griff nach seiner Walther, ignorierte die Schmerzen und rutschte hinter den verrosteten Gabelstapler. Dort hörte er nur noch die Schritte des Aliens in der Gasse verhallen.
Den rechten Ärmel blutverschmiert schleppte Tom sich heim. Nach einem kurzen Blick in den Spiegel und einer sehr langen Dusche ließ er sich aufs Bett fallen. Noch so einen Tag würde er nicht überstehen. Aber er ahnte, dass der morgige Tag noch heftiger werden würde. Blutiger. Bevor er weiter darüber und über Muriels Worte nachgrübeln konnte, war er eingeschlafen.
Das Ende fühlt sich natürlich an. Weil es den Tag abschließt, weil unsere Tage ebenso enden. (Hoffentlich weniger blutig.) Und darum verwenden wir solche Enden von Szenen oder Kapiteln ganz automatisch. Das Pendant dazu ist die Szene oder das Kapitel, das mit dem Erwachen einer Romanfigur beginnt. Auch solche Anfänge finden Sie gefühlt in jedem dritten Roman.
Für den Leser jedoch ist ein solches Ende die Aufforderung, das Buch wegzuglegen. Die Spannung lässt nach, vorerst ist alles gut, und der Leser kann sich anderen Dingen widmen. Die Gefahr für die Romanfigur Tom mag für den Tag vorüber sein. Was in Gefahr gerät, ist der Roman. Denn wer sagt, dass sich der Leser nicht sehr vielen anderen Dingen widmet und das Weiterlesen immer weiter hinausschiebt – bis er es irgendwann vergisst und der Roman – Ihr Roman! – ungelesen bleibt? (Ein ungelesener Roman ist in den meisten Fällen sehr folgenreich. Bedeutet es doch, dass der Leser auch den anderen Romanen desselben Autors – Ihre Romane! – ebenfalls keine Beachtung mehr schenken wird.)
Was tun? Die Antwort ist einfach, die Umsetzung nicht so sehr: Sorgen Sie dafür, dass die Spannung nicht nachlässt. Aber, wenden Sie zurecht ein, braucht ein Roman nicht auch mal Pausen in der Spannungskurve? Die braucht er.*
An den richtigen Stellen.
Das nämlich ist der Knackpunkt. Viele Autoren folgen unbewusst dem als natürlich empfundenen Rhythmus von Spannung und Entspannung. Sie bauen in die Szenen eine Spannungskurve ein (was gut ist) und lassen die Spannung von Null auf hundert steigen – im Höhepunkt der Szene – und sie danach wieder auf Null abflauen – am Ende der Szene. Was nicht gut ist.
Wer aber sagt, dass Sie in Ihrem Roman diesem »natürlichen« Rhythmus folgen müssen? Sie sind der Herr Ihres Plots. Warum die Szene nicht an einer anderen Stelle unterbrechen? Etwa so:
Die Kugel zerriss ihm den Hemdsärmel und fetzte ein Stück Haut ab. Tom fiel die Pistole aus der Hand. Er fühlte sich wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Nächste Szene, die womöglich erst nach einer Szene mit einem anderen Protagonisten kommt:
Hilflos starrte Tom hinüber zu den Müllcontainern, den alten Matratzen, dem Autowrack, wo er die letzen Mündungsblitze gesehen hatte. Hatte er die Kugeln richtig mitgezählt? War die Waffe seines Angreifers tatsächlich leer? Er warf sich zu Boden und griff nach seiner Waffe, ignorierte die Schmerzen und rutschte hinter den verrosteten Gabelstapler. Bis er seine eigene Pistole aufgehoben hatte, hörte er nur noch die Schritte des Aliens in der Gasse verhallen.
Den rechten Ärmel blutverschmiert schleppte Tom sich heim. Nach einem kurzen Blick in den Spiegel und einer sehr langen Dusche ließ er sich aufs Bett fallen. Noch so einen Tag würde er nicht überstehen. Aber er ahnte, dass der morgige Tag noch heftiger werden würde. Blutiger. Bevor er weiter darüber und über Muriels Worte nachgrübeln konnte, war er eingeschlafen.
Hier haben Sie eine Szene, die auf einer spannenden Note endet – und die folgende Szene beginnt ebenfalls sofort spannend. Danach flaut die Spannung ab. Aber Sie haken sofort ohne Übergang ein:
Er schlief unruhig und erwachte von einem Klicken. Es war das unverkennbare Klicken eines Revolvers, dessen Hahn gespannt wurde.
Auf diese Weise haben Sie zwischenzeitlich die Spannung kurz abflauen lassen – der Leser kann durchatmen. Doch Sie entlassen ihn nicht in eine spannungslose Pause, sondern packen ihn sofort wieder am Kragen. Bis zum nächsten, spannungsgeladenen Szenen-Ende …
*) Genau genommen sollte die Spannung nie nachlassen. Jede Szene sollte mehrere Spannungskurven parallel haben. Wenn eine Kurve sinkt (etwa der Subplot »Pistole«), sollte eine andere (etwa der Subplot »Alien«) an der Stelle hoch sein.
Stephan Waldscheidt
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