Autoren-Tipp: Sorry, Ihr Roman oder Sachbuch ist noch nicht so weit!

Wann Sie wissen, ob Ihr Buch fertig zur Veröffentlichung ist.

Der größte Fehler, den Autoren machen können, hat nicht mal was mit dem Roman oder Sachtext direkt zu tun, den sie schreiben. Schuld daran sind drei Dinge: Amazon, ihre Ungeduld und ihre mangelnde Erfahrung.

Die Einfachheit und Schnelligkeit von Amazons Kindle Direct Publishing, die Ungeduld jedes Autors, sein Werk endlich fertigzustellen und einem Publikum zu präsentieren und seine oder ihre mangelnde Erfahrung, all das zusammen sorgt dafür, dass die meisten Selfpublisher ihre Bücher zu früh veröffentlichen. Viel zu früh.

Sorry, Herr und Frau Verlagsautor, auch Sie sind betroffen. Was beim Selfpublisher das Klicken auf den Speichern-und-veröffentlichen-Button ist, ist beim Autor auf Verlagssuche das Einwerfen des an einen Verlag adressierten Exposés in den Briefkasten, das Absenden einer Mail an einen Literaturagenten oder das kalte Ansprechen eines Verlagsmitarbeiters auf einer Buchmesse.

Alles geht so einfach und schnell – und wie schnell ist schon wieder eine Chance vertan. In vielen Fällen die einzige.

Das ist kein Kavaliersdelikt, nichts, was Sie mit einem Schulterzucken abtun sollten. Stellen Sie sich vor, Mercedes würde sein neues E-Klasse-Modell auf den Markt bringen, bevor die Sitze und Gurte drin sind, bevor der Motor verschraubt und die Software installiert wurde. Würde Sie mit so einem Auto fahren wollen? Würden Sie als Händler ein solches Produkt Ihren kritischen Stammkunden anbieten? Würden Sie als Autozeitschrift bei Ihren Tests diesem Auto Bestnoten verleihen? Natürlich nicht. Ihren Lesern geht es genauso, den Agenten, den Verlagen, sogar den Medien, denen Sie Ihr Buch zur Besprechung anbieten.

Es gibt da einen Sinnspruch: »Für einen ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.« Das ist bei Ihnen als Autor im Buchmarkt nicht anders. Kein Lektor sieht sich ein Manuskript ein zweites Mal an, nachdem er es beim ersten Mal abgelehnt, kaum ein Agent tut das und kaum ein Leser, den Sie mit Ihrem ersten Buch oder der ersten Fassung dieses Buchs enttäuscht haben. Leser sind da, erstaunlicherweise, vielleicht noch kritischer als Verlagsmenschen. Dort dürfen Sie ein neues Projekt anbieten und haben dieselben Chancen. Doch ein Leser, dessen erster Leseeindruck von Ihren Werken ein schlechter ist, wird sich sehr wahrscheinlich kein zweites Buch antun, das Ihren Namen trägt. Selbst dann nicht, wenn dieses Buch um Klassen besser sein sollte. Denn besagter Leser wird diese Verbesserung ja nie bemerken, wenn er Ihren Büchern fernbleibt. Noch geringer sind die Chancen, die für Sie das Selfpublishing mit so attraktiv machen: ein veröffentlichtes Buch gründlich zu überarbeiten und neu zu publizieren. Kein Leser fasst das gleiche Buch ein zweites Mal an, wenn es ihn beim ersten Mal enttäuscht hat. Selbst bei Ihrem Ehepartner oder Ihrer Mutter dürften Sie damit nur schwer durchkommen. Bei einem Wildfremden …?

Sobald Sie sich auf den Buchmarkt begeben, stehen Sie in direkter Konkurrenz zu J. K. Rowling, Stephen King, Martin Walser oder Bob Dylan. Deren Bücher sind ebenso schnell gekauft wie Ihrs. Dass es da draußen sehr viele Leser mit sehr niedrigen Ansprüchen gibt, sollte Sie nicht beruhigen.

Ihr Buch ist noch nicht bereit. Diesen Satz stelle ich mal hier so in den Raum, weil ich weiß, dass er in 95 % der Fälle zutrifft. Das ist eine konservative Schätzung. Die Tatsache, dass es Leute gibt, die Ihr unfertiges Werk gut finden, sollte Sie darüber nicht hinwegtäuschen.

Wann aber ist Ihr Buch so weit? Eine einfache Antwort darauf kann Ihnen niemand geben, auch ich nicht. Was ich für Sie habe, sind Anhaltspunkte und Denkanstöße:

  • Ist der Roman Ihr erster Roman? Dann, so hart es klingt, ist er vermutlich nie so weit. Die wenigsten Autoren schreiben mit ihrem ersten Werk etwas, was veröffentlicht werden sollte. Weil das Schreiben von Büchern ebenso Übung und Erfahrung und Nachdenken und Zeit braucht wie die meisten anderen Kunstformen, Handwerke, Sportarten.
    Niemand erwartet von einem Pianisten, dass er nach einem Jahr fleißigen Übens gut genug ist, in der Alten Oper in Frankfurt ein Solokonzert zu geben. Auch dann nicht, wenn seine Mutter findet, »Sohnemann, ich bin so stolz auf dich!« Selbst viele von Ihnen, die über dieses Beispiel schmunzeln, erwarten, dass ihr Erstlingswerk sofort bei Droemer-Knaur, Luchterhand oder Suhrkamp erscheinen müsste. Schließlich haben sie ein Jahr hart daran gearbeitet.
  • Wie intensiv haben Sie sich mit dem Schreibhandwerk befasst? Schreibratgeber nicht nur gelesen, sondern studiert, sich inspirieren lassen, das Gelernte angewandt? Wie oft diskutieren Sie Ihre Texte mit Kollegen? Bilden Sie sich auch dann noch fort, wenn Sie schon einige Bücher publiziert haben?
    Neins und Ähms und »Nicht-so-sehr«? Dann ist Ihr Roman noch nicht reif zur Veröffentlichung.
  • Haben Sie den Roman vor dem Schreiben ausführlich geplottet? Plotten ist (auch) Überarbeiten der großen Dinge, bevor Sie mit dem Schreiben anfangen – sprich: Es erspart Ihnen einige Überarbeitungsdurchgänge. Falls Sie ihn nicht geplottet haben: Wie oft haben Sie ihn überarbeitet? Immer mal wieder beim Schreiben, danach einmal die großen Dinge, einmal die Kleinigkeiten und schließlich einmal Korrektur gelesen?
    Ohne den Text zu kennen, behaupte ich: Dann ist Ihr Roman noch lange nicht gut genug. Gut wird ein Roman erst beim Überarbeiten. Vergleichen Sie, wie oft Drehbücher in Hollywood überarbeitet werden, bevor man sie verfilmt. Fünfzig Mal, sechzig Mal sind die Regel. Und das meist von mehreren erfahrenen Drehbuchautoren und Skriptdoktoren, die schon Dutzende Skripte an die großen Studios verkauft haben. Was verleitet Sie zu der Annahme, Sie wären besser als diese Damen und Herren?
  • Haben Sie intensiv sich mit Struktur und Dramaturgie befasst? Und folgt Ihr Roman einer bewährten Plotform wie der Drei- oder Fünf-Akte-Struktur? Den acht Sequenzen oder der Heldenreise? Nein? Oh. Was wissen Sie, was Shakespeare nicht wusste? Was können Sie besser als Jeffery Deaver, Gillian Flynn, J. K. Rowling, T. C. Boyle?
  • Hat Ihr Buch ein klares Konzept? Ein Thema? Schreiben Sie es jetzt – ja, jetzt – auf ein Blatt Papier. Wenn Sie dafür länger als drei Minuten brauchen, ist Ihr Buch noch nicht reif für eine Veröffentlichung.
  • Wie viele Leute haben Ihren Roman gelesen, die Sie nicht näher kennen? Wie viele von denen sind von dem Roman begeistert (ich meine begeistert wie in »Funkeln in den Augen, Geifer im Mundwinkel, ›ich will mehr!‹«)? Wie viele erfahrene Kollegen oder Lektoren haben den Roman gelesen und konstruktiv kritisiert?
    Falls Sie hier mit einem »Ähm« antworten, ist Ihr Roman noch lange nicht fertig.
  • Lektorat? Korrektorat? Buchtitel? Buchcover? Buchsatz?
  • Haben Sie schon etwas in diesem Genre (!) in einem Verlag veröffentlicht? Haben Sie den einen oder anderen Literaturpreis gewonnen? Dann gibt es da draußen Leute, die Ihre Schreibe schätzen. Das ist ein gutes erstes Fundament. Mehr aber auch nicht. Lorbeeren sind zum Ausruhen ungeeignet (sie piksen), egal wie viele Sie geerntet haben.
  • Haben Sie als Selfpublisher schon einen Roman oder mehrere Romane publiziert, die jeweils mehr als tausend Leser gefunden haben? Dann ist entweder Ihr Marketing klasse, Ihre Zielgruppenansprache passgenau oder Ihre Romane sind tatsächlich gut. Wie oft haben Sie die überarbeitet? Tun Sie es noch häufiger. Oder wollen Sie Ihre Leserschaft nicht vergrößern? Je mehr Leser Sie gewonnen haben, desto mehr müssen Sie sich anstrengen, diese Leser zu halten und neue zu gewinnen. Denn die Erwartungen sind gestiegen und sie steigen weiter.
  • Haben Sie sich als Autor im Vergleich zu Ihrem letzten Buch spürbar weiterentwickelt? Dann ist es wahrscheinlich zu früh. Denn wer sich spürbar entwickelt, steht meist noch am Anfang der Lernkurve. Lernen Sie noch mehr, bevor Sie Ihr Buch auf den Markt werfen. (Sie könnten einen arglosen Leser damit treffen.)

Geben Sie den Verlockungen des so einladend gelben Buttons »Speichern und veröffentlichen« nicht so schnell nach, zügeln Sie Ihre Ungeduld und sammeln Sie mehr Schreiberfahrung, bevor Sie sich in den Buchmarkt wagen.

Die Leser wollen kein unfertiges Auto, sondern eins, das sie bequem und sicher die tausend Kilometer in den nächsten Urlaub trägt, sie wollen kein unreines Erz, sie erwarten zurecht nicht weniger als pures Gold.

Haben Sie noch mehr Ideen? Dann bitte rein damit in die Kommentare.

Stephan Waldscheidt

Verführt Ihr Verlagsanschreiben Lektoren zum Blick ins Exposé? Überzeugt die Leseprobe Ihres Romans Lektoren und Agenten? Trägt Ihr Plot Ihren Roman? Wenn nicht, ist weitere Arbeit daran gefährliche Zeitverschwendung. Auch Selfpublisher brauchen einen funktionierenden, mitreißenden Plot. Das Buch zum Plot: http://j.mp/1M9tGq0

Mein persönliches Gutachten für Sie gibt Antworten und unterstützt Sie bei Verbesserung und Optimierung: http://j.mp/1wPSXJ2