Im Sommer hat Amazon mit PageFlip auf Kindles und in den Kindle-Apps ein neues Feature eingeführt, mit dessen Hilfe Leser schneller durch E-Books navigieren können. Dazu aktiviert man zuerst das Menü, dann kann man im unteren Drittel auf ein Vorschau-Symbol tippen – und PageFlip öffnet eine verkleinerte Vorschau der aktuellen Seite. Nun kann man schnell blättern, vor und zurück, oder noch schneller über eine Laufleiste navigieren. Kindle oder Kindle-App bleiben dabei auf der aktuellen Seite, bis man auf eine Vorschau-Seite tippt. Schließt man PageFlip, ohne auf eine Vorschau-Seite zu tippen, bleibt der Lesestatus auf der aktuellen Seite.
Folgendes Szenario macht nun gerade im Netz die Runde: Ein Nutzer aktiviert PageFlip und liest auf der Vorschauseite bis zum Ende des Buches. Dabei verändert sich der aktuelle Lesestatus nicht. Das Problem, wie es im Netz geschildert wird: der Autor des E-Books bekommt die in PageFlip gelesenen Seiten nicht für KindleUnlimited angerechnet!
Das PageFlip-Experiment
Was steckt dahinter? Mit der Hilfe einiger Nutzer (Danke!) konnte ich das gründlich testen. Ich habe mir dafür einige selten gelesene KU-Titel nennen lassen, damit die Auswirkungen des Tests nicht verwischen. Mit den Titeln bin ich dann unterschiedlich verfahren:
- Per KU laden, nicht lesen
- Per KU laden, einmal öffnen
- Per KU laden, komplett lesen
- Per KU laden, 10 Seiten auf Kindle lesen, PageFlip aktivieren, bis zum Schluss blättern, Buch verlassen
- Per KU laden, 10 Seiten auf Kindle-App lesen, PageFlip aktivieren, bis zum Schluss blättern, Buch verlassen
- Per KU laden, 10 Seiten auf Kindle lesen, PageFlip aktivieren, bis zum Schluss blättern, Pageflip verlassen
- Per KU laden, 10 Seiten auf Kindle-App lesen, PageFlip aktivieren, bis zum Schluss blättern, Pageflip verlassen
Der Unterschied zwischen 4/5 und 6/7 lag darin, dass ich bei 4/5 ins Hauptmenü gegangen bin, ohne auf die letzte Vorschau-Seite zu tippen. Bei 6/7 hingegen bin ich durch Antippen der letzten Seite in PageFlip zuerst ins Buch zurückgekehrt, um dann ins Hauptmenü zu wechseln. Dabei wird die Leseposition aktualisiert, als hätte ich die letzte Seite direkt aufgerufen.
Das Ergebnis war interessant – und ein bisschen widersprüchlich. Anscheinend reagiert Amazons Algorithmus nicht ganz konsistent. Das deutet bei Technik oft darauf hin, dass diese “am Anschlag” läuft (Sie kennen diese kleinen Aussetzer, für die die Werkstatt keine Ursache findet, wenn Sie schon mal ein 15 Jahre altes Auto gefahren sind). Milliarden Seiten zu zählen, scheint nicht so trivial zu sein. Doch zuerst einmal die Ergebnisse, wo der Algorithmus funktioniert hat:
- Ranking verbessert sich
- Ranking verbessert sich, 1 gelesene Seite
- Ranking verbessert sich, viele* gelesene Seiten (* je nach KENPC-Zahl des E-Books)
- Ranking verbessert sich, 7 – 9 gelesene Seiten
- Ranking verbessert sich, 7 – 9 gelesene Seiten
- Ranking verbessert sich, viele* gelesene Seiten
- Ranking verbessert sich, viele* gelesene Seiten
Es spielt also keine Rolle, ob jemand auf dem Kindle oder in der App liest: Die in PageFlip gelesenen Seiten werden jeweils nur dann erfasst, wenn der Nutzer am Schluss die Vorschauseite antippt, also wieder im Buch landet. Die Leihe wirkt sich in jedem Fall positiv auf das Ranking aus.
Wo gab es Inkonsistenzen? Einmal hat sich bei Testmethode 1 das Ranking nicht verbessert. Einmal wurden bei Methode 3 auch nach 24 Stunden keine gelesenen Seiten registriert (hat mit PageFlip also nichts zu tun). Einmal wurde nach Methode 2 keine gelesene Seite registriert.
Die Verbesserung des Rangs fiel ebenfalls sehr unterschiedlich aus. Die Anzahl der Testbücher reichte nicht, hier ein Muster zu erkennen. Die Test-E-Books hatten zuvor alle ungefähr zwischen 150.000 und 900.000 gelegen. Einen Tag später erreichten sie – offenbar durch eine einzige Ausleihe – einen Rang zwischen 33.000 und 38.000. Der konkrete Rang hing aber nicht in erkennbarer Weise von der Position vorher ab, und es war auch kein Einfluss von Preis oder Anzahl gelesener Seiten auszumachen. Hier werde ich noch genauer testen müssen, mit mindestens 10 Titeln pro Preisklasse und verschiedenen gelesenen Seitenzahlen.
Was bedeutet das PageFlip-Problem für Autoren?
Ich mag diese Antwort nicht, aber sie lautet: Das hängt davon ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand auf dem Kindle (!) ein komplettes Buch mit aktiviertem PageFlip liest, ist gering. Probieren Sie es selbst – durch die verringerte Schriftgröße ist das Lesen sehr unbequem, selbst auf den scharfen Displays der aktuellsten Kindle-Modelle. Anders sieht das jedoch in den Kindle-Apps aus. Je größer der Bildschirm des Geräts, desto eher ist auch bei aktivem PageFlip genug zu erkennen, um die komplette Seite zu lesen. Schon mein 5-Zoll-Smartphone reicht, aber auf iPads (9,7 Zoll) oder auch den Fire-Tablets (6 bis 8 Zoll) braucht man PageFlip nicht mehr zu verlassen.
Was bedeutet das für die Zahl gelesener Seiten und damit die KU-Einnahmen? Das ist schwer zu sagen. Nur Amazon weiß, wie hoch der Prozentsatz der Kindle- und App-Leser ist und wieviele der App-Leser tatsächlich auf PageFlip zugreifen bzw. PageFlip als neues Feature überhaupt schon entdeckt haben. Falls 90 Prozent Ihrer Leser ein iPad besitzen und darauf Kindle-eBooks lesen, könnte Ihnen tatsächlich einiges entgehen. Wenn jedoch Ihre Leser vorwiegend Kindles nutzen, sollte sich das Problem kaum auf Ihr Konto auswirken.
Amazon sagt übrigens dazu offiziell: “We checked for effects on pages read before launching Page Flip, and investigated it again to re-confirm that there is no impact. We do not see any material reading volume happening within this feature, but we will continue to monitor it closely.” Oder anders ausgedrückt: die Leser nutzen PageFlip vor allem zur schnellen Navigation, nicht zum eigentlichen Lesen.
Was Sie gegen das PageFlip-Problem unternehmen können
Es gibt eine ganz einfache Möglichkeit, wie Sie in jedem Fall an Ihr Geld kommen: Der Leser sollte PageFlip durch Tippen auf die Vorschau verlassen. Dann hat alles seine Richtigkeit. Es wäre also sinnvoll, den Leser im E-Book – auf der letzten echten Seite – darauf hinzuweisen, und zwar mit gefetterer Schrift, damit das auch im PageFlip-Preview zu erkennen ist.
Autoren in den USA hatten auch bereits Erfolg damit, sich an den KDP-Support zu wenden. Durch das PageFlip-Problem weniger gelesene Seiten berechnet zu bekommen, wirkt sich ja nicht nur direkt aus, sondern auch indirekt auf die AllStar-Boni. Auch mit nur 0,5 Prozent weniger Seiten rutschen Sie vielleicht gerade an einer Bonus-Stufe vorbei. Umso wichtiger ist hier eine korrekte Abrechnung, die Sie über den Support einfordern müssten.