Neun Dinge, die Verlage von Selfpublishern lernen können

In der vergangenen Woche durfte ich auf der Konferenz FuturePublish in Berlin darüber sprechen, was Verlage wohl von Selfpublishern lernen können. Offensichtlich gibt es Anlass, darüber zu reden – sonst wären nicht zwei Drittel der Amazon-Bestsellerliste frei von traditionellen Verlagen. Dafür gibt es Gründe, wobei nicht jede Ursache auch etwas ist, was sich in eine Schlussfolgerung für die Verlage umdeuten lässt.

Dass Indie-Titel sich so gut verkaufen, hat z. B. unbestritten auch damit zu tun, dass sie sehr günstig sind. Trotzdem würde ich keinem Verlag raten, hier gleichzuziehen. Das ist gar nicht notwendig. Sehr günstige Preise sind vor allem für Selfpublishing-Einsteiger ein Mittel, sich rasch eine Fanbasis aufzubauen. Später werden sie dann gar nicht mehr gebraucht. Tatsächlich steigen die Durchschnittspreise denn auch allmählich, je erfolgreicher Selfpublisher werden. Verlage sind ja nun gerade keine Einsteiger ins Publizieren…

Bei meiner Recherche habe ich aber ein paar andere Punkte identifiziert, wo vielleicht Denkanstöße möglich sind.

1. Geschwindigkeit

Hier geht es nicht um die Zeit, die ein Buch vom Manuskript in den Handel braucht. Diesen Prozess beherrschen manche Verlage besser als Selfpublisher. Wichtig ist vielmehr der Zeitraum, der zwischen zwei Titeln eines Autors, einer Marke vergeht. Vielleser wollen nach drei, vier Monaten Nachschub. Das haben erfolgreiche Selfpublisher verinnerlicht – Verlage lassen sich ein Jahr und länger Zeit. Die Frequenz ist aber nicht nur wichtig, um beim Vielleser im Kopf zu bleiben, sondern auch für die Empfehlungs-Algorithmen der Shops.

2. Marketing

Selfpublisher haben keine B- und C-Liste. Für sie ist das aktuelle Buch das wichtigste, das ihr Überleben sichern muss und gleichzeitig den Longtail verkauft. Ein solches Denken fehlt den Verlagen. Erfolgreiche Indies tun aber noch mehr: Sie beobachten kontinuierlich, wie sich ihre Titel verkaufen, und justieren nach, wenn ein Buch droht, seine Sichtbarkeit zu verlieren.

3. Kontakt zum Leser

Selfpublisher sind Meister darin, mit ihren Lesern in Kontakt zu treten. Das können sie gut, weil sie authentisch sind. In den Verlagen sind oft die Presseabteilungen für Social Media zuständig. Fans sind aber anders als Journalisten. Sie brauchen ein zugewandtes, aktives Marketing, keine neutrale Information. Und es ist schwer, als Presse-Mensch alle 100 Autoren des Verlags authentisch zu vertreten. Deshalb sollten Verlage hier unbedingt ihre Autoren einbeziehen.

4. Unternehmerisches Denken

Erfolgreiche Indies denken wie Verleger. Sie haben niemanden, dem sie unangenehme Arbeiten übergeben können, sind für alles selbst zuständig. Im Verlag teilen sich Verantwortung und damit Engagement unter vielen Kollegen auf. Besser wäre es, fühlte sich der als Verleger, der das Buch am besten kennt: der Lektor. Dazu müsste man Lektoren aber besser bezahlen, fürchte ich, vielleicht sogar am Erfolg beteiligen.

5. Kalkulation

Selfpublisher fürchten bei ihrer Kalkulation weder Konflikte mit dem Print-Verkauf noch mit ihren anderen Titeln. Sie kalkulieren, damit sich dieses eine, aktuelle Buch optimal verkauft. Verlage werden es nie so leicht haben, weil es nun einmal einen größeren Overhead gibt. Aber sie könnten durchaus Kosten sparen: Lektoren im Home-Office arbeiten lassen, Technik und Grafik outsourcen…

6. Rücksicht auf den Buchhandel

Das Verhältnis des Buchhandels zum Selfpublishing ist im besten Fall gespaltener Natur. Das finden die wenigsten Selfpublisher gut. Aber es ermöglicht ihnen auch, sämtliche Rücksichten fallen zu lassen. Warum nicht exklusiv beim großen Amazon veröffentlichen?

7. Rapid Prototyping

… oder “agiles Publizieren”. Selfpublisher, gerade Einsteiger, gehen oft so vor, dass sie neue Titel mit geringem Aufwand veröffentlichen. Bei Erfolg werden Lektorat etc. nachgereicht. Ist das falsch? In den Charts findet man jedenfalls nur Profi-Titel. Dem Erfolg beim Leser tut das also keinen Abbruch. Können Verlage daraus lernen? Vielleicht bei “Digital First”-Labels.

8. Vernetzung trotz Konkurrenz

Selfpublisher schließen sich zu Gruppen wie den Lieblingsautoren zusammen, vernetzen sich via Facebook, empfehlen gegenseitig ihre Bücher. Die gemeinsame Zielgruppe, das Genre, ist wichtiger, trotz Konkurrenz. Verlage bauen zwar Internet-Plattformen, aber oft nur für sich und ihre eigenen Titel. Ist das sinnvoll?

9. Experimente wagen!

Es gibt (vom Buchhandel abgesehen) genau einen Vorteil, den Verlage mit ihren zahlreichen Eisen im Feuer gegenüber Selfpublishern haben: Sie können sich Experimente trauen! Erfolgreiche Indies können sich Experimente selten leisten. Mal ein neues Genre testen? Dann warten die Fans zu lange auf neues Lesefutter… Verlage haben die Ressourcen, Trends zu setzen, statt ihnen bloß nachzulaufen.