»Die Liebe ist wie ein Turnier. Der Stärkere besiegt den Schwächeren.«
Mit »Romeo und Julia« hat Shakespeare (von dem das Zitat im Titel stammt) ein Liebesdrama geschrieben, das im heutigen Buchmarkt wenig Chancen auf Veröffentlichung hätte. Es fehlt das Entscheidende: das Happy End. Der typische Liebesroman geht immer gut aus, das heißt: Die Liebenden finden zueinander und sind am Ende des Romans zusammen. Folglich ist die Frage nach dem Ausgang – wie übrigens in vielen Genreromanen – kein Spannungsinstrument. Es kommt auf das Wie an: In einem Liebesroman ist der Weg das Ziel, denn das Ziel steht schon auf Seite 1 felsenfest.
Das gute Ende wirft bestenfalls sekundäre Spannungsfragen auf: Werden sie heiraten, sich zumindest verloben – oder leben sie ohne Trauschein?
Die primäre Frage, die sich die typische Leserin eines typischen Liebesromans stellt, ist daher: Wie kommen die beiden trotz aller Irrungen und Wirrungen am Ende doch zusammen? Und genau daraus erwächst die zentrale Spannung des Romans.
Für Sie als Autorin eines Liebesromans gibt das praktischerweise auch gleich vor, worauf es in Ihrem Roman vor allem ankommt: darauf, den Liebenden das Zusammenkommen möglichst schwer zu machen – eben mit »Irrungen und Wirrungen«.
Gehen wir noch tiefer. Auf welche Spannung sollten Sie sich auf der Ebene einzelner Szenen primär konzentrieren? Genau: Auf die Frage, wie die Liebenden nach den Ereignissen, Missverständnissen, Lügen, Enttäuschungen, Enthüllungen, Zerwürfnissen der Szene – und was Ihnen an Hindernissen und Konflikten noch so einfällt – überhaupt (wieder) zusammenkommen oder zusammenbleiben können.
Wie können Romeo und Julia zusammenkommen, wo doch ihre befeindeten Familien alles versuchen, damit sie das nicht tun? (Romeo und Julia)
Wie können Katniss und Peeta zusammenkommen, wo doch Peeta nach seiner Gehirnwäsche Katniss offensichtlich hasst und sie töten will? (Die Tribute von Panem)
Wie können Scarlett O’Hara und Rhett Buttler zusammenkommen, wo doch Scarlett in Ashley verliebt ist? (Vom Winde verweht)
Faustregel: Je schwerer Sie den Liebenden die Liebe machen, desto größer die Spannung bei der Leserin.
Denken Sie bei den Erschwernissen nicht nur an äußere, sondern auch an innere Konflikte. Nehmen wir etwa einen moralischen Kampf, den eine Nonne mit sich ausficht, die sich in den Bauern verliebt hat, von dem das Kloster seine Eier bezieht.
Prüfen Sie andererseits genau, ob Ihre Idee nicht schon sehr stark abgenutzt ist. Kein Genre ist so von Klischees überladen. Eine neue Liebeskonstellation zu erfinden, dürfte extrem schwierig sein. Greifen Sie auf bestehende zurück, aber geben Sie ihnen einen neuen, unverwechselbaren Dreh – eben Ihren ganz individuellen.
Wenn die Frage »Wie kommen die Liebenden zusammen?« die zentrale dramatische Frage Ihres Romans ist, haben Sie einen Liebesroman geschrieben. In welche Richtung der Liebesroman dann noch geht, hängt von den sekundären dramatischen Fragen, den sekundären Spannungsarten ab.
In vielen Liebesgeschichten geht es noch um etwas anderes, was dann die sekundäre Spannungsart bestimmt: um den Kampf um die Macht in der Beziehung. Eine gute Liebesgeschichte ist immer auch ein Schlagabtausch zwischen den Liebenden, sodass sich etwa auf Szenenebene die Frage stellt, wer von beiden die Schlacht in dieser Szene gewinnt. Sind diese Schlachten intensiv und spannend genug, machen sie allein einen Roman schon zu etwas Besonderem. Nehmen Sie »Vom Winde verweht«, wo die Auseinandersetzungen zwischen Scarlett und Rhett die spannendsten Momente des Romans sind.
Beim Schreiben einer Liebesgeschichte ist es hilfreich, wenn Sie sich die Liebenden als Protagonisten und Antagonisten vorstellen – und zwar wechselseitig. Das sorgt für eine größere, genrespezifische Spannung, als wenn Sie die beiden Liebenden gegen einen gemeinsam Feind antreten lassen, der dann der Antagonist ist.
Doch Vorsicht, das ist gefährliches Terrain. Denn zu »antagonistisch« dürfen Sie Ihre Liebenden auch wieder nicht handeln lassen. Dann nämlich könnten die Leser irgendwann gar nicht mehr wollen, dass die beiden Charaktere zusammenfinden. Dieser Wunsch aber ist zentral für das Funktionieren der Liebesgeschichte. Sobald die Leserin nicht mehr will, dass die beiden Hauptfiguren zusammenkommen, bedeutet das den Wegfall der zentralen Spannung – und damit aus Lesersicht das Aus für Ihren Roman.
Vergessen Sie bei all den Schlagabtauschen zwischen den Liebenden nicht das Zentrale: die Gefühle selbst! Denn die Spannung in einem Liebesroman entsteht eben auch durch widerstreitende Gefühle. Ein Aspekt, wie wir oben gesehen haben, kann die Moral sein. Zu den klassischen Gefühlsstreithammeln, die gegen die Liebe angehen, gehören insbesondere die Eifersucht und die Missgunst. Wie dieser Streithammelstreit ausgeht, diese Frage sorgt ebenfalls für Spannung.
Egal, welche starken Gefühle Ihre Liebenden mitbringen, sorgen Sie dafür, dass diese Gefühle versuchen, die Liebe zu untergraben. Auch das sorgt für mehr Spannung mit der simplen Frage: Ist die Liebe stark genug?
Denken Sie dabei nicht nur an negative Gefühle wie Eifersucht. Oft ist der Wettstreit zweier positiver Gefühle interessanter. Beispiel: Die Liebe zu ihrem wunderbaren Zahnarzt Eike gerät in Bedrängnis, als Simone einen Hilfskonvoi in den Südsudan organisieren und persönlich ans Ziel bringen will. Doch Eike braucht Simone, weil er gerade eine Krise nach dem Tod seines Sohns durchmacht. Hier streiten sich Liebe und Hilfsbereitschaft miteinander. Wie wird Simone sich entscheiden? Ist die Liebe stark genug, wenn Simone für ein halbes Jahr aus Eikes Leben verschwindet?
Wenn die Liebe am Ende gegen all diese Hindernisse triumphiert, haben Sie bewiesen, wie stark diese Liebe ist. Das Happy End haben sich die Liebenden dann reichlich verdient, schließlich mussten sie hart dafür arbeiten.
Ihre Leserinnen auch. Nur konnten sie die Spannungen genießen.
Stephan Waldscheidt
Als John Alba schreibt er Mystery-Thriller. Zuletzt erschienen: KESSEL. Wer gewinnt den Kampf um deine Seele – deine Liebe oder dein Hass? Als der sechzehnjährige Tobias mit Rachegedanken und einer Pistole nachts zu seinem brutalen Vater fährt, läuft ihm eine nackte Frau ins Auto. Die Frau sieht aus wie eine seiner Lehrerinnen – und sie sollte tot sein. Bei dem Versuch, das dunkle Geheimnis aufzuklären, geraten Tobias und seine Freunde in einen Strudel aus Liebe und Hass, Verschwörung und Mord. Ihr Versteck, eine aufgelassene Brauerei in einem einsamen Schwarzwaldtal, wird dabei zum Zentrum immer unheimlicherer Ereignisse. Weltweit tauchen Menschen auf, die tot sein sollten. Der Versuch der Freunde, mehr über das Rätsel zu erfahren, weckt etwas auf, das im Tode lauert. Etwas Grauenvolles. Wie lange noch, bis es die Freunde bemerkt? Oder hat es das längst?
»John Alba ist ein herausragender Autor. Er hebt sich von den anderen deutschen Krimi- und Thriller-Autoren ab und kann sich mit den Top-US-Thriller-Autoren auf jeden Fall messen.« (RW)
John Alba. KESSEL. Mystery-Thriller.
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