Schreib-Tipp: Nur engagierte Charaktere schaffen engagierte Leser

Wir alle mögen Menschen, die sich leidenschaftlich für etwas einsetzen. Wir mögen sie, weil sie funkeln und leuchten, weil sie intensiv sind, Energie ausstrahlen, weil sie mitreißen, weil wir uns wünschen, so zu sein wie sie, weil sie uns inspirieren und uns Hoffnung für unser Leben geben.

Über solche Menschen würden wir sogar einen ganzen Roman lesen.

Auch über den Protagonisten Ihres Romans? Sind Sie sicher?

In sehr vielen Erstlingswerken, die über meinen Schreibtisch gehen, erlebe ich Charaktere, die keine dieser Eigenschaften mitbringen. Schlimmer noch: Sie scheinen sich nicht einmal für ihr eigenes Leben zu interessieren. Das steht da natürlich nicht direkt so drin. Aber als Leser schließt man es aus dem, was sie tun – und vor allem aus dem, was sie nicht tun.

Da verliert eine junge Frau, laut Autor eine leidenschaftliche Musikerin, in einer dramatischen Einstiegsszene ihre halbe Familie bei einem Raubüberfall einer Mafiabande – und schwört furchtbare Rache. Sie flieht, lernt auf der Flucht jemanden kennen, verliebt sich, zieht mit ihm in seine Stadt und ist glücklich, bis sich weitere dramatische Dinge ereignen.

Drama! Und das von Anfang an. Liebe! Toll. Dieser Autor oder diese Autorin macht alles richtig.

Oder?

Leider kommt dieses Drama beim Leser schon nicht mehr an.

Denn von dem Schwur oder gar seiner Erfüllung ist keine Rede mehr. Auch die angebliche Leidenschaft der »Heldin« (ja, nur in Anführungszeichen) für die Musik wird mit keinem Wort mehr erwähnt, spielt keine Rolle mehr.

Die Information, die wir als Leser aus diesen Ereignissen ziehen müssen: Die Frau ist an ihrem eigenen Leben nicht sonderlich interessiert. Ihre Familie hat sie wohl ebenso wenig geliebt wie die Musik. Und so schlimm kann das, was ihr anfangs widerfahren ist, ja wohl nicht sein, sonst wäre sie nicht so schnell wieder glücklich.

Die logische Folge: Als Leser bringt man weder Interesse für diese Frau auf noch für das, was sie durchlebt hat. Das Buch wandert in die Kiste und wird über Momox verkauft. Ungelesen.

Erstaunlich viele Autoren erwarten von ihren Lesern, dass sie sich für Charaktere interessieren und ihnen viele Stunden ihrer kostbaren Freizeit widmen, für die weder der Autor selbst großes Interesse aufbringt.

Charaktere, die einen Roman tragen sollen, sollten …

  1. … sich für ihr eigenes Leben interessieren. Weil nur das glaubhaft ist – die meisten von uns sind doch recht interessiert an ihren Leben, oder? – und weil nur das eine Chance hat, dass auch die Leser sich für das Leben dieser Charaktere interessieren.
  2. … diese Wichtigkeit durch ihr Tun oder Lassen wieder und wieder unter Beweis stellen. Das heißt beispielsweise, dass der Charakter gefälligst zu trauern hat, wenn er geliebte Menschen verliert. Dass er versucht, einen Eid einzulösen, den er geleistet hat (oder sich schuldig fühlt, dass er es nicht tut – oder zumindest irgendwie darauf reagiert). Dass er alles daran setzt, ein Ziel zu erreichen, das er anfangs als seine größte Sehnsucht dargestellt hat.

Warum ist das so wichtig für den Leser? Weil erst diese Bedeutsamkeit, dieses emotionale Engagement für den Charakter das Fundament für Spannung und Dramatik legt. Spannung kann nur dann aufkommen, wenn für den Charakter eine Menge auf dem Spiel steht. Dramatik kann nur dann entstehen, wenn starke Emotionen im Spiel sind.

Sie erleichtern sich dieses Engagement Ihres Protagonisten selbst ungemein, wenn Sie ihm ein klares, konkretes und für den Roman zentrales Ziel mitgeben und – darauf kommt es an – wenn dieses Ziel die Handlung bestimmt. Dann können Sie beim Schreiben gar nicht mehr vom richtigen Weg abkommen, weil der falsche Weg schnell unglaubhaft, unmotiviert oder unlogisch wirkt.

Ganz entscheidend: Machen Sie Ihren Lesern unmissverständlich klar – durch die Aktionen, die (vor allem emotionalen) Reaktionen und Entscheidungen der Charaktere –, dass die Geschehnisse im Roman und im Leben der Hauptfigur tatsächlich die wichtigsten Geschehnisse im Leben dieser Figur wiedergeben. Wenn das nicht der Fall ist, haben Sie den Roman über die falschen Dinge geschrieben.

Stephan Waldscheidt

Verführt Ihr Verlagsanschreiben Lektoren zum Blick ins Exposé? Überzeugt die Leseprobe Ihres Romans Lektoren und Agenten?  Trägt Ihr Plot Ihren Roman? Wenn nicht, ist weitere Arbeit daran gefährliche Zeitverschwendung. Auch Selfpublisher brauchen einen funktionierenden, mitreißenden Plot.

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