Stephen Kings Doctor Sleep – und was Sie daraus lernen sollten (Teil 2 von 2)

Das Böse muss absolut glaubwürdig sein.

In seinem Roman »Doctor Sleep« (Heyne 2013), der Fortsetzung seines Klassikers »Shining« (Bastei-Lübbe 1985) stolpert Stephen King in einige Fallen, in die auch Anfänger regelmäßig tappen. Das sorgt dafür, dass King in diesem Buch weit unter seinen Möglichkeiten bleibt und viele Leser nicht richtig warm mit dem Roman wurden.

Was hat King weniger gut gelöst? Und wie können Sie das in Ihrem Roman besser machen? In diesem Artikel stelle ich einige Punkte vor, die mir aufgefallen sind. Den ersten von zwei Teilen lesen Sie hier.

Kaum oder zu späte Eskalation.

In einem wohlstrukturierten Roman ist der komplette zweite von drei Akten einer Sache vorbehalten: Eskalation. Die Hindernisse werden größer, die Gegner stärker, die Umstände immer widriger. Alles wirft sich dem Helden in den Weg, um ihn am Erreichen seines Ziels zu hindern. »Doctor Sleep« aber plätschert zu lange auf einem Niveau vor sich hin. Erst im Midpoint eskalieren die Ereignisse.

Abhilfe: Überlegen Sie sich drei Schlüsselereignisse, bevor Sie den zweiten Akt schreiben. Was geschieht mit dem Protagonisten? Womit muss er fertig werden? Sie müssen nicht alles wissen, bevor Sie loslegen, schon gar nicht alle Details. Aber drei Ereignisse, die jeweils klar schlimmer sind als das vorherige, helfen beim Aufbau einer für den Leser erkennbaren Eskalation. Das erste der drei sollten Sie nicht allzu lange nach Beginn des zweiten Akts legen. Damit Sie damit Ihre Leser gleich wieder an den Haken nehmen.

Das zentrale Ziel wird erst ab Midpoint verfolgt.

Erst ab etwa der Mitte von »Doctor Sleep« machen sich die Guten auf, die Bösen zu erledigen. Zuvor befasst sich der Roman zu lange damit, die Backstory der Hauptfiguren aufzuarbeiten. Das ist zwar unterhaltsam – aber auch nur, weil Stephen King ein so begnadeter Erzähler ist. Das Gleiche an Plot wäre den meisten Autoren zur Einschlafnummer geronnen. Und da Sie nicht King sind, Ihnen vermutlich auch, sorry. Also warum das Risiko eingehen?

Abhilfe: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Protagonistin sofort mit Beginn des zweiten Akts ein klares Ziel verfolgt (das sie sich im Plot Point 1 am Ende des ersten Akts setzt). Selbst wenn sie da noch nicht wissen sollte, wer ihre Gegner sind. Der Leser braucht ein solches erkennbares Ziel, um die Aktionen der Protagonistin daran zu messen. Nur wenn der Leser das Ziel kennt, sieht er, wie weit die Protagonistin davon noch entfernt ist und welche herkulische Aufgabe noch vor ihr liegt.

Die Guten sind stärker.

King hat hier einen der gravierendsten Fehler begangen und, obwohl er es doch besser weiß,  seinem Roman damit ins Knie geschossen. Damit der Leser die Entwicklungen des Romans mit Spannung verfolgt, muss er um den Protagonisten fürchten. Warum aber sollte der Leser sich Sorgen machen, wenn er doch sieht, dass der Gutewicht stärker ist und dem Bösewicht klar überlegen?

King verstärkt das noch dadurch, indem er die Überlegenheit der Guten demonstriert. Diese gewinnen die einzelnen Schlachten vor dem Höhepunkt: Die gute, mit dem Shining ausgestattete Abra erteilt der bösen Rose bei jedem (telepathischen) Aufeinandertreffen eine Lektion.

Abhilfe: Machen Sie den Bösen stärker. Und lassen Sie ihn die Schlachten vor dem finalen Aufeinandertreffen gewinnen. Zumindest die meisten davon.

Die Guten opfern zu wenig

(und wenn doch, sind die Opfer nicht klar oder nicht ausgeprägt genug)

In »Doctor Sleep« erreichen die Protagonisten ihre Siege relativ leicht. Sie kommen ohne Schäden davon. Auch ihre Informationen erhalten Sie zu einfach. Meist nutzen sie ihr überragendes »Shining« dafür.

Abhilfe: Damit ein Roman kein Spaziergang für seine Protagonistin – und für seine Leser langweilig – wird, muss sie für alles, was sie ihrem Ziel näher bringt, etwas opfern. Beispielsweise kostet sie eine wichtige Information Geld oder sie dafür muss ein Versprechen abgeben, das sie später noch bereuen wird.

Wenn Sie einige dieser Tipps in Ihrem Roman umsetzen, haben Sie am Ende nicht nur einen besseren Roman geschrieben – sondern das gute Gefühl, manche Dinge besser zu machen als Stephen King. Wenn das mal kein Schub fürs Selbstwertgefühl ist. Ich weiß ja, wie dringend wir Autoren den ab und an brauchen.

Stephan Waldscheidt

Schriftsteller & Skriptdoktor. Autor einer erfolgreichen Reihe von Autoren- und Schreibratgebern. Berät Romanautoren persönlich oder in Workshops übers Schreiben und Veröffentlichen. Schreibt als Paul Mesa selbst Romane.

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