Wer Computerspiele mag, kennt auch ihren wesentlichen Unterschied zum Buch: Die Story, die sie erzählen, verändert sich, und zwar basierend auf den Entscheidungen des Lesers der Geschichte, den man in diesem Genre Spieler nennt. Gute Computerspiele beruhen immer auf hervorragenden Geschichten – Klassiker wie Zork zeigen, dass man sogar all das grafische Beiwerk weglassen kann, wenn die Story nur fesselnd ist. Interaktive Geschichten lassen sich aber auch im Buch erzählen.
Hier bietet sich das eBook an, das eine technisch saubere und einfache Umsetzung erlaubt. Der Leser entscheidet dann per Fingertipp oder Klick, wie die Geschichte weiter geht. Wer sich je an einem interaktiven Stück versucht hat, weiß, welche Schwierigkeiten erzählerischer Art darin stecken. Immerhin muss man für jede Entscheidungs-Option die Geschichte spannend und konsistent fortsetzen. Findet man keinen Kniff, die Storyline wieder irgendwann wieder zusammenzuführen, potenziert sich die Menge zu schreibenden Textes mit jeder Entscheidungsmöglichkeit des Lesers.
Rein mit einer Textverarbeitung wie Word ist so ein Projekt kaum umzusetzen – hier geht allzuschnell die Übersicht verloren. Mit Inklewriter bietet sich dafür ein interessantes Werkzeug, das ich einem Kurztest unterzogen hatte. Die Nutzung der Website ist übrigens kostenlos, nur die Umwandlung in ein Kindle-eBook kostet einmalig zehn Dollar.
Inklewriter funktioniert komplett im Netz. Um eine Geschichte speichern zu können, braucht man einen Account. Dann geht es blockweise voran: Der Autor schreibt einen Absatz, an dessen Ende Entscheidungsmöglichkeiten präsentiert werden. Damit das konsistent und spannend funktioniert, müssen Sie zunächst eine wichtige Frage beantworten: Welche Funktion hat der Leser? Steckt er in einer Figur Ihrer Erzählung? Im Helden oder in einer Nebenfigur? Nimmt er die Position des neutralen Beobachters ein? Oder ist er gar eine Art Regisseur, der allen Beteiligten sagt, was zu tun ist? Aus diesem Blickwinkel heraus müssen die Entscheidungen formuliert sein.
Technisch ist das weitaus einfacher umzusetzen: Einfach “Add Option” anklicken, fertig. Einzelne Pfade lassen sich später auch wieder zusammenführen. Sie können Bilder verwenden, Logik-Befehle einsetzen, Zähler benutzen, einen Zufallsgenerator anwenden oder Schleifen mit einer Ausstiegs-Bedingung definieren. Passen Sie nur auf, dass die Geschichte nicht zu kompliziert wird. Dann ist sie zwar immer noch im Netz lesbar, aber nicht mehr als Kindle-Datei zu exportieren.
Wie sieht ein interaktives Kindle-eBook aus? Nicht anders als eine normale Mobi-Datei. Die Entscheidungsoptionen sind anklickbar. Der Leser springt darüber im eBook hin und her, statt die normale Blätterfunktion zu benutzen. Damit er sich nicht aus Versehen verläuft, liegen zwischen jedem Textfragment zwei Leerseiten mit Anweisungen zum Zurück- oder Vorblättern. Die Mobi-Datei lässt sich auch problemlos in ein ePub umwandeln, das auf anderen eReadern funktioniert – es werden keine Spezialfähigkeiten der Kindles genutzt. Das Mobi lässt sich auch problemlos in KDP hochladen.
Wer braucht Inklewriter? Gerade in überlaufenen Genres kann ein bisschen frischer Wind nicht schaden. Ich würde dem Leser vorher gar nicht verraten, was an dem eBook anders ist – der Begriff “interaktive Literatur” schreckt vermutlich eher ab. Umso größer die Überraschung, wenn der Leser trotzdem später auf Stellen stößt, an denen seine Entscheidung gefragt ist. Nicht zu vernachlässigen ist allerdings der deutlich höhere Schreibaufwand. Inklewriter lässt sich außerdem gut dafür nutzen, Storyboards für Computerspiele zu schreiben.