Neben massiven Problemen mit ihren Nebenfiguren leidet die TV-Serie »The Nightmanager« (Großbritannien 2016; Drehbuch: David Farr) auch an fatalen Fehlern ihrer Hauptfiguren – fatale Fehler nicht als erzählerisches Instrument, sondern als tödliche Schwäche im Skript.
Welche Fehler sind das, welche Auswirkungen haben sie und wie können Sie die Fehler in Ihrem eigenen Roman vermeiden?
1. Der Held: Jonathan Pine (Tom Hiddleston)
Was die Serie vermutlich rettet, ist, dass der krasse erzählerische Missgriff den Charakter erst ganz am Ende ruiniert. Hätte der Autor etwas Vergleichbares zu Anfang gezeigt, hätte er damit alle Zuschauer vergrault.
Wir lernen Pine als Night Manager eines Kairoer Luxushotels während des Arabischen Frühlings kennen. Sophie, die Geliebte des einflussreichen Ägypters Hamid, vertraut Pine geheime Dokumente über illegale Waffengeschäfte Hamids an. Pine verliebt sich in Sophie, kurz darauf wird sie ermordet.
Pine lässt sich von britischen Behörden zur Mitarbeit überreden und wird in die Organisation des Drahtziehers der Waffengeschäfte eingeschleust. Die Rache an Sophies Mördern treibt ihn an.
In der letzten Folge trifft Pine endlich wieder auf Hamid. Doch der zu Beginn als so gefährlich eingeführte Hamid entpuppt sich (wie ich fürchte, unbeabsichtigterweise) schnell als großmäuliger Säufer und Loser. (Noch eine verschenkte Chance.) Pine tötet Hamid.
Was nicht der eigentliche Knackpunkt an der Sache ist. Auch ein Held darf Schurken töten. Was Helden von den Schurken unterscheidet, ist unter anderem die Art und Weise, wie sie töten. Ein Held tötet in Notwehr oder Nothilfe. Er tötet nur dann, wenn er nicht anders kann. Er tötet widerstrebend und womöglich bedauert er seine Tat. Ein Held ist auch ethisch eine Inspiration.
Natürlich darf und sollte es Charaktere geben, die auf dem gar nicht so schmalen Grat zwischen Gut und Böse wandeln. Das aber sollte gewollt und angelegt sein und erzählerisch sinnvoll und notwendig sein. In »The Night Manager« wird Pine als Identifikationsfigur aufgebaut. Auch soll eine zweite Staffel entstehen, was einen sympathischen Helden noch wichtiger macht.
Wie Pine Hamid tötet, das ist durch und durch schurkisch und verabscheuenswert.
Bei einem Abend im Casino – auch der Oberschurke Roper ist mit von der Partie – macht Pine Hamid mit K.-o.-Tropfen so benommen, dass er ihn unter dem Vorwand, ihm zu helfen, nach Hause fährt. Dort zwingt er ihn mit Prügel, ihm die Wahrheit über den Tod von Sophie zu sagen. Hamid gesteht, dass er sie nicht umgebracht hat, sondern einer von Ropers Männern. Roper ist also verantwortlich, ihn trifft mehr Schuld als Hamid.
Aber was tut Pine? Er schleppt den wehrlosen Hamid zum Pool, wo er ihn ersäuft wie ein ungewolltes Kätzchen.
Das ist aus so vielen Gründen erzählerisch misslungen, man könnte es für Absicht halten. Falls es dem Autor darum gegangen wäre, den Bösewicht einzuführen. Tatsächlich könnten Sie die nachfolgende Liste zur Inspiration verwenden, wie Sie dem Leser den Antagonisten Ihres Romans vorstellen.
- Pine plant die Tat, indem er schon im Casino darauf hinarbeitet. Sie geschieht also kaltblütig und berechnend.
- Pine bedient sich dabei eines Mittels, das für Feiglinge reserviert ist, nicht für Helden: Gift.
- Pine foltert Hamid. Auch das ist eines Helden unwürdig. So zumindest dürfte das die Mehrheit der Zuschauer/Leser empfinden.
- Pines Tat basiert auf Rache. Wegen einer Frau, die er geliebt hat. Das aber setzt die Bedeutung seiner aktuellen Liebe zu Ropers Frau Jed herab. Noch eine schlechte Idee.
- Pine tötet Hamid, obwohl er jetzt weiß, dass Hamid gar nicht der Mörder ist.
- Pine tötet Hamid, obwohl dieser so betrunken und von dem Gift benebelt ist, dass er sich nicht wehren kann. Das ist feige und niederträchtig und das genaue Gegenteil einer heldenhaften oder ethisch zu rechtfertigenden Tat.
- Die Tat berührt Pine anschließend nicht im Geringsten. Da ist keine Spur von schlechtem Gewissen.
Sorgen Sie dafür, dass die positiven Charaktere in Ihrem Roman und insbesondere der Protagonist oder die Protagonistin auch positiv rüberkommen und torpedieren Sie das nicht mit solchen krassen Fehlentscheidungen.
2. Der Schurke: Richard Roper (Hugh Laurie)
Richard Roper ist ein Monster. Das sagt beispielsweise Angela Burr, die Leiterin der geheimen britischen Polizeibehörde, die Pine anheuert. Überhaupt wird in der Serie viel über Roper gesagt und erzählt.
Allerdings hat die Sache einen Knackpunkt, der weit über einen Schönheitsfehler hinausgeht.
Warum gibt es überhaupt die Faustregel »Show, don’t tell!«, also erzähle nicht, sondern zeige es den Lesern? Weil die Leser Behauptungen des Autors oder von Charakteren des Romans zurecht misstrauen. Der Leser will überzeugt werden, dass etwas tatsächlich so ist (innerhalb der fiktiven Welt des Romans), wie der Autor ihn das glauben machen will.
Was überzeugt Menschen am besten? Richtig: Wenn sie etwas mit ihren eigenen Augen sehen. Wenn sie etwas miterleben. Und genau das bewirkt das »Zeigen statt erzählen«: Der Leser wird in die Szene mitgenommen, er sieht also beispielsweise, was für ein übler Typ der Oberschurke ist. Er erlebt mit, etwa durch seinen Stellvertreter im Buch, den Protagonisten, wie der Oberschurke etwas Oberschurkenhaftes tut.
Nicht so in The Night Manager. Der Zuschauer erlebt viele Andeutungen und auch sehr drastische Beschreibungen von Ropers Taten. Aber – und das macht die Sache noch gravierender, als sie es in einem Buch wäre – selbst das visuelle Medium Film zeigt in keiner der acht Episoden Roper jemals dabei, wie er etwas Oberschurkenhaftes tut, etwas extrem Böses, Verwerfliches, etwas, das seinen Ruf rechtfertigen würde. Erstaunlich, aber wahr.
Die Folge: Der Zuschauer kann glauben, was andere Schlechtes über Roper erzählen. Oder auch nicht. Eigentlich sieht man Roper häufiger als netten Kerl denn als Schurken. Es gibt keine Beweise für seine Untaten. Selbst die zentrale »Schurkentat«, bei der Roper dabei zusieht, wie Kinder mit Giftgas niedergemacht werden, und er deren Sterben nur mit zynischen Kommentaren übers Geldverdienen durch Giftgas bedenkt, wird dem Zuschauer vorenthalten.
Die Folge: Roper kommt als Schurke nur deshalb einigermaßen überzeugend rüber, weil Hugh Laurie ein so guter Schauspieler ist. In Ihrem Roman aber haben Sie keinen Hugh Laurie, der Ihnen die Geschichte trotz solcher gewaltiger Fehltritte retten würde.
Beweisen Sie dem Leser die wichtigsten Dinge, indem Sie sie ihm (auch) zeigen. Nur dann schöpfen Sie das Potenzial Ihrer Charaktere und Ideen aus.
Stephan Waldscheidt
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»Wieder inspirierend, wieder eine klare Leseempfehlung von mir. Ich habe sehr viel aus dem Buch mitgenommen, das ich jetzt, so gestärkt in meine neuen Projekte einfließen lassen kann. Der lockere Ton, zusammen mit den vielen Beispielen aus Literatur und Film, machen diesen Schreibratgeber zu einer Lektüre, die sich nicht anfühlt wie Pflicht, sondern zum Genuss wird!« (Antonia Günder-Freytag)
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