Vor vier Wochen wusste ich noch nicht, was ein Selfpublisher ist, jetzt bin ich selbst einer. Stimmt nicht ganz, aber so ähnlich fühlt sich das für mich an, wie ich dazu gekommen bin, meine Erzählung „Vater, Mutter, Kind“ für die Amazon-Singles Edition beizusteuern, die jetzt endlich mit der lange angekündigten Werbekampagne gestartet ist.
Als einer, der schon diverse Bücher, bislang vorwiegend Übersetzungen, veröffentlicht hat, verfolge ich seit längerem die Entwicklung auf dem Selfpublisher-Markt. Ich komme auch in den Gesprächen mit Kollegen, die selber selfpublishen, immer wieder zu dem Schluss, dass diese Option zwar reizvoll ist, die Algorithmen aber, auf die ich auch im Zuge meiner Selbstveröffentlichung gestoßen werde, eine schöne mathematische Umschreibung dafür sind, dass der Teufel immer auf den dicksten Haufen scheißt.
Nun soll meiner also ein solcher werden. Angefangen hat das aber vor Längerem. In meiner virtuellen Schublade, dem Ordner „Prosa“ stauen sich fertige Erzählungen, mehr als ein Dutzend, von denen ich immerhin zwei bereits für Anthologien absetzen konnte, nahezu unbezahlt – man muss fast bitten, sie gedruckt zu finden. Nicht jede Judith Herrmann findet ihren Reich-Ranitzki, zumal dieser leidenschaftliche Verteidiger kurzer Prosa ja nicht mehr lebt. Selbst Daniel Kehlmann soll von Rowohlt dazu überredet worden sein, die Erzählungen von „Ruhm“ zu einem Roman zu runden. Wer „Novelle“ über seinen Roman schreibt, muss schon Hennig von Lage heißen, um das Werk zu verkaufen. Ansonsten ist das Etikett „Roman“ das einzige, dem die verunsicherten Prosa-Verlage vertrauen, am liebsten mit Untertitel Autobiographie.
Auf die Ankündigung von Erzählungen: meist nicht mal eine Rückantwort. Ich war kurz davor, die Texte einfach auf meinen Blog zu stellen, da erfuhr ich mehr zufällig und eigentlich als Mitteilung, dass der digitale Feind jetzt schon die guten Leute vom Buchwesen abwirbt, dass Laurenz Bolliger ab sofort für Amazon eine Erzählungsedition, die Amazon Singles vorbereitet und Texte sucht. Ich habe die beste und neueste der Erzählungen, eben „Vater, Mutter, Kind“ aus dem besagten Ordner noch einmal fein gemacht.
Dann ging alles ganz schnell. Am Tag der Versendung kam die Antwort: Text ist genommen, gefällt, sehr. Muss lektoriert werden, aber nicht sehr. Cover macht Amazon, die Umwandlung in ein Mobi-File auch. Ich musste das File nur noch selbst hochladen, beziehungsweise einen KDP-Account einrichten. Fertig.
Seitdem bin ich Selfpublisher. Allerdings ist für mich schwer erkennbar, welche Wirkung die angeblich breitgefächerten Werbemaßnahmen für den Verkauf der Erzählung haben, da sich unter „Singles“ bei Amazon eine Menge Ratgeber zum Überwinden des Singletums finden, aber nicht die Kindle-Singles-Plattform. Bislang sind noch keine hundert Exemplare verkauft. Dabei finden alle, die den Text lesen, ihn auch wirklich gut. Hmm… Sollte es am Ende ein Problem sein, dass in Deutschland einfach niemand Erzählungen lesen will? Warten wir mal ab. Noch ist das ja eine ganz junge Rubrik und die ersten Texte sind noch frisch. Wenn alles läuft, wie geplant, dann kommt demnächst jede Woche ein neuer Single-Text. Das wäre doch auch schön.
Über den Autor:
Marcus Seibert, Jahrgang 1964, studierte Philosophie in Köln und Paris – die richtige Ausbildung, um später für verschiedene Serien, zuletzt die „Lindenstraße“ zu schreiben. Er hat Filmbücher und Romane aus dem Französischen übersetzt und schreibt für die Filmzeitschrift Revolver. Um der Midlife-Crisis zuvorzukommen, beschloss er vor einiger Zeit, nur noch zu schreiben, was ihm wirklich etwas bedeutet: Drehbücher für befreundete Regisseure, Blogtexte und Prosa. Erzählungen erscheinen ab sofort online und in verschiedenen Anthologien. Ein Roman ist in Vorbereitung.