Das Digital-Magazin Wired (nach der nunmehr dritten Wiederbelebung der Marke in Deutschland bitte ich um Verständnis, wenn die Bezeichnung vielleicht nicht ganz korrekt ist) zeigt in einem Artikel, dem nicht anzusehen ist, ob er nur online oder auch gedruckt erschien, große Verwirrung angesichts der eBook-Preise in Deutschland. Das kann ich so nicht unwidersprochen hinnehmen, auch wenn der Autor Kai Wels womöglich in der Materie nicht ganz unbeleckt ist.
Der Artikel konstruiert zunächst Verwirrung, wo es überhaupt keine gibt. Welcher Leser hat schon einmal etwas von “Plain Text oder Enhanced, Flowed oder Fixed Layout, ePub1, ePub2 oder ePub3, mit hartem DRM, Soft-DRM oder ganz ohne Kopierschutz” gehört? Neun von zehn eBook-Lesern, nämlich all die, die bei Amazon, Apple oder den Tolino-Händlern einkaufen, tippen auf “Kaufen”, und ein paar Sekunden später lesen sie los. Amazon hat es klar vorgemacht, doch auch auf den neuen Tolino-Geräten (und auf iPads eh) funktioniert das. Ausprobieren!

1998 hatte ein schöner Film mit Tom Hanks und Meg Ryan Premiere. “E-Mail für dich” spielte vor dem Hintergrund eines für die damalige Zeit typischen Vorgangs: Weil eine große Buchkette eine Filiale in der Nähe eröffnet, muss Meg Ryans liebevoll inhabergeführte Buchhandlung schließen.

Tatsächlich hat der Aufstieg von Thalia, Weltbild, Hugendubel und Co. auch in Deutschland zahlreiche kleinere Buchhändler die Existenz gekostet. Während Thalia etwa, die 2005 noch 96 Filialen hatten, bis 2009 auf 238 Filialen expandierte, stellte in den letzten zehn Jahren jede fünfte Buchhandlung ihre Geschäfte ein. Die größten Buchhändler waren 2012 DBH (mit Weltbild, Jokers und Hugendubel 420 Filialen), Thalia (293) und Valora (178) – letztere ein Player, den keiner unter diesem Namen kennt, aber als Bahnhofsbuchhandlung sehr wohl.

Dass die Ketten derartige Erfolge feiern konnten, lag zum einen an ihrer Einkaufsmacht – Thalia war schon weitaus länger als Amazon für hohe Rabattforderungen an die Verlage bekannt. Den Kunden konnten sie zum anderen ein riesiges Angebot ausbreiten, das sofort zum Mitnehmen verfügbar war.

Wie hat sich der Start von KindleUnlimited in Deutschland am 7. Oktober bisher ausgewirkt? Für eine endgültige Zusammenfassung der Folgen der Lese-Flatrate für Autoren ist es bisher sicher noch zu früh.

Aber es gibt ein paar Tendenzen zu beobachten, die in manchen Aspekten auch für mich überraschend, in anderen vielleicht beruhigend sind.

Buchpreise und KindleUnlimited

Kurz nach Start der Flatrate schossen all die Titel nach oben, die der Leser ohne Flatrate zu einem relativ hohen Preis hätte kaufen müssen. Das hat sich interessanterweise schon wieder abgeschwächt: Sowohl die Verkaufscharts als auch das Beliebtheitsranking zeigen heute wieder ein ähnliches Bild wie kurz vor dem Start von KindleUnlimited, mit einer klaren Dominanz günstiger Titel – abgesehen von eBooks, die durch aktuelle Ereignisse gefragt sind (Lenz, Modiano, Neuhaus…).

Einen “Ausverkauf der Literatur” erkennt die AutorInnengruppe Das Syndikat in Amazons geplanter eBook-Flatrate KindleUnlimited. Nun kann man diese Flatrate durchaus kritisch sehen: Fordert Amazon doch von unabhängigen Autoren, die sich daran beteiligen wollen, unbedingte Exklusivität. Allerdings entzündet sich die Kritik nicht an dieser Bedingung, sondern am lieben Geld.
“Die AutorInnen werden beleidigend niedrig für ihre Leistung honoriert” zitiert Buchmarkt.de die Bestsellerautorin Nina George. Tatsächlich erhalten beteiligte Verlage jedoch je nach individuellem Vertrag einen hohen Prozentsatz des Netto-Verkaufspreises (bis zur Hälfte, hört man) pro Ausleihe. Und kauft der Kunde das betreffende Buch später, weil er es behalten will (maximal zehn Titel können gleichzeitig ausgeliehen werden), wird der verbliebene Differenzbetrag zum Kaufpreis ausgezahlt.

In unserer Self-Publishing-Umfrage haben 25 Prozent der Teilnehmer angekreuzt, sie wären gern Mitglied in einem speziell für Self Publisher gegründeten Verband. Das ist nachvollziehbar: Gerade die jüngste Amazon-Debatte hat gezeigt, dass es durchaus unterschiedliche Interessen zwischen freien und Verlags-Autoren gibt. Das ist ganz normal. Auch die freien Journalisten haben trotz der Existenz zweier Journalisten-Gewerkschaften noch ihren “Freischreiber”-Verband gegründet. Die freien Lektoren organisieren sich im “Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren”. Der Verband deutscher Schriftsteller (in Verdi organisiert) nimmt Self Publisher nicht einmal auf.

Ob nun Skoobe, Readfy oder KindleUnlimited: die neuen Lese-Flatrates verändern die Art und Weise, wie eBooks ausgesucht und gelesen werden. Das zeigt eine aktuelle Studie des Anbieters Skoobe, die auf einer Befragung der eigenen Kunden basiert. Die wesentlichen Punkte daraus:

Mehr lesen: Flatrate-Nutzer verbringen mehr Zeit mit Lektüre. 84 Prozent der Befragten gaben an, etwa ein Viertel mehr zu lesen. Auch der Stellenwert dieser Freizeitbeschäftigung veränderte sich, Computerspiele und TV wurden weniger genutzt.
Vielfältiger lesen: Die Nutzer lesen auch Titel an, die sie sonst nicht gekauft hätten. 84 Prozent trauen sich, neue Autoren abseits der Bestsellerlisten zu testen, die Hälfte probiert es mit neuen Genres. Fast ein Drittel gibt aber auch an, Bücher seltener zu Ende zu lesen.

Inzwischen muss man sich ja beinahe dafür entschuldigen, einen weiteren Beitrag zur Amazon-versus-Hachette-Debatte zu liefern. Ich versuche es trotzdem, weil ein Punkt hier immer wieder zu kurz kam: die Frage nach den Interessen. Im bewussten Autoren-Brief, in Amazons “Readers United”-Aufruf und in so gut wie jedem anderen Statement und erst recht in den Presse-Reaktionen darauf gab es viel zu viele bestimmte Artikel.

“Die” Autoren, “die” Leser, “die” Self Publisher”, “die” Buchhändler, “die” Verlage: der Artikel unterstellt, dass die Angehörigen dieser Gruppen dieselben oder zumindest ähnliche Interessen haben – und dass diese mit den Interessen der jeweils als Gegensatz dargestellten Gruppe kollidieren. Tatsächlich gibt es aber beispielsweise schon unter den Autoren mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Und dass Autoren und Verlage von denselben Interessen getrieben werden, stimmt höchstens auf einer grundlegenden Ebene: Man will von seiner Arbeit leben.

“Brauchen wir Amazon?” fragte die ZEIT in ihrer Ausgabe 30/2014. Feuilleton-Ressortleiterin Iris Radisch hatte 19 Autoren in aller Welt nach ihrem Umgang mit dem “genialen Giganten” befragt, der die Regeln diktiere, “nach denen Bücher gelesen, geschrieben und publiziert werden”.

Die Antworten waren teils naiv, teils provokant, unter den deutschsprachigen Befragten bekannte sich nur Kathrin Passig offen dazu, regelmäßig bei diesem “widerlichen, erpresserischen Unternehmen” (Sibylle Lewitscharoff) einzukaufen (andere gaben immerhin zu, ab und an bei der Amazon-Tochter ZVAB zu shoppen).

Es gibt viel zu sagen zu Vorteilen, Problemen und Wünschen. Spannende Meinungen, finde ich! Es lohnt sich, bis zum Schluss durchzuhalten. Leider hatten nicht alle Teilnehmer-Meinungen Platz. Im eBook zur Studie wird man aber alles lesen können. Den ersten Teil der Leser-Meinungen finden Sie hier.

  • Das größte Problem ist der gigantische Strom schlechter Texte, die den Markt dominieren.
  • Ein Problem sehe ich derzeit nicht. Anfangs waren da viele sehr schlechte Indie-eBooks, aber ich habe das Gefühl, dass Bücher mit schlechter Qualität rückläufig sind. Der größte Vorteil ist, dass wir jetzt nicht mehr den Verlagen hinterherrennen müssen, die doch lieber zu einem Großteil ausländische Lizenzen aufkaufen.
  • Die größte Chance ist die Freiheit des SP-Buchmarkts und damit die basisdemokratische Bedienbarkeit der jeweiligen Interessen – sei es wechselnde Trends oder auch Special-Interest-Themen, für die es keinen Verlag aber wohl eine ökologische Nische gibt.
  • Wunsch: Senkung der Umsatzsteuer für E-Books auf 7 %, Durchsetzbarkeit höherer Preise, Anerkennung durch die Buchbranche
  • Man könnte auch sagen: Für die, die es können ist der größte Vorteil der, dass sie alles selbst machen dürfen (Cover, Satz, Lektorat, Werbung). Für die, die es nicht können ist genau das der größte Nachteil.
  • Ich würde mir wünschen, dass es in großen Buchläden wie selbstverständlich auch ein Regal für Indie-Autoren, Selfpublisher und regionale Schriftsteller gäbe.
  • Das größte Problem ist, dass neue Autoren von sogenannten Spezialisten immer wieder verunsichert werden. Und das viele Online-Händler keine eigenen Plattformen haben, um eben die Werke hochzuladen. Amazon hat es vorgemacht, wieso kann z.B. Thalia nicht nachziehen? Ein weiteres Problem, welches ich als ebenso groß sehe ist im Moment noch, dass zu viele EBooks auf dem Markt sind, die voller Schreibfehler sind und zudem auch noch zu teuer sind. Aber das denke ich wird der Markt früher oder später korrigieren.
  • Ich persönlich wünsche mir mehr Offenheit im Bereich Erotik, besonders was die speziellere Erotik wie Gay, SM oder Ähnliches angeht.
  • Wunsch: günstige Möglichkeit in den stat. Buchhandel zu gelangen (“Wohlfühl-Paket” => ISBN, VLB, günstiger Druck, Verteilung etc. aus einer Hand)
  • Das größte Problem: Ein geteilte Leserschaft – bei den Lesern von Self-Publisher-Büchern überwiegt das weniger gebildete Publikum; das gebildete Publikum tendiert in der Mehrheit dazu, Self-Publisher und den dazugehörigen Markt (Amazon) abzulehnen. Was dazu führt, dass die Mehrheit der erfolgreichen Self-Publisher-Bücher eine weniger gebildete Leserschaft bedient, daher meist seicht ist und die Vorurteile der gebildeten Leserschaft bestätigt – nämlich dass da nichts Gescheites dabei ist. Was dazu führt, dass Self-Publisher, die mit ein bisschen Anspruch an die Sache herangehen oder sich gar für Literaten halten, schlechte Karten haben, ihr Publikum zu finden.
  • Was ich mir wünsche: Dass der traditionelle Buchmarkt und der neue Indie-Markt keine zwei Welten bilden, sondern dass alle alles lesen. Und Indie-Bücher in die Buchhandlungen gelangen.
  • Self Publishings steckt noch in den Kinderschuhen und wird auch dementsprechend behandelt. Verlage und Leser tuen sich mit Self Publishings schwer. Leider! Dadurch bleiben viele lesenswerte Stoffe ungelesen. Der Leser lässt sich leider noch zu viel Schrott von den großen Verlagen vor die Nase setzen, als den meist viel naher an der Realität geschriebenen Geschichten, Biographien oder ähnlichen zu folgen.