Vor ein paar Wochen gab es in der Selfpublishing-Gruppe in Facebook eine teilweise kontrovers geführte Diskussion zwischen Autoren und Bloggern. Den Stein des Anstoßes bildete der Begriff “Selfie”, der in einer Blogger-Aktion einer Firma für Selfpublisher geprägt worden war. Die Verwunderung der Blogger über die als herabsetzend empfundene Reaktion auf eine gut gemeinte Aktion ist symptomatisch für das gegenseitige Unverständnis: Bloggern ist oftmals wohl nicht klar, dass Autoren einen sehr engen Bezug zur Sprache haben, die ihr einziges Werkzeug ist. Ein Wort, das schon so klar für andere Zwecke vergeben ist, kann eigentlich in seiner Umdeutung nur auf Widerspruch stoßen.

Aber es muss ja nicht bei solchen Missverständnissen bleiben. Ich glaube, ich kenne beide Seiten gut genug, um es mal mit einer Übersetzung zu probieren. Deshalb heute der erste Teil, der sich speziell an Buchblogger richtet: Der Selfpublisher, das unbekannte Wesen.

Wann immer in den USA ein neues HumbleBundle erscheint und mal eben Umsätze in fünfstelliger Höhe erwirtschaftet, erwacht das Interesse, auch hierzulande ein solches Modell für eBooks anzubieten. Zwar erlaubt die Preisbindung, Bücher zu verschenken – doch wie bei Openbooks.com den Käufer einen eigenen Preis festlegen zu lassen, das ist eindeutig verboten. Das Preisbindungsgesetz, das muss man eindeutig feststellen, behindert die Umsetzung innovativer Preismodelle. Und da Selfpublisher schon vom Ansatz her innovativ sind und sein müssen, stoßen sie öfter an vom Gesetz vorgegebene Grenzen, als ihnen lieb ist. Ich schließe mich selbst da mit ein.

Das derzeit wohl wichtigste Buzzword der Buchbranche heißt “Discoverability”. Es erscheinen immer mehr Titel, so die Idee dahinter, unter denen Käufer auswählen müssen, die Auswahl wächst, aber nicht die (echte oder digitale) Regalfläche, und E-Books sind dabei mangels Dinglichkeit noch ganz besonders unsichtbar. Wie schafft man es, dass ein Werk trotzdem noch von seinem Leser entdeckt wird? Das ist das Discoverability-Problem, Sascha Lobo nannte es gerade den “eiligen Gral der E-Book-Welt”, dessen Lösung jedes Unternehmen geradezu versprechen muss, das als innovativ gelten will.

Nun ist die Buchbranche weder die erste noch die einzige, die damit kämpft. Besonders ausgeprägt und für jedermann nachvollziehbar verläuft der Kampf um die Sichtbarkeit im Web, in den Ergebnislisten der Suchmaschinen. “Search Engine Optimisation” ist längst ein Muss, viele Unternehmen beschäftigen dazu teure Berater. Spannend ist dabei, wie weit die Technik hier schon gekommen ist. Nachdem in den ersten Jahren noch technische Tricks und Formeln geholfen haben (“nennen Sie das Keyword mindestens x mal, aber mit einem Abstand von y Wörtern”), ist die Technik bei Google & Co. inzwischen so weit, dass in den meisten Fällen vor allem eines belohnt wird: gute Inhalte (“content”).

Es begab sich im Jahre des Herrn 2013, dass Sascha Lobo (natürlich nicht allein) eine Neuerfindung des eBooks ankündigte – mit Hilfe der Plattform SoBooks, das für Social Books stehe und rein im Webbrowser funktioniere. Ich war damals nicht sehr begeistert davon. Inzwischen sind mehr als 15 Monate vergangen, im Internet eine ganze Ära. Damals gekaufte Smartphone funktionieren längst nicht mehr (oder es muss einen anderen Grund geben, warum ihre Besitzer schon nach einem Jahr auf neuere Modelle umgestiegen sind).

Die Ideen des Sobooks-Teams sind jedenfalls konkret im Internet zu betrachten – und damit ist es an der Zeit, den Blick von damals mit der Wirklichkeit abzugleichen. Die Radikalität von damals hat das Projekt offensichtlich verloren, und das finde ich gut. Käufer können sich zum Beispiel eine Kopie des gekauften eBooks im ePub-Format herunterladen und damit auf jedem eReader lesen (deren Verschwinden Lobo damals prognostiziert hatte – aber das kann ja noch kommen). Man arbeitet laut FAQ auch an Apps, mit der Nutzer dann sogar offline lesen können. Das Internet ist eben nicht überall (und das ist nicht unbedingt schlecht).

Das Jahr ist noch jung genug, ein paar Vorhersagen zu wagen. Was wird 2015 den unabhängigen Autoren bringen? Kommt die große Marktbereinigung über uns? Werden Buch-Flatrates am Jahresende Geschichte sein? Eröffnet Thalia zur Frankfurter Buchmesse ein Selfpublishing-Angebot? Als Selfpublishing-Papst habe ich ja einen kurzen Draht zu allen Informationen, was die Zukunft betrifft – sollte sie nicht so eintreffen wie prognostiziert, lehne ich trotzdem jede Verantwortung ab.

Amazon nutzt sehr erfolgreich die wenigen Möglichkeiten, die ein Buchhändler in Deutschland hat, sich von anderen zu differenzieren. Über die Preise funktioniert das wegen der Preisbindung nicht, wohl aber über das Angebot. Self Publisher haben es hier leicht wie nirgends sonst, ihre Werke zu veröffentlichen. Damit sie nicht auch andere Läden beliefern, schnürt der Anbieter ein schlaues Exklusiv-Paket (“KDP Select” genannt), das Autoren vor die schwierige Wahl stellt: Möglichst breite Sichtbarkeit bei Amazon, ohne anderswo lieferbar zu sein – oder doch lieber möglichst weite Verbreitung bei geringerer Sichtbarkeit auf der Plattform, die Self Publishern nun einmal die größten Chancen bietet?

Die individuellen Antworten fallen unterschiedlich aus. Aber wie? Dominieren, wie ich es schon gehört habe, die Self Publisher das Angebot von Amazon? Betrachtet man die Top 100, könnte man auf diese Idee kommen. Hier gehört schon seit Monaten stets mindestens die Hälfte aller Titel einem unabhängigen Autor. Doch wie sieht es in der ganzen Breite des Angebots aus? Meine Datenbank verfolgt nun schon seit anderthalb Jahren die Verkaufsränge von eBooks. Wie sieht hier – also etwa unter den Top 100.000 – das Verhältnis von unabhängigen zu Verlags-Titeln aus?

Als Niedrigpreisstrategie definiert das Gabler-Wirtschaftslexikon eine Strategie, bei der “versucht wird, sich durch niedrige Preise vom Wettbewerb abzuheben”, mit dem Ziel, “schnell hohen Absatz zu generieren und Marktanteile zu gewinnen”. Wer eine Niedrigpreisstrategie verfolgt, hat also primär nicht den optimalen Gewinn im Blick, sondern Marktanteile und Absatzmengen.

Als typische Beispiele für diese Strategie gelten der Discounter Lidl, die Luftfahrtgesellschaft Ryanair oder der Autobauer Dacia. Die Produkte dieser Unternehmen gelten den Kunden vor allem als eins: billig.

Oft fällt der Begriff aber auch, wenn es um die eBook-Preise unabhängiger Autoren geht, gern mit dem impliziten Vorwurf, diese Niedrigpreisstrategie gefährde den eBook-Markt überhaupt. Aber hält das Klischee der Überprüfung stand?

Nachdem ich zuletzt die Anzahl der unterschiedlichen Autoren in Amazons Top 100 für Verlage und Self Publisher analysiert habe, wollen wir uns heute den einzelnen Titeln widmen – und dabei speziell der Frage, wie lange einzelne Titel in den Top 10 und den Top 100 verblieben sind.

Fachleute sprechen hier von der Churn Rate. Was dabei wünschenswert ist, ist eine Frage der Perspektive: Wer es in die Charts geschafft hat, will natürlich möglichst lange dort bleiben. Doch je länger Titel in den Bestenlisten verweilen, desto schwerer wird es für Neulinge, selbst einen Bestseller zu platzieren.

Für die USA hat Hugh Howey in seinem Authorearnings-Report vom Mai 2014 für Titel unabhängiger Autoren eine höhere Churn Rate ermittelt als für Verlags-eBooks. Am stabilsten laufen demnach Verlagstitel schon lange etablierter Schriftsteller.

“Es sind ja immer wieder dieselben Autoren, die die vorderen Plätze belegen”, “Erfolg ist im Self Publishing die Ausnahme” – solche Aussagen sind immer wieder zu lesen. Halten Sie auch der Überprüfung in der Realität stand?

Seit Mitte Juli 2013 verfolge die “Amazon-Top-1000” der Selfpublisherbibel die Top-Platzierungen beim größten eBook-Händler. Die Datenbasis ist groß genug, der im Titel formulierten Frage fundiert nachzugehen.

Einziges Problem dabei: Self Publisher sind nicht völlig eindeutig als solche zu identifizieren. In meinen Datenbank-Abfragen habe ich den Self Publishern zugerechnet, wer entweder keinen Verlag angegeben hat oder aber mit einem eBook-Distributor wie Neobooks, Bookrix oder BoD verzeichnet ist. Andere Unternehmen wie etwa Xinxii oder Feiyr lassen sich auf diese Weise nicht filtern. Die Zahlen, die ich angebe, sind damit auf Self-Publisher-Seite tendenziell zu klein.