20 Millionen Nutzer, 400 Millionen Euro Umsatz: Die Ziele, die sich BasteiLübbe für das Startup Oolipo gesetzt hat, sind anspruchsvoll. Schon bis Ende 2017 hat man – zumindest vor Jahresfrist – mit 1,5 Millionen Kunden weltweit gerechnet. Dabei ist Oolipo nicht einfach nur ein neuer eBook-Shop: Die App soll die (besser vielleicht: eine) Zukunft des Lesens zeigen, nicht mehr und nicht weniger. Ein neuartiges Angebot mit Seriencharakter, ein Netflix für multimedial angereicherte Texte, die die Nutzer auf ihrem Mobilgerät konsumieren, so wie heute YouTube-Videos oder TV-Produktionen.
Klar, dass so ein aufwändiges Projekt nicht so einfach umzusetzen ist. Vor einem Jahr hatte BasteiLübbe noch geplant, die App im April 2016 starten zu lassen. Damals hatte man auch Autoren gesucht. Denn das Start-Angebot sollte wenigstens 25, großteils exklusive Produkte umfassen, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat.
Seit ein paar Wochen ist die App nun online, zumindest für iOS, oder genauer gesagt: für das iPhone; iPad-Auflösung wird nicht unterstützt. Offenbar handelt es sich hier um einen erweiterten Betatest. Doch es ist auch schon ein erster Blick auf die Inhalte möglich (einige weitere werden am 19. Oktober online gehen, also zur Buchmesse, wo wir wohl mehr von Oolipo hören werden).
Die Oberfläche der App ist modern gestaltet, derzeit komplett in Englisch – sie wirkt tatsächlich nicht wie ein altmodisches Buchregal, sondern eher wie eine YouTube-App. Jedes Produkt (Buch wollen wir es ja nicht nennen) ist in Episoden gegliedert, diese bestehen aus Szenen, die wiederum in Screens unterteilt sind. Ein Screen kann animierte Hintergrundbilder zeigen, der Text wird effektvoll eingeblendet, die Wirkung der Szene von Geräuschen untermalt. Zum Lesen eines Screens scrollt der Nutzer nach unten, zum nächsten geht es dann durch Wischen. Derzeit dauert das Laden einer neuen Szene oft noch recht lange – ich gehe aber davon aus, dass Oolipo in der Endversion flotter lädt. Manchmal stört auch das kräftige Hintergrundbild beim Lesen (weiße Schrift auf farbigem Hintergrund), aber das ist eine Frage der zu optimierenden Gestaltung.
Besonders viel Text passt nicht auf einen Bildschirm. Erinnern Sie sich an die Bilderbücher, die Sie Ihren Kindern so mit 6 bis 8 Jahren vorgelesen haben? Der Text-/Bildanteil ist mit diesen vergleichbar, Oolipo-Episoden sind also eine Art Bilderbücher für Erwachsene. Aber: so ist der Nutzer relativ schnell durch eine Szene durch. Das wird Absicht sein, denn genau so stellt sich Ooolipo ja die Zukunft des Lesens vor, im häppchenweisen Konsum (10 Minuten im Bus, 3 Minuten im Fahrstuhl, 5 Minuten vor dem Bahnschalter) multimedial angereicherter Inhalte.
Die interessante Frage wird sein: Zahlen die Nutzer dafür? Denn die Gestaltung der Stories ist weit aufwändiger als die Produktion eines E-Books. Der Text des Autors ist nicht mehr als ein Drehbuch, das die Technik dann mit Fotos, Videos und Sound anreichern und hübsch arrangieren muss. Vermutlich wird der Aufwand später sinken, weil Oolipo dann schon eine Standard-Bibliothek mit Geräuschen und Bildern anbieten kann, aber gerade zum Start sollte der Nutzer natürlich beeindruckt sein.
Natürlich kann man darüber streiten, ob eine Untermalung mit Bild und Ton der Immersion und der Imagination beim Lesen hilft oder ihr eher schadet. Vielleicht gilt das auch nur für klassische Bücher; beim Übergang vom Stumm- zum Tonfilm hatte man ja ähnliche Bedenken. Und es ist nicht jeder Leser gleich. Dass 5-Minuten-Videos bei YouTube mal aufwändigen Hollywood-Produktionen den Rang ablaufen könnten, darauf hätte wohl auch niemand gewettet. Mutig immerhin, dass ein Buchverlag sich traut, kräftig in eine neue Idee zu investieren.