Sie werden von entfernten Bekannten auf eine Party eingeladen. Sie gehen hin, erwartungsvoll und zugleich ein wenig ängstlich. Das Loft, in das die Gastgeber eingeladen haben, gefällt Ihnen. Der Blick über die Stadt und den Fluss raubt Ihnen den Atem. Auch das Büffet biegt sich mit allem, was Sie gerne essen und trinken, sogar den 2003er Saint-Émilion sehen Sie, Ihren absoluten Lieblingsbordeaux. Die Einrichtung? He, genau Ihr Geschmack. Aber etwas fehlt doch da noch … Richtig: die anderen Gäste.
Mit welchem Gefühl Sie am Ende des Abends nach Hause gehen, wird nicht die Aussicht bestimmen, nicht die Einrichtung und nicht einmal das Büffet. Ob die Party Ihnen gefällt, hängt vor allem von den Leuten ab, die Sie dort kennenlernen.
In Ihren Roman steigen Ihre Leser mit einem ähnlichen Gefühl. Was für sie zählt, sind die Charaktere. Und ob Ihre Leser Ihr Personal mögen oder den ein oder anderen Charakte zumindest faszinierend finden, hängt, wie auf einer Party, in hohem Maße davon ab, wie sie die Leute kennenlernen.
Der erste Eindruck zählt, auf einer Party und in einem Roman. Er bestimmt mit, ob Sie jemanden mögen oder schätzen. Zwar kann man diese erste Meinung im Lauf der Bekanntschaft korrigieren. Doch der erste Eindruck gibt eben auch die Richtung vor, in die sich die Bekanntschaft entwickelt. Sprich: Der erste Eindruck strebt nach Verfestigung. Je länger Sie jemanden kennen, desto weniger werden Sie von diesem Eindruck abrücken.
Sie können in Ihrem Roman verdammt viel falsch machen bei der Einführung eines Charakters. Oder eben auch verdammt viel richtig. Dieses erste Kennenlernen ist nicht nur für die Wahrnehmung des Charakters bedeutsam – es entscheidet mit, wie der Roman als Ganzes beim Leser ankommt.
Die Einführung eines Charakters ist umso wichtiger, je wichtiger der Charakter für den Roman ist. Klingt banal, ist es offenkundig aber nicht. In den meisten Romanen gerade von weniger erfahrenen Autoren werden selbst die Hauptfiguren ohne jegliches Nachdenken einfach mal so in den Roman gestellt. Der erste Eindruck einer farblosen, langweiligen und energielosen Person prägt fortan die Wahrnehmung des Lesers.
Das hier ist nicht irgendein Schreibtipp, den Sie überfliegen und gleich wieder vergessen sollten. Wie Sie Ihren Hauptfiguren einführen, entscheidet über Wohl und Wehe Ihres Romans in der Wahrnehmung der Leser – und damit bei den Verkaufszahlen. Denken Sie daran, dass die meisten Leser sich über den Roman eines Ihnen unbekannten Autors fast immer über eine Leseprobe der ersten Seiten informieren. Und was geschieht fast immer auf den ersten Seiten? Richtig: Mindestens eine der Hauptfiguren, Protagonist und / oder Schurke werden eingeführt.
Eine der bekanntesten Figuren der Literaturgeschichte wird im Roman zum ersten Mal so erwähnt:*
»Wer ist der Kandidat?«
»Der Psychiater – Dr. Hannibal Lecter.«
Auf diesen Namen folgt unter zivilisierten Menschen immer ein kurzes Schweigen.
Starling sah Crawford unverwandt an, aber sie war eine Spur zu reglos. »Hannibal der Kannibale.«
(THOMAS HARRIS, Das Schweigen der Lämmer, Heyne 1990/2006. *) Zum ersten Mal überhaupt lernt der Leser Lecter im Vorgängerroman »Roter Drache« kennen.)
Kein Leser, nicht einer, der nicht auf diesen Hannibal gespannt wäre. Und das bereits mehrere Seiten vor Hannibal Lecters erstem Auftritt im Buch! Was Thomas Harris bei der eigentlichen Einführung macht und warum das gut ist, lesen Sie im zweiten Teil des Artikels. Am Beispiel Hannibal Lecter sehen wir uns die verschiedenen Methoden an, Charaktere dem Leser vorzustellen. Und sie damit von Anfang an zu packen.
Geht auch mit veganen Helden.
Stephan Waldscheidt
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