Hans Schulte* aus Niederbayern ist ein echter Campingfreak. Er hat ein Indianer-Zelt bei Amazon gekauft, einen Camping-Tisch, eine Camping-Küche, Töpfe und Pfannen, drei Schlafsäcke, ein Zwei-Personen-Zelt, ein Drei-Personen-Zelt, dazu ein Vorzelt.
Christopher* aus Münster hingegen mag Schmuck. Eine Kette mit Tiermotiv hat er gleich mehrfach gekauft, in verschiedensten Farben. Frauen mag er offenbar auch, denn er hat sowohl eine Ehefrau als auch eine Freundin, der er jeweils Exemplare der Kette geschenkt hat. Christopher ist offenbar außerdem ein echter Handyfan. Denn er besitzt jede Menge Zubehör für Samsung-, Apple-, Nokia- und LG-Handys.
Diese Rückschlüsse lassen jedenfalls die über 70 Rezensionen zu, die Christopher auf Amazon hinterlassen hat. Bewertungen, wie sie auch Hans Schulte abgegeben hat, über eBooks, Schmuck, Campingartikel, Technikkrams. Oder wie eine gewisse Karin sie online stellte, oder Jens, Marc, Udo, Scotty, 123Trav und viele andere Nutzer, die (teilweise sogar von Amazon bestätigt) unter ihren echten oder erfundenen Namen agieren. Natürlich fanden alle die von ihnen rezensierten Produkte toll. Sie wurden ja auch dafür bezahlt.
Die Plattform, die diese bezahlten Rezensionen einfädelte, heißt (ist ja auch egal). Sie gehört zu einer ganzen Reihe von Anbietern, die ein wichtiges Bindemittel der Netzwelt en gros anbieten: Vertrauen. Vertrauen in ein Produkt, eine Website oder eine Marke. Vertrauen in Form von Facebook-Likes oder Twitter-Followern, die signalisieren: Was viele andere toll finden, kann ja so schlecht gar nicht sein. Und eben auch Vertrauen in Form von Amazon-Rezensionen.
Das Verführerische daran: Es ist leicht. Es ist einfacher, sich eine Rezension zu kaufen, als mühsam einen Leser vom eigenen Titel zu überzeugen. Und es ist weitaus billiger. Ich habe es getestet – mit einem Dummy-eBook, das ein Kumpel unter Pseudonym für mich einstellt und das nur aus bunten Bildern ohne Text besteht. Also: anmelden, 50 Euro einzahlen, gern auch anonym. Amazon-ID des zu besprechenden Produkts eingeben, Anzahl der zu vergebenden Sterne definieren. Damit die Manipulation nicht auffällt, eine Abbaurate eingeben: Wieviele Rezensionen sollen pro Tag erscheinen? Nach sieben Tagen hat das Test-eBook 27 Rezensionen angesammelt. 30 waren bestellt, aber ich will mich nicht beschweren. Ich beschwere mich auch nicht über die teils sinnlosen Texte der Rezensenten. Schließlich hätte ich ja selbst Vorschläge machen können, aber dafür war ich zu bequem.
Nicht nur die Geschwindigkeit, mit der die Besprechungen erscheinen, ist interessant: Ich kann nun auf die Namen der Rezensenten klicken und erfahre, welche Produkte diese sonst noch besprochen haben. Ich entdecke die Technik-Komponenten und den Schmuck. Und ich finde eBooks von Kollegen. Einen davon frage ich, und er bedauert seinen Versuch (nachweislich einmalig) sofort: “Hat absolut nichts gebracht und ich bereue es, es überhaupt gemacht zu haben”, meint er, “und die Texte waren extrem lächerlich. Passten zum Teil gar nicht zum Produkt”.
Ich frage bei einigen der “Tester” nach, erhalte aber keine Reaktion. Der Site-Betreiber jedoch will nicht schweigen und meldet sich nach ein paar Tagen mit der Nachricht, dass er die Dienstleistung inzwischen leider einstellen musste. Aber gern beantworte er meine Fragen. Wie denn das Interesse der Kunden war? “Das Interesse war sehr groß und bereits in den ersten 4 Wochen haben wir über 1.500 Rezensionen vermitteln können.” Wer für die Einhaltung der Amazon-Richtlinien verantwortlich sei? “Die Kunden.” (Und da hat er Recht.) Was die Rezensenten bezahlt bekämen? “Die Verfasser erhalten dabei 20 Cent für eine Rezension.”
Das Test-eBook hat übrigens trotz seiner vielen Sterne kein Leser gekauft. Potenzielle Käufer sind klug genug, sich das ganze Paket anzusehen: Buch, Beschreibung, Inhalt – und auch die Rezensionen. Obwohl die Manipulation so billig ist, lohnt sie sich wohl nicht. Weil über die Rezensenten stets herauszufinden ist, wer das System nutzt. Und weil Amazon mit ernsten Konsequenzen droht, wie unlängst US-Autoren erfahren mussten. Eine Amazon-Sprecherin schrieb mir: “Amazon duldet keine Manipulationen auf seiner Website. Sollten wir über einen Manipulationsverdacht in Kenntnis gesetzt werden, so reagieren wir umgehend und entfernen solche Beiträge nach Prüfung und ergreifen gegebenenfalls weitere Maßnahmen.”
*Namen geändert